Die experimentelle Musikszene in Ungarn

Alles nach Plan

Gar nicht so viel los hier. Die Möglichkeiten für musikalische Experimente sind in Budapest begrenzt.

In der schüchternen Art seiner Verabschiedung liegt etwas Entschuldigendes. Als schämte er sich ein bisschen für das gehetzte Set. Und dafür, den nicht einmal gut gefüllten Saal pünktlich zur vollen Stunde dem umgehend angeknipsten Neonlicht überlassen zu haben. Ein international bekannter Elektro-Künstler wie Vladislav Delay mag es nicht gewohnt sein, sich streng nach der Uhr zu richten. Die ungarischen Konzertveranstalter des Trafó schon. Der Club wird öffentlich gefördert, ist professionell ausgestattet und ein Ausbund an Sauberkeit. In wenigen Tagen wird hier Blixa Bargeld auf der Bühne stehen.
»Vladislav Delay kennen in Ungarn nur ein paar hundert Leute«, sagt Márton Kristóf, der mit seinem Projekt 12z eine Improvisationsreihe ins Leben gerufen hat. In regelmäßigen Abständen veranstaltet Kristóf Konzertabende, seine Band lädt Gastmusiker ein, mit denen zusammen live improvisiert wird. Beispielsweise im Toldi seien Abende solchen Zuschnitts noch machbar. Der Laden ist kein Club, sondern ein Kino, dessen Café im Anschluss an Filmvorführungen für Musikveranstaltungen freigeräumt wird. Solcherlei Mischnutzungen sind typisch für diese Stadt, die interessanten Läden beschränken sich selten auf nur eine Disziplin. Im Müszi, einem alternativen Kulturzentrum am östlichen Rand der Budapester Altstadt, finden neben Konzertabenden auch Filmvorführungen und Theatervorstellungen statt. Das Müszi ist zu einem Kristallisationspunkt der Subkultur geworden, Künstler treffen hier auf politische Gruppen. Was nach einem Glücksfall klingt, ist jedoch auch Ergebnis einer städtischen Notlage, die sich im Laufe der letzten Jahre ergeben hat. Die Stadt ist zusammengeschrumpft, Möglichkeiten für experimentelle Veranstaltungen ohne kommerzielles Interesse sind rar geworden. »Fast alle für die alternative Musikszene wichtigen Orte Budapests sind inzwischen geschlossen worden«, sagt Áron Birtalan. Birtalan ist als Musiker seit vielen Jahren in der Subkultur der Stadt aktiv. Ein bisschen sei es so wie im Ungarn der siebziger Jahre, sagt er halb im Scherz. Damals wie heute müssten Musiker in Ungarn einen Balanceakt meistern: »Die Politik darfst du als Musiker nicht aus den Augen verlieren. Um trotzdem eine künstlerische Position entwickeln zu können, die über einen ausgestreckten Mittelfinger hinausgeht, musst du dich zeitweise von den Zumutungen des Alltags befreien«.
Zurückgezogenheit – davon zeugt auch das Ultrahang-Festival, das vor allem jungen ungarischen Elektro-Musikern ein Forum bietet. Für die Musikszene ist es zu einer Institution geworden, trotzdem zählt das Publikum heute Abend nicht mehr als 30 Personen. Das R33 liegt etwas abseits, in einer recht finsteren, zugigen Gegend. Touristen verirren sich abends nur selten hierher, das R33 versteckt sich in der hintersten Ecke einer Industriebrache. Wie im Trafó wird auch hier der Zeitplan eingehalten. Jedem Künstler stehen 30 Minuten zur Verfügung, die Umbaupausen sind kurz, sofort geht es weiter. Auf der Bühne hockt ein junger Künstler namens Fragrant Sigh und schraubt in typischer Noise-Manier an verkabelten Effektgeräten herum. Asio Otus kauert hinter seinem Laptop und erzeugt dumpf pulsierende Rhythmuspatterns, die sich in Flächen auflösen. Eigentlich gar nicht anders als in Berlin. Nur irgendwie unaufgeregter.