Nabelschau XV - Egészségedre!

Die Anreise verlief unkompliziert. Für den Großteil der Gruppe mit dem Flieger, ein Kollege kam mit dem Nachtzug angebummelt und einer heizte zwei Tage lang mit dem Motorrad durch die Pampa, bis er endlich aufgeweicht hier ankam. Die Lage vor Ort stellte sich als etwas verzwickt heraus. Zwar gibt es eine fancy Kletterwand im Schlafzimmer, eine Schaukel, ein Wippbett und einen nach S/M-Käfig ausschauenden Fahrstuhl, in dem man sich selbst mittels einer Kette zu dem Podest hochziehen kann, auf dem sich zwei Schlafgelegenheiten befinden, doch die drei angemieteten Appartements sind in Wirklichkeit nur zwei. Auch die Anzahl der Zimmer darin ist bescheiden. Das riesige Schaukelbett wurde zur Trennwand, die Kletterwand-Matte zum Bett. Es gibt nun einen Männer- und einen Frauenschlafsaal, ein Kollege schläft »privat«.
Gearbeitet wird, wo sich gerade ein Plätzchen findet. Dazu kommt, dass Tische hier nicht wirklich vorgesehen sind. Wir mussten uns in dem sympathischen Ruinenpub Kőleves Kert zwei bunte Holztische ausleihen. Außerdem haben wir bei Ikea eine Pressspanplatte mitgehen lassen, die wir über eine Kommode legten, so dass sie so etwas wie einen Arbeitsplatz darstellt. Apropos mitgehen lassen: Gleich in der zweiten Nacht bekamen wir ungebetenen Besuch. Während wir schliefen, stibitzte ein unbekannter Eindringling den Inhalt einer Brieftasche aus einer im Flur hängenden Jacke. Die ollen Laptops ließ er stehen. Vermutlich kennt er sich mit Technik aus. Da wir uns, anders als so ziemlich jede andere Budapester Lokaliät, keine drei stiernackigen Türsteher leisten können, wird nunmehr immer nachts die Tür abgeschlossen.
Unser Quartier liegt in einem charmant vor sich hinbröckelnden Hinterhof im Erdgeschoss, es ist hier grundsätzlich immer zehn Grad kälter als draußen auf der Straße, was die unzähligen Tauben, die hier mit uns leben, aber nicht zu stören scheint. Die zentrale Lage unserer Unterkunft ist optimal und die wunderbare Robot-Bar direkt gegenüber hat großartige Pálinkas und zwei slowenische Biere (also alle beiden – vgl. Jungle World 38/11) vom Fass (!) – nur leider sehr bescheidene Öffnungszeiten.
Einige neue Gesichter sind diesmal mit dabei, und bisher haben sie ihren Einzug ins Dschungelcamp offenbar nicht bereut. Zum zweiten Mal in der Geschichte der Jungle World-Auslandsreisen führen wir auch ein Kind mit, das sich sehr souverän hält, auch wenn es im Zoo mit ansehen musste (Triggerwarnung!), wie ein ungarisches Wollschwein seinen eigenen Urin trinkt. Die Salami vom »Poposchwein« hat dem Kleinen dann aber doch sehr gut geschmeckt. Auch wir Erwachsenen haben natürlich einiges erlebt. Neben der Recherche, die uns unter anderem mit Oppositionellen, Gewerkschaftern, Pferden, Künstlern, Comiczeichnern, Roma-Sprechern, jüdischen Stadtaktivisten und sogar mit einem echten Schamanen zusammenbrachte, haben wir auch die örtliche Badekultur und das quirlige Nachtleben ausgiebig erkundet. Punk, Swingdance, Queerparty, Synagoge, Bienenmuseum, Katzencafé, nationales Reitturnier – haben wir alles mitgenommen. Unser Kulturbeauftragter führte uns sicher zu den angesagtesten Plätzen der Stadt. Im Trafo waren wir bei einem beeindruckend lauten Elektro-Dings-Konzert, im Müszi bei den Alternativen, bei Rahel probierten wir ihren delikaten Flodni-Kuchen aus Mohn, Walnüssen, Äpfeln und Pflaumenmus, im Café Kör speisten wir fürstlich. Ausgehen in Budapest ist wirklich keine Kunst und die Alkoholpreise sind im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Wenn man lange genug durchhält, lernt man auch Leute kennen, die weiter mit einem durch die Nacht ziehen. In Szeged besichtigten wir das Salami- und Paprika-Museum, das beste Gulasch gab’s aber doch bei uns zu Hause.
Den Wahlabend in der BRD registrierten wir fast beiläufig auf einem Laptop in der Küche, Deutschland ist von hier aus doch verdammt weit weg. Claudia Roth? Wer war das nochmal?
Als »Extremsportart im Selbstversuch«, eine bei Auslandsreisen immer wieder sehr beliebte Rubrik, wollten wir diesmal eigentlich Panzerfahren, das wird in Ungarn fast überall als Freizeitspaß angeboten. Aber leider gibt dies die Portokasse nicht her. Schach im Bad wäre zwar auch schön gewesen, aber wenn man sich da nicht früh morgens ein Plätzchen reserviert, hat man keine Chance. Und eine Badewanne, in der man das hätte nachstellen können, bietet unsere Unterkunft leider nicht. Dabei kann schon ein Besuch im Fußballstadion oder der abendliche Gang zum Spätkauf eine Art Extremsport darstellen, wie ein Kollege erfahren musste, der von einem solchen Gang nicht nur mit Club-Mate, sondern auch einem blauen Fleck zurück kam.
Budapest, das steht für uns nach zehn Tagen jedenfalls fest, ist wunderschön, sehr lebendig und definitiv eine Reise wert, und wenn man nicht mit 15 Leuten in drei Zimmern im Erdgeschoss eines Hinterhofs zieht und dort auch noch ein Büro aufbauen muss, dann kann das sicher auch sehr erholsam sein. Immerhin: Einige von uns können inzwischen sogar auf Ungarisch prosten. Und darauf sind wir ganz besonders stolz.