Ungarischer Rechtsrock

»Von ungarischem Blut getränkt«

In den vergangenen Jahren hat sich Ungarn zu einem Zentrum der rechtsextremen Musikszene Europas entwickelt. Die Übergänge vom Mainstream zum offen neo­nazistischen Netzwerk »Blood & Honour« sind fließend.

Nationalistische Rockmusik wird in Ungarn meist »Nemzeti rock« (nationaler Rock) genannt und ist ein Riesengeschäft. Als eine der größten und erfolgreichsten Bands in diesem Bereich kann Kárpátia gelten, deren Name auf das Kapartenbecken, den vermeintlichen »natürlichen Lebensraum« der Ungarn anspielt. Ihr neues Album »A száműzött« (Das Exil) belegte Mitte September sogar den ersten Platz der ungarischen Albumcharts.
Die Band veröffentlicht ihre Musik bei dem Label Exkluzív Music, das auch andere nationalis­tische Künstler wie etwa Varga Miklós verlegt. Platten der Bands Cool Head Klan und Mamut, bei denen auch Mitglieder von Kárpátia spielen, sind jedoch auch bei Ungarns größtem Metal-Label Hammer Music beziehungsweise dessen Sublabels erschienen. Hammer Music steht auch hinter dem größten Metal- und Rock-Magazin des Landes, Metal & Hard Rock Hammer World, in dem neben internationalen Bands auch der nationalistischen Rockszene Ungarns regelmäßig ein Forum geboten wird. Janós Pétras, Sänger und Bassist von Kárpátia, wurde im März sogar vom Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog (Fidesz), für seine »Verdienste um die kulturelle Vielfalt« mit einem Verdienstkreuz ausgezeichnet. Die Band ist also keineswegs marginal, sondern gehört zum ungarischen Musikestablishment.
Aus ihrer Nähe zu völkischem Gedankengut macht die Band Kárpátia keinen Hehl. Im Sommer 2012 trat sie bei einem Festival der Nazipartei Jobbik auf. Im Juni dieses Jahres war sie auf einem Motorradrocker-Festival zu Gast, das mit einem Flyer beworben wurde, auf dem »Großungarn«, also das Ungarn in den Grenzen vor dem Ersten Weltkrieg, abgebildet war. Im Juli spielte die Band zusammen mit Bands wie Romantikus Erőszak (Romantische Gewalt) und Oi-Kor vor mehreren tausend Zuschauern auf dem Magyar-Sziget-Fes­tival nahe Veröce nördlich von Budapest. Das Festival, das auch mit Geld der Regierung gefördert wird, gilt als ein völkisches Gegenstück zum kosmopolitischen Sziget-Festival in Budapest, einem der bekanntesten Open-Air-Festivals Europas.

In diesem Jahr nicht mit dabei, aber sonst ein gern gesehener Gast beim Magyar-Sziget-Festival ist die Band Hungarica, eine weitere wichtige Gruppe des »Nemzeti rock«. Das Debütalbum der Band erschien 2007 ebenfalls bei einem Sublabel von Hammer Music namens Edge Records. Auch Hungarica sind schon mehrfach auf Konzerten der Partei Jobbik aufgetreten und vertreten ähnlich wie Kárpátia nationalistische Positionen.
Mit offenen Bezügen zum Nationalsozialismus oder zu dessen ungarischer Variante, den Pfeilkreuzlern, halten sich die beiden Bands wie auch die meisten anderen Vertreter des »Nemzeti rock« weitgehend zurück – wohl auch, weil dies in Ungarn nach wie vor eine Straftat wäre. Völkische Symbole jedoch wie etwa die weiß-rot gestreifte »Árpád-Fahne« sind bei ihren Konzerten ein häufiger Anblick, Antisemitismus ist allgegenwärtig.
Andere Bands hingegen positionieren sich offen neonazistisch und spielen regelmäßig auf »Blood and Honour«- oder »Hammerskin«-Konzerten im In- und Ausland. Eine der bekanntesten Neonazibands Ungarns sind Vérszerzödés (»Blutpakt«), die bereits in Deutschland aufgetreten sind – unter anderem 2005 und 2009 beim »Fest der Völker« der NPD in Jena und Altenburg. Auch andere ungarische Neonazibands wie die NS-Hardcoreband Backstab haben bereits in Deutschland gespielt.

Zudem hat sich Ungarn zu einem der beliebtesten Reiseziele der europäischen Rechtsrockszene entwickelt. Regelmäßig finden dort neonazistische Rockkonzerte statt, bei denen immer wieder auch deutsche Bands auftreten. 2009 zum Beispiel spielten die Bands Faustrecht aus Schwaben und Moshpit aus Thüringen bei einem Festival mit dem Namen »Sons of Europe Side by Side«. Im Jahr darauf spielte dort die Band Blitzkrieg aus Sachsen. Die sächsische NS-Hardcoreband Brainwash, die bereits 2002 eine Split-CD mit Vérszerzödés veröffentlicht hat, ist 2008 in Ungarn beim European Hammerfest der Hammerskins aufgetreten und soll auch im kommenden Oktober wieder dort spielen. Im vergangenen Jahr spielte die rechte Hooligan-Band Kategorie C aus Bremen unter anderem zusammen mit der polnischen Band Tormentia beim Boreal Festival, das direkt vor dem Magyar-Sziget-Festival am selben Ort stattfand.
Die beiden Milieus, also der völkische und nationalistische »Nemzeti rock« und der offen neo­nazistische Rechtsrock, gehen jedoch ähnlich fließend ineinander über wie »unpolitischer« Rock-Mainstream und nationalistischer Rock. 2005 zum Beispiel spielte die Band Nemzeto Front (Natio­nale Front) auf dem Magyar-Sziget-Festival, 2012 spielte sie in Budapest als Headliner auf einem Konzert, das explizit als »NSHC«, also »nationalsozialistischer Hardcore«, beworben wurde und bei dem die Neonaziband Fehér Törvény (Weißes Gesetz) spielte, die auch Ende 2012 beim Auftritt von Moshpit in Budapest dabei war. Oi-Kor, die in diesem Jahr bereits zum sechsten Mal auf dem Magyar-Sziget-Festival aufgetreten sind, haben noch im Februar mit Vérszerzödés und Fehér Törvény die Bühne geteilt.

Bei so viel völkischer und offen neonazistischer Rockmusik darf natürlich auch der nationalsozialistische Black Metal (NSBM) nicht fehlen. 2010 ist die russische NSBM-Band Temnozor in Ungarn aufgetreten. Für den Herbst dieses Jahres kündigt die ungarische Division von »Blood & Honour« ein Konzert mit der deutschen NSBM-Band Absurd an. Vérszerzödés haben zudem 2008 eine Live-CD zusammen mit der bulgarischen NSBM-Band Paganblut veröffentlicht. Auch eine einheimische Szene mit Bands wie Hun oder Schwarzlose ­besteht seit mehr als zehn Jahren, und die Band Marblebog hat erst vor wenigen Monaten eine Split-Single mit dem hessischen NSBM-Projekt Bilskimir auf dem ungarischen Label Turanian Honour Productions veröffentlicht.
Es scheint kein Zufall zu sein, dass gerade Rock und Metal diejenigen Musikstile sind, die in ­Ungarn häufig in Verbindung mit völkischer, antisemitischer und nationalisitscher Politik in ­Erscheinung treten – wobei auch nationalistischer Folk und sogar völkischer HipHop (etwa der Jobbik-nahe Rapper FankaDeli) durchaus vorkommen. Was große Teile von Rock und Metal mit der völkischen Bewegung verbindet, ist ihr Hang zur Mythologie, zum Pathos und zu Heldengeschichten. Der Weg von Geschichten über Drachen und Ritter hin zu rassereinen magyarischen Kriegern und dem Fabelvogel Turul, dem die Pfeilkreuzler genauso huldigten wie heute Jobbik und Fidesz, ist oft kurz. Auch Kápártia besingen den mythischen Urvogel in einem gleichnamigen Lied. In »Magyar föld« sprechen sie vom ungarischen Land, das »von ungarischem Blut getränkt« sei. Weit ist es nicht von dort bis zur nationalsozia­listischen Ideologie von »Blut und Boden«.