Gesetzesvorhaben gegen Menschenhandel und Prostitution

Die Gesetze des Standorts

Zu den Gesetzentwürfen der schwarz-gelben Bundesregierung, die in der vergangenen Legislaturperiode liegengeblieben sind, zählt auch das Gesetz zur Bekämpfung von Menschenhandel und zur Überwachung von Prostitutionsstätten. Das Thema hat sich aber nicht erledigt – jetzt müssen neue Vorschläge her.

Menschenhandel bekämpfen, Prostitution regulieren – im Juni hatte sich die schwarz-gelbe Koalition noch schnell auf ein paar Vorschriften geeinigt, aber daraus wurde nichts mehr. Zwei Tage vor der Bundestagswahl hat der Bundesrat den Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss überwiesen und damit scheitern lassen. Die nächste Bundesregierung wird einen neuen Anlauf nehmen müssen – und zwar nicht nur formell, sondern auch inhaltlich. Denn der gescheiterte Gesetzentwurf war von allen Seiten kritisiert worden, von Juristen und Polizei, von Sexarbeiterinnen und Menschenrechtsorganisationen. Schon im Rechtsausschuss des Bundestags hatten sämtliche Experten den Vorschlag abgelehnt. Der Bundesrat befand: Das Gesetz beinhalte lediglich eine Minimallösung. Ein undurchdachter Schnellschuss, das war die einhellige Meinung.
Vor allem stieß auf Kritik, dass dabei zwei unterschiedliche Bestrebungen in einem Gesetzentwurf zusammengefasst wurden. So sollte einerseits die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel umgesetzt werden. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Menschenhandel strafrechtlich zu verfolgen und effektiv zu bekämpfen. Andererseits wollte die Koalition die Gelegenheit nutzen, um legale Prostitution gewerberechtlich strenger zu regulieren. Das ist vor allem eine Forderung von Ländern und Kommunen, die ihre Rotlichtviertel stärker kontrollieren wollen.

Sexarbeiterinnen zu schützen und Menschenhandel zu bekämpfen, schreiben sich alle Beteiligten auf die Fahnen. Doch welche Maßnahmen dafür nötig wären, ist heftig umstritten. Der Gesetzentwurf hatte vorgesehen, Prostitution als »überwachungsbedürftiges Gewerbe« in die Gewerbeordnung aufzunehmen. Das würde bedeuten, dass Bordellbetreiber nach der Gewerbeanmeldung überprüft werden und Behördenbeauftragte das Recht haben, Bordelle zu betreten, um dort »Prüfungen und Besichtigungen« vorzunehmen oder geschäftliche Unterlagen einzusehen. Den Städten und Gemeinden war das zu wenig, vor allem weil Wohnungsprostitution ausdrücklich davon ausgenommen werden sollte. Sexarbeiterinnen lehnen mehr Überwachungsmaßnahmen dagegen ab. Die Kontrolldichte im Milieu sei ohnehin schon sehr hoch. Die Prostituiertenorganisation Doña Carmen geht von jährlich rund 11 500 Routinekontrollen in Prostitutionsstätten aus, bei denen 44 000 Personen kontrolliert werden. Hinzu kommen Großrazzien in Rotlichtvierteln, Bordellen und Bars – nach Recherchen von Doña Carmen waren es in den Jahren 2000 bis 2012 insgesamt 280 solcher Einsätze, wobei 6 500 Objekte kontrolliert wurden. »Mit anderen Worten: Binnen vier Jahren haben bundesdeutsche Ermittler so ziemlich alle im Prostitutionsgewerbe tätigen Personen einmal kontrolliert«, sagt Sprecherin Juanita Henning.

Diese Überwachungskultur wird von Sexarbeiterinnen nicht unbedingt als Schutz empfunden. Das erklärte auch Stephanie Klee, die in Berlin als selbständige Prostituierte und als Coach für Sexarbeiterinnen arbeitet, in ihrer Stellungnahme für den Rechtsausschuss. Die Polizei besuche regelmäßig Bordelle, »plaudert mit den Frauen und dem Betreiber, trinkt mit ihnen Kaffee, um Informationen zu erhalten und sich als Ansprechpartner für die Verfolgung von Straftaten anzubieten. Dieses Vertrauen zerstören sie dann in schöner Regelmäßigkeit mit einer späteren Großkontrolle oder Razzia, wo sie martialisch gekleidet, vermummt, mit Drogenhunden in das Bordell einfällt.« Trotz der Kritik an den Polizeikontrollen sprechen sich aber auch Sexarbeiterinnen seit langem grundsätzlich dafür aus, das Prostitutionsgewerbe zu regulieren. Doña Carmen hat im April ein Alternativprogramm vorgelegt und darin unter anderem vorgeschlagen, eine Bundessexarbeitskammer einzurichten, die Qualitätsstandards für Arbeitsbedingungen festlegen soll. Der Verein fordert außerdem, selbständige Prostituierte als Freiberufler anzuerkennen. Eine Konzessionierung, bei der Bordellbetreiber zunächst eine Erlaubnis beantragen müssen, lehnt Doña Carmen ab.

Menschenrechtsorganisationen und Behörden bezweifeln hingegen, dass Doña Carmen und selbständige Unternehmerinnen wie Stephanie Klee für die Mehrheit der Prostituierten sprechen. Hinter dem Streit um die Regulierung von Sexarbeit steht immer auch die Frage nach der Deutungshoheit in Sachen Zwangsprostitution. Mehr als 90 Prozent der Prostituierten würden nicht freiwillig arbeiten, sondern unter Zwang oder aus Not, schätzen manche Ermittler und Hilfsorganisationen. Zwangsprostitution bewege sich »im Promillebereich«, heißt es bei Doña Carmen. Das Bundeskriminalamt weist in seinem aktuellen Lagebericht für das Jahr 2011 insgesamt 640 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus – das sind die einzigen offiziellen Zahlen. Inwiefern solche Zahlen die Realität von Sexarbeit und Menschenhandel abbilden, ist unklar.
Anna Hellmann, Referentin für Frauenhandel von Terre des Femmes, sagt: »Wir gehen davon aus, dass das nur ein Bruchteil der tatsächlichen Opferzahl ist. Aber selbst wenn es 640 wären, ist es ein schwerwiegendes Problem.« Es bleibt die Frage, ob Polizeikontrollen und Razzien helfen, Zwangsprostitution aufzudecken. Juanita Henning hält die Überwachung für nutzlos, Razzien im Rotlichtmilieu seien nur selten Auslöser von Verfahren wegen Menschenhandel. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes kamen 17 Prozent der im Jahr 2011 abgeschlossenen Ermittlungsverfahren durch polizeiliche Kontrollen oder die Präsenz von Beamten im Milieu zustande, 40 Prozent der Verfahren gingen auf Anzeigen zurück. Klar ist: Der bisherige Gesetzentwurf blieb auch hinter der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel deutlich zurück. Zwangsprostitution und Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft sind in Deutschland bereits strafbar, ins Strafgesetzbuch muss außerdem Menschenhandel zur Ausnutzung von Bettelei und kriminellen Handlungen sowie zum Zwecke des Organhandels aufgenommen werden – das ist das europarechtlich geforderte Mindestmaß, das Deutschland noch realisieren muss. »Die EU-Richtlinie stellt aber auch umfangreiche Forderungen im Bereich Opferschutz«, sagt Hellmann. Dazu gehören Unterstützungs- und Betreuungsangebote für Opfer von Menschenhandel, der Schutz der Betroffenen während eines Strafverfahrens und besondere Schutzmaßnahmen für Kinder. »Diese Chancen wurden bisher überhaupt nicht genutzt«, kritisiert Hellmann.
Besonders problematisch ist die Situation für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – was etwa 70 Prozent der Opfer von Menschenhandel betreffen dürfte. Sie müssen zusätzlich ihre Abschiebung befürchten. Terre des Femmes fordert deshalb vor allem, die aufenthaltsrechtliche Situation von Betroffenen zu klären. »Ein sicherer Aufenthaltsstatus stellt eine Grundvoraussetzung dafür dar, dass den Betroffenen hier Schutz gewährt werden kann«, sagt Hellmann. Bisher erhalten Opfer von Menschenhandel nur dann ein – vorübergehendes – Aufenthaltsrecht, wenn sie bereit sind, im Strafprozess auszusagen, und die Straftat nicht ohne ihre Angaben aufgeklärt werden kann. Sobald die Zeugenaussage vorbei ist, ist damit auch der Opferschutz vorbei.