Ein Gespräch mit Oppositionellen

Was tun, wenn’s riecht?

Eine Partei gründen, sich mit kleinen Erfolgen begnügen oder das Land verlassen – die außerparlamentarische Opposition in Ungarn geht auf verschiedene Arten mit der politischen Lage um.

András Szeles ist begeistert. »Berlin ist eine sehr schöne Stadt. Friedrichshain, Kreuzberg, das sind meine Lieblingsorte«, sagt er. Katka Cseh findet es hingegen tragisch, dass es die FDP nicht in den Bundestag geschafft hat: »Keine liberale Partei im Parlament, das ist schlimm.«
Schlimmer finden Szeles und Cseh an diesem Abend in einer Budapester Bar allerdings die politische Lage in Ungarn. Sie sind Mitglieder der Organisation »Eine Million für die Pressefreiheit«, kurz Milla. 2011 aus Protest gegen das neue Mediengesetz entstanden, veranstaltete Milla in den Jahren 2011 und 2012 große Demonstrationen in Budapest. An der Protestkundgebung im März 2012 beteiligten sich annähernd 100 000 Menschen.

»Nach dieser Demonstration wurde uns klar, dass wir organisatorisch etwas anderes brauchen«, sagt Szeles. Seit kurzem gehört Milla nun als »liberale Plattform« einer Partei an, die sich »Gemeinsam 2014« nennt, in Anspielung auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. »Nach einer gewissen Zeit wollen die Leute mehr, als gute Reden auf einer Demonstration hören«, begründet Cseh den Schritt. Auch die ehemalige Bürgerbewegung Vierte Republik möchte 2014 als »neue linke und patriotische Partei«, so die Selbstbeschreibung, antreten.
Ebenfalls an »Gemeinsam 2014« beteiligt ist die Gesellschaft für Patriotismus und Fortschritt des ehemaligen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai. »Er war 2009 und 2010 ein technokratischer Krisenmanager, der durchaus harte Sparmaßnahmen veranlasste, aber es gelang ihm, einigermaßen beliebt in der Bevölkerung zu bleiben«, führt Cseh aus. »Wir haben insgesamt ein libe­rales Programm«, sagt Szeles. »In der Öffentlichkeit be­zeichnen wir uns aber lieber als Zen­tristen. Denn liberal bedeutet für die meisten Ungarn: Man stiehlt Geld, ist ein Agent der USA, Israels, der EU und des IWF, will Ungarn schaden und ist Jude«, erläutert Cseh.
Angesichts solcher antisemitischen Verschwörungsphantasien überrascht es, dass die Mit­glieder Millas dem Kampf vor allem gegen die rechtsextreme Jobbik nur wenig Aufmerksamkeit schenken. »Wir haben da keine Strategie. Es gab bereits von 1994 bis 2002 eine starke rechtsextreme Partei, die wieder verschwunden ist«, sagt Szeles. Es gehe darum, die Wähler zu überzeugen, dass Jobbik keine Antworten hat. »Ich glaube, nur wenige Jobbik-Wähler sind Extremisten und hassen Zigeuner«, sagt Cseh, Szeles widerspricht. »Na gut. Aber sie sind nicht rassistischer als der durchschnittliche Ungar«, findet die junge Frau.
Szilárd Teczár studiert dort, wo Jobbik ihren Ursprung hat: an der Corvinus-Universität in Budapest. Der Student der Medienwissenschaften ist wie die Soziologiestudentin Agnes Fernengel Mitglied des Studentennetzwerks, eine Protestgruppe, die 2011 entstanden ist, als das Gerücht einer bevorstehenden Bildungsreform umging. Die Zustimmung für Jobbik sei unter Studenten besonders hoch, sagt er. »Es gibt derzeit Versuche, eine rechte Studentenorganisation mit dem ­Namen ›Ungarischer Frühling‹ zu gründen. Die studentische Selbstverwaltung der Juristen steht stark unter dem Einfluss von Jobbik.« Da das ­Studentennetzwerk aber viele Anhänger habe, machten die Rechtsextremen keinen Ärger.

Schwierigkeiten bereitet hingegen die 2012 verabschiedete Bildungsreform. Die Regierung hat das Budget für die Universitäten um die Hälfte gekürzt, ihre Autonomie abgeschafft, die Zahl der staatlich bezuschussten Studienplätze erheblich verringert und Absolventen dazu verpflichtet, nach dem Abschluss das Land nicht zu verlassen oder finanzielle Einbußen hinzunehmen. »Es wurde Lehrpersonal entlassen, so dass nicht alle Kurse stattfinden können«, sagt Fernengel über die Auswirkungen der Budgetkürzung. »An meiner Fakultät wurden im April 22 Professoren entlassen«, berichtet Teczár.
Dennoch hat das Studentennetzwerk mit seinen Protesten nach Ansicht der beiden etwas erreicht. »Dass Studenten in 16 Fachrichtungen ganz ohne staatliche Studienfinanzierung auskommen müssen, konnte die Regierung nicht durchsetzen«, sagt Fernengel. »Ursprünglich hätten dem Studentenvertrag zufolge Absolventen die doppelte Anzahl ihrer Studienjahre im Land bleiben müssen. Nun ist es nur noch die gleiche Zeit wie die Studienzeit. Das ist nicht, was wir wollten, aber eine kleine Errungenschaft«, ergänzt Teczár. Fernengel muss sich nicht mehr lange mit den ungarischen Gegebenheiten herumschlagen, sie studiert bald in Bielefeld. Dass die Stadt einem hartnäckigen Gerücht zufolge gar nicht existieren soll, hat sie schon gehört. »Ich möchte mich trotzdem mit eigenen Augen überzeugen«, sagt sie.
Armin Langer lebt bereits in Deutschland. Er gehört zu den Gründern der Ungarischen Knoblauchfront, einer Satiregruppe, die sich mit Vorliebe über die Symbole und Ideologie der unga­rischen Rechten hermacht. Für ihre Flagge hat sich die Gruppe der Hakenkreuzfahne bedient, anstelle des Hakenkreuzes ist eine stilisierte Knoblauchzehe abgebildet. »Am Anfang haben wir eine alternative antifaschistische Gruppe gegründet, denn der Antifaschismus in Ungarn war unsexy: Kränze an Sowjetdenkmälern niederlegen und sonst nichts. Nach einer Weile haben wir festgestellt, dass unsere Regierung viel Material für Satire liefert«, sagt Langer. »Wir dachten, dass es auf diese absurde Lage in Ungarn keine andere Antwort gibt.«
Der Entschluss des Präsidenten der Abteilung für Propaganda und Ideologie, nach Berlin zu ziehen, hat zwar auch private Gründe, weil er dort ab Oktober das Rabbinerseminar besuchen wird, doch auch die Politik spielt eine Rolle. »Als politischer Aktivist wollte ich nicht mehr gegen die Strömung schwimmen. In Ungarn bin ich auch in der Opposition in der Minderheit«, sagt er. So kritisiert er beispielsweise Gordon Bajnai und auch den ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány von der Demokratischen Koa­lition für die drastischen Kürzungen im Sozialsystem während ihrer Amtszeit, da mit neuen Kürzungen bei einer Wiederwahl zu rechnen sei.
Die Knoblauchfront wird auch ohne Langer weiterbestehen. »Meine Nachfolger sind zwei sehr süße und kreative Jungs mit Knoblauch­ärschen. Sie werden in Zukunft unseren Kampf leiten: gegen Unterdrückung, Manipulation und alles, was schlecht riecht.«