Budapest Beatet Bestes

Das Osteuropa-Ding

Budapest Beatet Bestes. Spezialfolge.

Kein »punky, punky« dieses Mal. Um Punk in Budapest zu finden, genügt schließlich eine billige Recherche auf Facebook. Also lieber »swingy, swingy«. Ich weiß, die verehrte Leserschaft der Jungle World wird jetzt die Augen verdrehen: Michalke mit seinem Swing-Tanzen schon wieder! Aber es interessiert mich nun mal. Außerdem habe ich in Budapest sehr überraschende Entdeckungen auf diesem Gebiet gemacht.
In den zehn Tagen unseres Aufenthalts war ich viermal tanzen und habe mit rund zwei Dutzend ungarischen Frauen Körperkontakt aufgenommen. Natürlich haben wir auch miteinander gesprochen, wobei sich herausstellte, dass ein Drittel sich lieber auf Deutsch als auf Englisch unterhalten wollte. Seltsam, international total unüblich, muss so ein Osteuropa-Ding sein. Mit Männern bin ich auch ins Gespräch gekommen. Allerdings nur mit dem Tanzlehrer und dem DJ. Nachdem ich am ersten Abend eine Weile herumgestanden hatte und von keiner Frau zum Tanzen aufgefordert wurde, informierte mich der DJ: »Ungarische Frauen musst du auffordern!« Das ist ebenfalls international unüblich und muss ein weiteres Osteuropa-Ding sein. Aber okay: When in Rome, do as the Romans do. Nachdem ich also alle Frauen aufgefordert hatte, traute ich mich schließlich an die Tanzlehrerin heran. Ich hatte sie beobachtet, sie tanzte sehr gut, ich hätte ihr nichts Überraschendes bieten können. Also fragte ich sie, ob sie führen wolle. Das konnte sie ungefähr so mittelmäßig wie ich, und so wurden unsere Tänze sehr vergnüglich.
Am nächsten Abend erzählte mir eine sportliche Frau mittleren Alters begeistert, dass sie schon mehrfach zu einem Swing-Workshop nach Potsdam gereist sei. Nur in diesem Jahr habe ihr für die Anmeldung leider ein Tanzpartner, ein Leader, gefehlt. Da sie offensichtlich schon seit Jahren Swing tanzt, fragte ich sie, warum sie sich nicht selbst als Leader angemeldet habe. Die Schritte umgekehrt zu machen, sei schließlich nur eine Frage der Übung. Darauf sie: »Nein, mit Frauen tanze ich nicht! Das finde ich unästhetisch.« Rollenwechsel seien nur etwas für Tanzlehrer, die beide Rollen beherrschen müssen. »Ich komme hierher, um mit Männern zu tanzen«, betonte sie energisch. Mag sie diese Einstellung auch mit vielen Frauen in Berlin und der restlichen Swing-Welt teilen, so deutlich hatte ich es noch nicht gehört. Abschließend bemerkte sie, dass es im Hinblick auf die überzähligen, am Rand der Tanzfläche wartenden Frauen sogar regelrecht frech sei, wenn Männer mit Männern tanzten. Und schon schickte sie mich los, um meiner Pflicht nachzukommen und die restlichen Frauen abzutanzen.
Ich war verwirrt. Ihre Aussagen grenzten an Homophobie. Am dritten Abend fragte ich deshalb in einer Runde, ob es sich möglicherweise nur um eine Einzelmeinung gehandelt haben könne. Alle verneinten: »Leader nennen wir in Ungarn die Männer.« Seltsam, international total unüblich. Muss wohl so ein Osteuropa-Ding sein.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.