Um Europas ängstliche Mittelschicht kümmern sich rechtspopulistische Parteien

Europa ist an allem schuld

Die »Alternative für Deutschland« ist kein Unikum. Für die von Abstiegsängsten ­gebeutelte Mittelschicht stehen in den reicheren Staaten und Regionen Europas rechtspopulistische Parteien bereit. Für die Verlierer in den Pleitestaaten existiert die völkische Variante.

Sie sind erfolgreich und bislang von der Wirtschaftskrise kaum betroffen. Dennoch steigen die Europaskeptiker und Rechtspopulisten in den reichen Ländern des Kontinents kontinuierlich in der Wählergunst. Die Alternative für Deutschland erhielt aus dem Stand heraus fast fünf Prozent der Stimmen bei den Bundestagswahlen, und kaum jemand bezweifelt, dass sie im kommenden Jahr bei Landtags- und Europawahlen zulegen wird. In Österreich erreichten die Rechtspopulisten von FPÖ, Team Stronach und BZÖ vorige Woche zusammen knapp ein Drittel aller Stimmen. Und in Norwegen deutet nach ihrem Wahlerfolg alles auf eine Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen Fortschrittspartei hin, der bis 2006 auch der Rechtsextremist und Massenmörder Anders Behring Breivik angehörte.

Dabei hat der Schengenstaat Norwegen, der zwar nicht zur EU, aber zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört, alles, wonach sich in Europa alle anderen sehnen. In den vergangenen zehn Jahren stiegen dort die Löhne deutlich schneller als die Preise. Die Arbeitslosenquote ist die niedrigste in ganz Europa, das Wohlfahrtssystem gilt weltweit als beispielhaft. Möglich wird dieser Wohlstand vor allem durch den enormen Ölreichtum des Landes: Der staatliche Ölfonds verwaltet derzeit 570 Milliarden Euro.
Dennoch gelingt es den »Fortschrittlichen«, die Ängste vor allem der Mittelschicht mit einfachen Mitteln zu bedienen. Diese hat noch etwas zu verlieren, sozialen Status und materielle Privilegien. Sie sieht sich von zwei Seiten bedroht. Einerseits durch die zunehmende Masse der sozial Deklassierten, seien es Flüchtlinge oder die Arbeitslosen in den europäischen Peripheriestaaten. Andererseits durch die neuen, global agierenden Finanz­eliten, die das alte industriell geprägte System ergänzen und deren Handeln für viele kaum durchschaubar ist. Diese Statussorgen konterkarieren die Rechtspopulisten, indem sie eine ethnisch-nationale Homogenität beschwören, die es mit ­allen Mitteln gegen Fremdes zu verteidigen gelte.

Die Botschaft findet nicht nur in Norwegen Zuspruch. Mit dem Slogan »Wir sehen nicht ein, warum wir für Portugal zahlen sollen« heimsten die »Wahren Finnen« vor zwei Jahren einen großen Wahlerfolg ein. »Liebe deinen Nächsten – für mich sind das unsere Österreicher«, ließ der FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache plakatieren. In Dänemark fordert ein Abgeordneter der rechten Volkspartei, die Grenzen zu osteuropäischen Ländern zu schließen. In Frankreich wächst die Beliebtheit des Front National mit seiner Vorsitzenden Marine Le Pen, die aus der EU austreten und die Zuwanderung drastisch einschränken will. Zu den Krisengewinnern gehören auch die Separatisten aus reichen Regionen wie Katalo­nien oder Schottland, die ihren Wohlstand möglichst bald selbst verwalten wollen.
Während sich in den reichen europäischen Staaten der Wohlstandschauvinismus noch in die moderatere Form bürgerlicher Parteien kleidet, orientieren sich die Verlierer an der völkischen Variante, wie bis vor kurzem der beispiellose Aufstieg der nazistischen Goldenen Morgenröte in Griechenland zeigte oder derzeit an der Regierung Victor Orbáns in Ungarn sichtbar wird.
Der Puls der von Abstiegsängsten geplagten Bürger wird sich demnächst noch weiter beschleu­nigen. Bald stehen weitreichende Entscheidungen an: Griechenland benötigt dringend ein neues milliardenschweres »Hilfspaket«. Völlig unklar ist, ob Portugal oder Irland sich je wieder selber ­finanzieren können. Die geplante Bankenunion kommt kaum voran. Und jede auch nur vorläu­fige Lösung ist mit hohen Kosten verbunden, die jene, die das nötige Budget hätten, nicht zahlen wollen. Die rechten Populisten können sich schon auf die nächsten Wahlen freuen.