Demokratische Rebellen in Syrien

Zwischen allen Fronten

Die demokratisch orientierten Rebellen in Syrien kämpfen gegen Assads Regime sowie gegen Ableger von al-Qaida.

Am 27. September, dem Tag, an dem der UN-Sicherheitsrat erstmals eine Resolution zu Syrien verabschiedete, kamen nach Informationen der syrischen Local Coordination Committees 113 Menschen gewaltsam zu Tode, also in etwa so viele wie durchschnittlich an jedem anderen Tag des Jahres bisher auch. Von allen Fronten, ob im Süden oder Norden des Landes, wurden heftige Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen gemeldet, während die libanesische Regierung erklärte, ihr Land habe inzwischen mehr als eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Weitere fünf Millionen sind entweder in andere Nachbarländer geflohen oder innerhalb Syriens unterwegs.
Doch all dies findet in der Resolution, die UN-Generalsekretär Ban Ki-moon als »historisch« bezeichnete, keine Erwähnung. Präsident Bashar al-Assad wird darin lediglich aufgefordert, das syrische Chemiewaffenarsenal unter internatio­nale Kontrolle zu stellen, damit es vernichtet werden kann. Dafür sollen Inspekteure der »Organisation für das Verbot von Chemiewaffen« in Kürze nach Damaskus reisen. Wie sie inmitten eines Bürgerkriegs, in dem bewaffnete Oppositionelle große Teile des Landes kontrollieren, ihre Aufgabe erfüllen sollen, darüber schweigt man sich aus.
Russland, der engste Verbündete des Assad-Regimes, konnte sich in der Uno weitgehend durchsetzen, weil die US-Regierung in allen strittigen Punkten nachgegeben hat: Weder macht der ­Sicherheitsrat das Regime für die Giftgasangriffe verantwortlich, noch sieht die Resolution vor, dass es, sollte Assad sich nicht kooperativ zeigen, automatisch zu Strafmaßnahmen, notfalls auch militärischer Art, kommen werde. In einem solchen Fall müsse der UN-Sicherheitsrat vielmehr erneut zusammenkommen, um weitere Schritte einstimmig zu beschließen. Damit verbleibt das letzte Wort bei den Vetomächten Russland und China, sie können jede weitere Resolution blockieren. Und der russische Außenminister ließ sicherheitshalber schon verlautbaren, dass sein Land militärischen Maßnahmen gegen Syrien nicht zustimmen werde.

Von einer neuen Friedenskonferenz war dagegen die Rede, die man nun ganz dringend in Genf abhalten wolle. Worüber man mit wem auf dieser Konferenz eigentlich reden will, bleibt offen. Die syrische Opposition nämlich, so zersplittert sie ansonsten auch sein mag, hat einhellig klar gemacht, dass es Verhandlungen mit ihr nur geben wird, wenn Assad zurücktritt. Assad wiederum betont, dass er keineswegs vorhabe zurückzutreten. War vor einem Jahr auch noch in westlichen Hauptstädten zu hören, dass eine Zukunft Syriens nur ohne ihn denkbar sei, ist dort längst von ­regime change keine Rede mehr. Im Gegenteil, die UN-Resolution richtet sich ja ausdrücklich an die bestehende syrische Regierung, fordert ihre Kooperation und behandelt Assad damit als Partner. Diese politische Aufwertung dürfte auch den Nachteil aufwiegen, den das Regime militärisch wohl in Kauf nehmen muss. Denn auf weiteren strategischen Einsatz von Giftgas wird es wohl vorläufig verzichten müssen, dafür werden seine Alliierten in Moskau und Teheran Sorge tragen, wollen sie ihr Gesicht nicht verlieren.
Dass sie allerdings nur mit konventionellen Waffen diesen Krieg gewinnen wird, daran glaubt selbst die Regierung in Damaskus nicht mehr so recht. Von einer militärischen Pattsituation, in der man sich befinde, sprach in einem Interview plötzlich der syrische Vizepräsident, auch aus den groß angekündigten militärischen Offensiven des Regimes ist wenig geworden.

Fest hatten Oppositionelle und Rebellengruppen mit einem Militärschlag der USA gerechnet. Vor allem die syrische Luftwaffe, von der das Regime abhängig ist, so hoffte man, würde dann außer Gefecht gesetzt, womit sich die militärische Balance zu Ungunsten des Regimes verschoben hätte. Nun ist klar: In absehbarer Zeit wird es zu keiner Intervention kommen. Dagegen werden der Iran und Russland das Regime weiterhin unterstützen, auch wenn, wie ein libanesischer Geheimdienstler Reuters erklärte, es dem von internationalen Sanktionen gebeutelten Iran immer schwerer falle, monatlich an die 700 Millionen Dollar für Syrien aufzubringen. Auf der anderen Seite fließen Geld und Waffen an die Rebellen. Viel aus den Golfstaaten an Islamisten, weniger aus dem Westen an sogenannte moderate Rebellen.
Die sind, neben all den Syrern, die auf einen Militärschlag der USA gehofft hatten, auch bislang die größten Verlierer, stehen sie doch jetzt mit leeren Händen zwischen allen Fronten. Pünktlich zum Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center hatte im Namen von al-Qaida Ayman al-Zawahiri allen »westlich und demokratisch« orientierten Rebellen den heiligen Krieg erklärt. Es kam in vielen von ihnen kontrollierten Gebieten Nordsyriens zu heftigen Gefechten zwischen Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) und des al-Qaida-Ablegers »Islamischer Staat des Irak und der Levante« (ISIL). Zugleich spalteten sich 13 islamisch orientierte Rebellengruppen von der FSA ab und gaben bekannt, fortan nur noch die Sharia als Gesetz Syriens zu akzeptieren. Auf Seiten der Opposition kämpfen nun also, untereinander verfeindet, Jihadisten, die Syrien lediglich als einen Schauplatz ihres Kampfes für ein internationales Kalifat betrachten, national orientierte Is­lamisten und jene Organisationen, die sich im weitesten Sinne für die Schaffung eines pluralis­tischen und demokratischen Syrien einsetzen.
Letztere, die noch am ehesten den ursprünglichen Zielen der Aufständischen in Syrien verpflichtet sind, befinden sich nun in einem Zweifrontenkrieg gegen das Regime und seine Alli­ierten, Iran und Hizbollah, auf der einen, gegen al-Qaida auf der anderen Seite. Zugleich verlieren sie an Einfluss, auch weil die USA und andere westliche Staaten, auf deren Unterstützung sie gesetzt hatten, es stattdessen vorziehen, in der Uno diplomatische Siege erringen, die am Ende so aussehen wie die jüngste UN-Resolution.
Eines jedenfalls dürfte nach diesem Erfolg multilateraler Diplomatie klar sein: Der Krieg in Syrien wird weitergehen, ein schon jetzt verwüstetes Land wird, ob mit oder ohne Einsatz chemischer Waffen, weiter verwüstet werden.