Extremsportarten im Selbstversuch: Ponyreiten

Lass uns das weiße Pferd reiten, aber immer von links!

Exremsportarten im Selbstversuch IV: Leben auf dem Ponyhof

Freundinnen und Freunde des flotten Galopps behaupten, der Reitsport sei eine besondere Herausforderung. Schließlich ist so ein Pferdchen kein Basketball. Es lebt und bewegt sich. In diesem Zustand jedoch ist mir das Tier eher unbekannt. Ich war nie ein Pferdemädchen mit entsprechenden Poesiealbumstickern. Als mich vor fast 30 Jahren ein zotteliges Shetlandpony auf einem dänischen Bauernhof nicht mit sich herumtragen wollte, flog ich vom Pferdchen und das »Bille und Zottel«-Buch in die nächste Ecke. Seitdem habe ich nur in Slowenien ein paar Lipizzaner für diese Zeitung fotografiert und danach einmal auf einem Spielplatz-Schaukelpferd gesessen. Außerdem mag ich Bernadette La Hengst. Auch bei PJ Harvey, Goldfrapp, Prince, Calexico, Tori Amos, Stereo Total und U2 (wenn es denn sein muss) reiten Horses durch den Songtext, wahlweise white, wild oder crazy. Einige dieser Pferde dienen als Synonyme für die Art von Reiten, die im Kamasutra Cowgirl oder Rodeo genannt wird. Sogar einen Ponyhof kenne ich persönlich: Ein Freund von mir hat aus Protest gegen eine hohle Phrase über das Leben dieses Pseudonym für sein Facebook-Profil gewählt.
Auf eine andere Art habe ich Pferde in jüngster Zeit schätzen gelernt: als Appenzeller Pferdemostbröckli oder Sfilacci di cavallo, die auf der Zunge schmelzen. Aber im Land der Puszta, der Husaren und der irren Mythologien landen andere Tiere in der Salami. Der Reitsport hat viele Fans und gilt als Magyarentradition, die beim jährlichen Nationalgalopp auf dem Budapester Heldenplatz zelebriert wird. Das Thema für die Sportseite drängt sich fast auf. Auf zum Selbstversuch!
Um in Stimmung zu kommen, begeben wir uns schon im Sattel zur Reitstunde. Nicht mit dem Drahtesel auf der Landstraße – das wäre auch eine Extremsportoption gewesen –, sondern auf einem Motorrad mit 85 Pferdestärken. Während der sonnigen Fahrt denke ich mir, das Glück dieser Erde liegt auf dem Sozius – ab einer gewissen Geschwindigkeit jedenfalls. Andererseits steht man auf dem Rücken der Pferde selten im zähen Stadtverkehr an einer roten Ampel nach der anderen oder hängt hinter einem Lastwagen auf der Landstraße fest.
Nach über einer Stunde haben wir Budapest lange hinter uns gelassen und fahren an blauen Straßenschildern vorbei, die den Weg zu diversen Tanyas weisen, auf denen übernachtet, geritten und gegessen werden kann. Hier, am Rande der Puszta, liegt auch der Reithof »Táltos Tanya«, wo neben Reitstunden und Gruppenausritten auch Traktorfahrten angeboten werden. Für das Team ist das Leben und Arbeiten dort durchaus ein Ponyhof, an dem Urlauberinnen ganzjährig teilhaben können.
Nach einer kurzen Begrüßung probiere ich verschiedene Helme, damit der Kopf im Zweifelsfall geschützt ist. Mit einem Sturz wird nicht gerechnet, aber auf so einem lebenden Sportgerät ist der richtige Schutz fast noch wichtiger als auf dem Snowboard. Ein klassischer, lustiger Hut sitzt schließlich richtig auf dem Schädel und ist zumindest luftiger als der ausgeliehene Motorradrockerhelm, den ich gerade erst abgesetzt habe. Nur die Befestigung am Hals ist etwas gewöhnungsbedürftig. Andere Reitkleidung und Handschuhe brauche ich für meine erste Reitstunde nicht. Auch die Sonnenbrille wird für geeignet befunden. Meine Reitlehrerin Karoline, die aus Wien in die Puszta gezogen ist, verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und gibt lieber nur Einzelunterricht, wegen des Lernerfolgs. Deshalb mussten wir leider auf das sonst übliche Gruppenerlebnis verzichten. Ich fühle mich ein bisschen wie ein lonesome cowboy und denke daran, dass der Marlboro-Mann schon lange tot ist. Aber ich bin ja nicht allein, sondern werde später an der Longierleine herumgeführt, die dem Pferd sagt, was es tun soll. Streng genommen reitet ein Cowboy auch ganz anders, nämlich im Western-Stil. Die 20 Pferde auf Táltos Tanya hingegen sind in der englischen Reitweise ausgebildet, ein Sammelbegriff für Dressur, Springen und Geländereiten. Der Spanische Reitstil ist ähnlich, kennt aber besondere Kavallerie-Figuren, die in Lipica und in Wien den Touristen vorgeführt werden. Das braucht in der Puszta kein Mensch. Wer will schon Capriolen oder Levaden vorführen, statt rasant durch die Steppe zu galoppieren?
Über die sogenannten Pferderassen habe ich mich nicht umfassend informiert. Es gibt unzählige und einige davon finden sich auch auf der Koppel, die ich mir schon mal anschauen soll, bevor die Reitstunde beginnt. Die Tiere werden hier nur zum Aufsatteln und Füttern in den Stall geführt. Auch im Winter können sie sich in ihrer Freizeit auf den eingezäunten Wiesen tummeln.
Ich sehe einige weiße und braune Pferde in verschiedenen Schattierungen und ein lustig gesprenkeltes Tier, das seine große Blase kräftig ins Stroh entleert. Ob das wohl das ungarische Warmblut ist? Und ob ich vielleicht auf einem weißen Pferd reiten werde? Das würde so gut zu den Slang-Sprüchen passen, über die die Kollegin bestens informiert ist. Der Kollege, der uns prima hierhin kutschiert hat und Fotos von diesem Abenteuer machen will, denkt als Mann gerade über ein anderes Thema nach: ihn beschäftigt der operative Eingriff, der aus einem Hengst einen Wallach macht. So ein Wallach wird dann für mich herbeigeholt. Er ist braun, heißt Jenga und verfügt über die nötige Berufserfahrung als Reitschulpferd. Deshalb ist er auch vorne behuft, obwohl auf Táltos Tanya zum Wohl der Tiere sonst gerne auf Hufeisen verzichtet wird. Erfahrene Reiterinnen belasten das Tier eher hinten, aber das schaffen Anfängerinnen wie ich noch nicht. Deshalb ist die Belastung der Vorderhufe für das Pferd ungewöhnlich hoch.
Bevor es richtig losgeht, wird Jenga in den Stall geführt und muss erst noch gestriegelt werden, damit keine Stroh- oder Koppelreste mehr auf dem Fell unter dem Sattel kleben und zu Hautverletzungen führen. Pferde können nicht sehen, was unter oder hinter ihnen passiert, deshalb muss Sicherheitsabstand gehalten und durch Handauflegen die Anwesenheit signalisiert werden. Geführt und bestiegen werden Pferde von links. Wenn diese hohen und mehrere Hundert Kilogramm schweren Tieren einen Satz machen, dann nach rechts (ob das wohl nur in Ungarn oder überall so ist?). Deshalb könnte es unangenehm sein, in solch einer Situation rechts neben dem Pferd zu stehen. Auch das gutmütigste Reitschulpferd ist ein unberechenbares Herdentier und wird vom Postauto und anderen Pferden abgelenkt oder könnte sich erschrecken.
Die Pferdehygiene dauert eine Weile. Damit Jenga keine Dreadlocks bekommt, wird auch die Mähne gebürstet. Karoline erklärt mir, dass ich nicht vorsichtig kämmen muss, weil Pferde am Nacken zwar empfindlich sind, aber dort kein Gefühl haben. Da ziept nichts. Außerdem erfahre ich, dass ein Pferd ein Pferd ist und eine Katze eine Katze und dass ich so einem Herdenpferd das Alphatierchen machen muss, damit es auf mich hört.
Um Jenga nicht unnötig zu strapazieren, klettere ich über eine Aufstiegshilfe auf den schicken, seit der Erfindung von Funktionsunterwäsche nicht mehr ganz zeitgemäßen Ledersattel. Vorher soll ich mich noch entspannen und tief durchatmen, weil Tiere Stress spüren können und ich mich hier auf Jenga in direkter Verbindung zur Natur befände und im Einklang mit ihr sein sollte.
Dann werde ich endlich am Hofhund vorbei zum Longierplatz geführt. Schulter, Hüfte und Fersen bilden eine Linie, die Beine müssen am Pferd bleiben, die Wadenmuskulatur muss durchgestreckt sein. Wie ein Anker soll ich im Sattel hängen und in die Richtung schauen, in die ich reiten will. Das funktioniert nicht ganz, es geht wie auf dem Rummelplatz immer im Kreis herum. Der Erstkontakt mit den Zügeln wird hergestellt, ich darf einmal Anhalten üben und schließlich zwei Runden traben. Dann ist der Spaß auch schon wieder vorbei. Karoline ist der Meinung, die erste Stunde sollte enden, wenn es am schönsten ist. Und dann geht es am nächsten Tag heiter weiter. Aber ich muss mich verabschieden und zurück nach Budapest fahren. Nicht ohne mich bei Jenga zu bedanken und ihn wieder gründlich zu putzen natürlich.
Auf der Rückfahrt sitze ich im Reiterinnensitz viel entspannter auf dem Motorradsattel und träume vom Puszta-Galopp. Ich könnte zwischen meinen Schenkeln etwas Hunnenfleisch erwärmen, ich habe Hunger. Aber Jenga kommt mir nicht auf die Pizza!