Analysiert den Erfolg der Partei »Alternative für Deutschland«

Deutsche Querfront

Die Alternative für Deutschland wilderte nicht nur bei bürgerlichen Parteien, sondern erhielt auch viele Stimmen von bisherigen Anhängern der Linkspartei.

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) rüstet sich nach einem mit 4,7 Prozent der Stimmen beacht­lichen Bundestagswahlergebnis für die nächsten Wahlen. Bei der Europawahl im Mai 2014 gilt lediglich die Drei-Prozent-Hürde. Für einen Erfolg bei den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen spricht, dass die Partei bereits bei der Bundestagswahl in Sachsen 6,8 Prozent erzielen konnte. In den neuen Bundesländern schnitt die AfD mit Parolen wie »Einwanderung ja. Aber nicht in unsere Sozialsysteme!« überdurchschnittlich gut ab.
Für den weiteren Aufbau der gegenwärtig rund 14 000 Mitglieder umfassenden Partei sind dies günstige Voraussetzungen. Doch derzeit wird Bernd Lucke, der bekannteste der drei amtierenden Parteisprecher der AfD, wieder mit der Nähe zum rechten Rand konfrontiert. Nachdem der Vorsitzende der »islamkritischen« Kleinpartei »Die Freiheit«, René Stadtkewitz, einen Aufruf zur Unterstützung der AfD veröffentlicht hatte, kündigte Lucke zunächst einen Aufnahmestopp für die Mitglieder des gescheiterten rechtspopulistischen Projekts an. Die Führungsriege der AfD war im Wahlkampf stets um rhetorische Abgrenzung von der rechten Konkurrenz bemüht. Dabei stehen bereits prominente Unterstützer der AfD wie der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider oder der Volkswirt Wilhelm Hankel für rege Kontakte zu den diversen Fraktionen der deutschen Rechten. Die Wochenzeitung Junge Freiheit agierte im Wahlkampf wie ein Parteiblatt der AfD. Wahlkampf­slogans wie »Mut zur Wahrheit« erinnerten an den rechtspopulistischen Kurs der FDP unter Jürgen Möllemann im Jahr 2002. Als Lucke dann am Wahlabend vor seinen jubelnden Anhängern von den »Entartungen der Demokratie und des Parlamentarismus in den letzten vier Jahren« sprach, vervollständigte sich für viele Beobachter das Bild einer deutschen Rechtspartei.Die Sprecher der AfD verweisen angesichts dieses Vorwurfs auf ihre heterogene Wählerschaft. Die meisten Stimmen erhielt die AfD nach Angaben von Infratest Dimap mit 430 000 Stimmen von ehemaligen Wählern der FDP. 340 000 Stimmen kamen von ehemaligen Anhängern der Linkspartei. Die AfD vereinigt somit Wählermilieus unterschiedlicher Parteien, deren Repräsentanten im Parlament ein antagonistisches Verhältnis pflegten.

Der Erfolg der AfD ist ein Resultat vordergründiger Paradoxien. Das wichtigste Resultat des Wahlantritts der »Euro-Kritiker« ist die Spaltung des klassischen bürgerlichen Lagers. Wegen der Fünf-Prozent-Hürde bleiben jene 9,5 Prozent der Wähler, die für die AfD und FDP gestimmt haben, ohne Repräsentation im Bundestag. Der Unmut über die FDP ist so groß, dass ihr Scheitern auf der Wahlparty der AfD johlend beklatscht wurde. Die Fortführung der Politik der »Rettungsschirme« unter einer Großen Koalition oder Schwarz-Grün wird dabei als parlamentarischer Kollateralschaden offenbar in Kauf genommen.
Überraschend scheint der Anteil der Stimmen von vormaligen Wählern der Linkspartei. Dabei hatte bereits die Parteivizevorsitzende Sahra Wagenknecht kurz nach Gründung der AfD auf »viele Überschneidungen« zwischen Linkspartei und AfD in der Kritik an der Europapolitik von Kanzlerin Merkel hingewiesen. Ohnehin folgt bei vielen Wählern der Linkspartei aus der Klage über das leere Portemonnaie nicht die Solidarität mit den Verdammten dieser Erde, sondern die Identifikation mit dem deutschen Staatshaushalt. Wahlkampfparolen der AfD wie »Die Griechen leiden. Die Deutschen zahlen. Die Banken kassieren« werden hier ihre Wirkung nicht verfehlt haben.
Die Begeisterung, die der stets etwas pennälerhaft wirkende Hamburger Makroökonom Bernd Lucke als Leitfigur der Partei entfachen kann, irritiert dabei auch konservative Kommentatoren. Mit welcher Leidenschaft sich die Anhänger der AfD gerade im Internet austoben, erleben auch bürgerliche Politiker und Publizisten, die sich kritisch zur Partei äußern. So hatte Ulf Poschardt, der stellvertretende Chefredakteur der Welt am Sonntag, in der ARD auf den »tief illiberalen« Charakter der AfD hingewiesen. Er erntete daraufhin auf seiner Facebook-Seite einen Shitstorm, der Auskunft über die trüben Ressentiments profilneurotischer Wutbürger gab. Mit Alexander Gauland sah sich sogar ein Sprecher der AfD dazu veranlasst, eine Distanzierung unter dem Titel »Aufruf zur Mäßigung im Internet« auf die Homepage der Partei zu setzen. Contenance, einst ein bürgerlicher Schlüsselbegriff, scheint vielen Anhängern der AfD fremd zu sein.

Die AfD ist derzeit die »rechtsbürgerliche« Opposition im parlamentarischen Wartestand. Ihre programmatische Orientierung zielt auf einen klassischen Ordoliberalismus, in der Familienpolitik dominieren rechtskonservative Züge. Die Dynamik des Parteiaufbaus wird begleitet von Berichten über heftige Auseinandersetzungen in den Landesverbänden. Auch über die Inhalte jenseits der Euro-Rettung wird bereits gestritten.
Einen radikalen Bruch mit der politischen Kultur in der Bundesrepublik vollzieht die AfD bislang jedoch nicht. Auf der Funktionärsebene ist die AfD eine Eliten- und Honoratiorenpartei. Führende Köpfe wie Alexander Gauland entstammen den nationalkonservativen Seilschaften der hessischen Union oder sind wie der stellvertretende Parteisprecher, der Publizist Konrad Adam, exponierte Kritiker der Christdemokratie unter Angela Merkel. Die AfD ist derzeit keine klassische Rechtspartei wie die FPÖ. Auf kulturkämpferische Themen hat die Parteiführung im Wahlkampf verzichtet. Das könnte sich nun ändern. Bereits am Wochenende mehrte sich in den ostdeutschen Landesverbänden der Protest gegen den Aufnahmestopp von »Islamkritikern«. Hier ist eine Bewegung der AfD weiter nach rechts wahrscheinlich.
Völkischer Rassismus findet sich im Wahlprogramm jedoch nicht. Variiert wird dort die auch von den sogenannten Volksparteien bekannte Forderung nach weniger Ausländern, »die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen«, wie Günther Beckstein (CSU) einst prägnant formulierte.
Derart spitzt die AfD mit ihrer Agitation gegen die »Einwanderung in die Sozialkassen« populäre Positionen zu, die auch in der vielzitierten »Mitte der Gesellschaft« zirkulieren. Zudem ist der Nationalchauvinismus der Bild-Zeitung aufgrund der Polemik gegen die »Pleite-Griechen« nach wie vor schriller als die Wahlkampfparolen der »Euro-Kritiker«. Ein Plädoyer für die AfD hat der Springer-Verlag nicht abgegeben. In der Berichterstattung von Bild firmierte sie vorzugsweise als Partei der »Euro-Hasser«. Wichtige Kapitalfraktionen wie der Bundesverband der deutschen Industrie hüten sich derzeit ebenfalls vor einer Empfehlung der AfD. Die in der Partei versammelten Volkswirte repräsentieren zurzeit die ordoliberalen Sonderpositionen jener Makroökonomen, die im Exportland Deutschland auch eine Rückkehr zur Deutschen Mark für diskutabel erachten.
Solange Deutschland noch als Gewinner der Euro-Krise gilt und Kanzlerin Merkel mit der Rolle des »widerwilligen Hegemons« kokettieren kann, bleiben die »Euro-Kritiker« der AfD eine Minorität, die zweifellos medienwirksam ist. Aber solange der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer mit seiner Forderung nach einer Autobahnmaut für Ausländer große Wahlerfolge erzielt, bleibt der Rechts­populismus als politische Technik zentraler Teil jener Volksparteien, die zudem mit dem Vorwurf des »Rechtspopulismus« ihre »bürgerliche« Konkurrenz noch relativ erfolgreich stigmatisieren.
Die Unterstützung in Kapitalverbänden und Medien hat die Partei der »Euro-Kritiker« 2013 nicht erhalten. Doch für den Fall eines dramatischen Scheiterns der europäischen Krisenpolitik steht für eine programmatische Umkehr hier mit der AfD auch in Deutschland ein parteipolitischer Rettungsschirm bereit.