Ein Dokumentarfilm über die Ehefrau des Terroristen Carlos

Ehe mit einem Schakal

Der israelische Regisseur Nadav Schirman rekonstruiert in seinem Dokumentarfilm »In the Darkroom« die Biographie Magdalena Kopps, die mit dem Terroristen Carlos verheiratet war.

Eine Frau entwickelt in einer Dunkelkammer Fotos. Mit einer Lupe begutachtet sie die Negative. Routiniert stellt sie die Belichtungszeit ein, taucht das Fotopapier in die bereitgestellten Wannen. Mit wenigen Handgriffen hängt sie die Fotos an die Trockenleine. Die Fotos zeigen Fahndungsplakate der siebziger und achtziger Jahre mit ­Gesichtern prominenter Terroristen. Johannes Weinrich, der als bewaffneter, gefährlicher Topterrorist galt, bürgerlich gekleidet mit Schlips und Kragen, und Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Carlos und als »Carlos der Schakal«. Selbstzufrieden und pausbäckig schaut Carlos in die Kamera.
Die Eingangssequenz der Dokumentation »In the Darkroom« des israelischen Filme­machers Nadav Schirman erzeugt Spannung. Der Film wurde aus mehreren Interview­sitzungen mit der ehemaligen Ehefrau von Carlos, Magdalena Kopp, montiert.
Schirman ist der Sohn eines israelischen Diplomaten und lebte als Kind mit seiner Familie in Paris. Oft hatte der Junge Angst, seine Eltern könnten Opfer eines terroristischen Attentats werden. Magdalena Kopp war zu jener Zeit in Paris inhaftiert; ihr Ehemann Carlos terro­risierte die Stadt und zündete Bomben auf belebten Straßen, die zufällig anwesende Passanten töteten. Der Vater eines Schulfreundes von Nadav Schirman war kurz zuvor von einer paläs­tinensischen Attentäterin vor den Augen des Sohnes erschossen worden. Schirman berichtet in einem Interview für das Presseheft davon und schildert die Vorbehalte, die er ­gegen seine Hauptfigur Magdalena Kopp hatte, bevor er ­sie das erste Mal traf. Nicht nur, dass Kopp mit einem Antisemiten verheiratet war, sie ist ­auch die Tochter eines überzeugten Nazis.
Im Film selbst wird dies aber ebenso wenig erwähnt wie das antisemitische Motiv der bewaffneten Geiselnahme der Ölminister der Opec-Staaten während ihrer Jahreskonferenz 1975 in Wien. Die als »Arm der arabischen Revolution« agierende Gruppe um Carlos forderte, die arabischen Länder sollten sich zum Kampf gegen die »zionistischen Aggressoren« und den US-Imperialismus bekennen und den Staat Israel nicht anerkennen.
Die gelernte Fotografin Magdalena Kopp erzählt, wie sie Carlos kennenlernte und wie ­sehr sie von ihm, dem international bekannten Terroristen, beeindruckt war. Carlos sei zu ihr in die Dunkelkammer gekommen, angeblich um sich erklären zu lassen, wie Fotos entwickelt werden. Es sei eine »plumpe Anmache« gewesen, sie habe sich damals nicht vorstel­len ­können, dass sie ihn eines Tages heiraten und mit ihm ein Kind haben werde. Sie ge­hörte ­damals zu den Revolutionären Zellen, dort sei sie für das Fälschen von Papieren ­zuständig ­gewesen. Wie bei allen wichtigen Entscheidungen ihres Lebens, erklärt sie, sei sie da irgendwie durch einen Mann hineingerutscht: Zu den RZ sei sie durch die Beziehung mit Johannes Weinrich gekommen.
Begonnen hatte alles in Neu-Ulm: Die Stadt war zu klein für sie, erklärt Kopp. Sie wollte ­am Aufbruch Ende der sechziger Jahre teilhaben. Cut. Archivbilder, von der Abschlussdemons­tration des Vietnam-Kongresses 1968, Rudi Dutschke im Pullover, Bilder von Demonstrationen in den siebziger Jahren in Frankfurt, Rock gegen Rechts 1979 – aber da war Magdalena Kopp schon im Untergrund. Der Umgang des Films mit dem Archivmaterial erscheint be­liebig. Das historische Material dient oft als bloße Kulisse.
Kopp verliebte sich in einen bärtigen Linken namens Michel, zog mit ihm nach Frankfurt, bekam mit ihm ein Kind, Anna. Die Eltern arbeiteten im linken Verlag Roter Stern. Dort lernte Kopp die RZ-Mitglieder Wilfried Böse, Brigitte Kuhlmann und Johannes Weinrich kennen. ­Die Mitglieder der RZ lebten in der Legalität und trafen sich in der Freizeit, um militante, auch bewaffnete Aktionen zu planen und durchzuführen. So fuhr Weinrich nach Paris und schoss am Flughafen Orly mit einer Panzerfaust auf ein Flugzeug der israelischen Fluglinie El Al. ­Archivbilder des Anschlags sind zu sehen. Kopp erzählt, sie habe sich mit Michel auseinandergelebt und mit Johannes Weinrich eine Beziehung begonnen. Zum Anschlag von Orly sagt Kopp kein Wort. Auch nicht zu der von Carlos und Wadi Haddad, dem Chef der palästinen­sischen Terrorgruppe PFLP-GC, 1976 organisierten Entführung eines in Tel Aviv gestarteter Flugzeugs nach Entebbe, die mit Archivbildern illustriert wird. An dem vierköpfigen Kom­mando waren Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann beteiligt. Böse sonderte die jüdischen von den restlichen Passagieren ab. Als ein Auschwitz-Überlebender ihm seine Häftlingsnummer auf dem Arm zeigte und ihm vorwarf, ein Nazi zu sein, antwortete Böse, er sei Idealist. Die Selektion von Entebbe sorgte international für Empörung. In den RZ gab es eine sogenannte internationale Sektion, in der mutmaßlich Weinrich, Kuhlmann und Böse aktiv waren. Sie agierte unabhängig von den lokalen Gruppen in der BRD. 1991 veröffentlichte eine Gruppe der RZ die Erklärung »Gerd Albartus ist tot«. Er ­war RZ-Mitglied und vermutlich von der Gruppe um Carlos ermordet worden. Dies war der ­Anlass, die eigene Geschichte selbstkritisch aufzuarbeiten – auch den Fall Entebbe. Die RZ lösten sich bald darauf auf. Die Carlos-Gruppe mit ihrer militaristischen und antisemitischen Ausrichtung hatte dazu beigetragen, dass die sozialrevolutionären Mitglieder keine Zukunft mehr für die RZ sahen.
Das scheint Kopp nicht zu interessieren. Nach der Opec-Geiselnahme habe Weinrich sie gefragt, ob sie mit ihm in den Untergrund gehen würde, um sich einer neuen Gruppe unter ­Führung von Carlos anzuschließen, erzählt sie. Kopp hadert vor der Kamera damit, dass sie ­ihrem Partner gefolgt ist: Hier hätte sie auf die eigenen Interessen achten sollen, sagt sie leise. Biographisch sei es ein harter Schnitt gewesen: Sie ließ ihre Tochter Anna bei Michel zurück und brach alle Kontakte in der BRD ab. Kopp sieht sich als passives Opfer, ebenso mütterlich wie friedfertig. Sie schildert, wie sie in Ungarn lebten und wie Carlos mit Vertretern arabischer Staaten verhandelt habe, um für diese ver­deckte Operationen durchzuführen, etwa einen Bombenschlag auf den US-Propagandasender Radio Free Europe in München.
Die Aktivitäten der Gruppe sind aber nicht ihr Hauptthema, eindrucksvoller schildert sie, wie ihre Beziehung zu Carlos entstanden ist. Eines abends habe Carlos sie betrunken gemacht und sich zu ihr ins Bett gelegt. Sie deutet an, er habe sie vergewaltigt. Am nächsten Morgen habe er gesagt, sie sei nun seine Frau und müsse tun, was er wolle. Später habe er sie nach Paris geschickt, um eine Bombe zu legen. Sie sei dort festgenommen worden, woraufhin Carlos einen Drohbrief an die französische Regierung geschickt habe. Da sie nicht freigelassen wurde, begann in Paris die Bombenserie. Sie fühle sich daran mitschuldig, erklärt Kopp voller Gram.
Vier Jahre später, aus der Haft entlassen, sei sie nach Neu-Ulm ins Haus der Eltern gezogen. Als Carlos sie in einem Telefonat aufforderte, zu ihm nach Damaskus zu kommen, folgte sie ihm. Zehn Monate später brachte sie in Syrien die gemeinsame Tochter Rosa zur Welt. Carlos ließ ihre Ehe registrieren. Beide lebten, protegiert vom Assad-Regime, das sich so für die von Carlos ausgeführten Attentate erkenntlich ­zeigte, wohlbehütet als Kleinfamilie in der syrischen Hauptstadt. Carlos war weiterhin »Berufsrevolutionär«, wie er sich nannte, Magdalena blieb zu Hause bei der kleinen Rosa.
Als der Stern ihren Aufenthaltsort enthüllte, schickte Carlos Mutter und Kind zu seiner ­Familie nach Venezuela. Dort ordnete sich Magdalena der großbürgerlichen Familie unter. Heute lebt Kopp wieder in Neu-Ulm und fühlt sich gefangen, wie sie erklärt. Carlos sei im Gefängnis wohl freier als sie es heute ist, weil sie in Gedanken in der Vergangenheit lebe.
Es ist schwer vorstellbar, dass Magdalena Kopp eine Zeitlang in derselben RZ Mitglied war, in der sich die militante feministische Gruppe Rote Zora konstituiert hat.

»In The Darkroom«. Dokumentation von Nadav Schirman. Start: 26. September