Ein vergessener Mord durch Neonazis vor 21 Jahren: Der Fall Günter Schwannecke

Kein Held für den Mainstream

Vor 21 Jahren schützte Günter Schwann­ecke in Berlin eine Gruppe Studierender vor einem rassistischen Angriff. Anschließend wurde er von Neonazis ermordet.

Seit wenigen Wochen ist im Berliner Straßenverzeichnis ein neuer Name an einem ungewöhnlichen Ort zu finden. Ende August wurde ein Spielplatz im Stadtteil Charlottenburg nach Günter Schwannecke benannt. Auf einer Tafel gibt es Informationen über den Namensgeber: »Auf diesem Platz wurde der Berliner Kunstmaler Günter Schwannecke am 29.08.1992 Opfer eines tödlichen Angriffs durch Neonazis. Er starb, weil er Zivilcourage bewiesen hat. Er steht in einer Reihe ungezählter Opfer von neonazistischem Terror. Wir werden sie niemals vergessen.«

Einem großen Teil der Öffentlichkeit war Schwann­ecke bisher völlig unbekannt. In den Statistiken über die Opfer rechter Gewalt in Deutschland tauchte er nicht auf, die Polizei wollte keinen politischen Hintergrund erkennen. Auch beim Prozess, der vor dem Berliner Landgericht stattfand, spielte das politische Umfeld des Täters keine Rolle. Im Februar 1993 wurde der Täter wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Dabei war er bereits kurz nach der Tat verhaftet worden und der Hintergrund des Mordes war schnell geklärt.
Schwannecke saß am Abend des 29. August 1992 mit seinem Freund Hagen Knuth auf dem Spielplatz auf einer Bank, als zwei Neonazis eine Gruppe Studierender aus Sri Lanka, die Tischtennis spielten, anpöbelten. Sie seien Ausländer und sollten verschwinden, riefen die Neonazis. Schwann­ecke und sein Freund verteidigten die Angegriffenen, die daraufhin fliehen konnten. Anschließend schlug einer der rechten Skinheads mit einem Baseballschläger auf die beiden Männer ein. Knuth überlebte die schweren Verletzungen, die ihm bei dem Angriff zugefügt wurden. Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen eines Schädelbruchs und Hirnblutungen.
Zu dieser Zeit organisierten Antifaschisten aus ganz Deutschland vor allem im Osten der Republik zum Schutz von Asylbewerbern Wachen vor Flüchtlingsunterkünften. Nur fünf Tage vor dem Mord auf dem Spielplatz in Charlottenburg hatten Neonazis und ein Bürgermob ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen in Brand gesetzt, nachdem sie es tagelang belagert hatten. Die Bilder der verängstigten Menschen, die sich in letzter Minute vor den Flammen auf das Dach retten konnten, waren tagelang im Fernsehen zu sehen.
Im Prozess stellte sich heraus, dass die beiden rechten Skinheads davon animiert wurden, sie wollten in Charlottenburg ihren speziellen Beitrag für ein ausländerfreies Deutschland leisten. Nachdem die Studierenden aus Sri Lanka hatten fliehen können, schlugen die Neonazis auf die beiden Männer ein, die sich schützend vor sie gestellt hatten. »Die Wut der Skinheads hatte sich weiter gesteigert, weil ihre ursprünglichen Opfer fort waren. Sie suchten sich sofort neue«, schrieb die Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative in einem Beitrag. Diesem Bündnis aus Antifaschisten und linken Jugendgruppen ist es zu verdanken, dass nach 21 Jahren doch noch an Günter Schwannecke erinnert wird.
Zum 20. Jahrestag seines Todes veröffentlichte das Bündnis eine Pressemitteilung mit dem Titel »Das war Mord! Was heute vor 20 Jahren geschah«, in der das Geschehen beschrieben wird. An einer von der Initiative organisierten Tatortbesichtigung im November 2012 beteiligte sich auch Marc Schulte (SPD), der Bezirksbaustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Er hielt bei der Einweihung des Günter-Schwannecke-Spielplatzes eine Rede. Im Gespräch mit der Jungle World betonte er, dass er es erfreulich finde, dass sämtliche in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf vertretenen Parteien von der CDU bis zur Linkspartei für die Namensgebung stimmten.

Schulte sprach auch den Grund an, warum der Ermordete 21 Jahre beinahe unbekannt geblieben ist. »Das lag sicher daran, dass Schwannecke keine bürgerliche Mainstream-Biographie hatte. Er war zeitweise ein bekannter Künstler. In den letzten Jahren seines Lebens aber war er obdachlos.«
Tatsächlich ist das Schweigen über den Tod Schwanneckes auch dann unverständlich, wenn man die durch Polizei und Justiz vollzogene Ausblendung der rechten Gesinnung des Täters in Rechnung stellt. Denn eigentlich hätten sich Schwann­ecke und dessen Freund Knuth als Menschen, die sich gewaltbereiten Jugendlichen entgegenstellten und dabei selbst zu Opfern wurden, der Sympathie der deutschen Öffentlichkeit und ihrer Leitmedien sicher sein können.
Die Amnesie im Fall Schwannecke wird besonders offensichtlich, wenn man den Fall mit der Reaktion auf den Tod von Dominik Brunner vergleicht. Brunner wurde am 12. September 2009 in der Münchner S-Bahn Zeuge, wie Schüler von drei betrunkenen Jugendlichen belästigt wurden. Sie verlangten von ihnen die Herausgabe ihrer Handys und Geld. Brunner stellte sich vor die bedrohten Schüler und wollte die Jugendlichen der Polizei übergeben. Nachdem er einem von ihnen ins Gesicht geschlagen hatte, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Brunner zusammenbrach und starb. Obwohl sich bald herausstellte, dass die Todesursache ein Herzinfarkt war und kein Baseballschläger benutzt wurde, war er für einen großen Teil der Öffentlichkeit und der Boulevardmedien ein Held. »Nach dem Mord an einem couragierten Bürger ist das Land berührt und fragt, wie die Täter derart verrohen konnten«, schrieb der Tagesspiegel.
Zum Zeitpunkt von Brunners Beerdigung standen die S- und U-Bahnen in München für eine Gedenkminute still. Brunner wurde posthum mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Bayerischen Verdienstorden und dem XY-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Eine Stiftung trägt seinen Namen. Der Haupttäter wurde wegen Mordes verurteilt, die Entscheidung wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. In der nach seinem Tod geführten Law-and-Order-Debatte wurde Brunner zum Helden, der starb, weil er gewalttätige Jugendliche in die Schranken weisen wollte. In kaum einen Artikel fehlte der Hinweis, dass Brunner Manager eines mittelständischen Unternehmens war, während die Jugendlichen keine Ausbildung hatten. Manche wollten die in Deutschland geborenen jungen Männer am liebsten in die Heimatländer ihrer Eltern abschieben.

Dagegen wurde die Zivilcourage von zwei obdachlosen Männern, die sich Rassisten entgegenstellten, von Polizei, Justiz und den Medien ignoriert. Dass sozial ausgegrenzte Menschen häufig Opfer rechter Gewalt werden, belegt auch der Fall des im Mai 2000 von vier Neonazis in seiner Wohnung in Berlin-Buch ermordeten Erwerbslosen Dieter Eich. Die Täter brüsteten sich später damit, einen »Assi abgestochen« zu haben. Die Arbeit eines antifaschistischen Bündnisses verhinderte, dass Eich vergessen wurde. Es organisiert jährlich zum Todestag eine Demonstration zum Gedenken. Bei Veranstaltungen und in Broschüren weist das Bündnis darauf hin, dass es in der Gesellschaft weit verbreitet ist, den Wert des Menschen an seiner Lohnarbeit zu messen, in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Die Initiative »Niemand ist vergessen« plant die Errichtung eines »Buchs der sozialen Ausgrenzung« in der Nähe des Tatorts. Damit soll an Dieter Eich erinnert werden, aber auch auf die tief verwurzelte Ablehnung von Armen in der Gesellschaft hingewiesen werden, die für seinen Tod verantwortlich war.