Die US-Republikaner und die Haushaltskrise

Nach der Krise ist vor der Krise

Trotz ihrer Niederlage werden die Republikaner in den USA den Kampf gegen den Sozialstaat fortsetzen.

So etwas konnte nur in den USA passieren. In fast allen demokratischen Staaten führt es zu Neuwahlen, wenn der Regierungschef im Parlament keine Mehrheit für seine Politik findet. In den USA hingegen ist dieser Ausweg ausgeschlossen, nur deshalb konnten die Republikaner mit der Drohung, eine Staatspleite zu provozieren, die Welt so lange in Atem halten. Und sie könnten es wieder tun, denn die in der vergangenen Woche erzielte Einigung bedeutet nur eine Vertagung des Konflikts. Vereinbart wurde ein vorläufiger Haushalt bis zum 15. Januar, die Schuldenobergrenze wurde bis zum 7. Februar angehoben. Allerdings darf das Finanzministerium »außerordentliche Maßnahmen« ergreifen, so dass nicht sofort wieder eine Staatspleite droht. Ohnehin werden die Republikaner das Spiel wohl nicht einfach wiederholen, da es ihre Populariät auf einen historischen Tiefstand sinken ließ.
Zugestanden hat Präsident Barack Obama ihnen jedoch nur ein Komitee, das bis zum 13. Dezember langfristige Sparmaßnahmen beschließen soll, und eine gründlichere Überprüfung der Einkommenverhältnisse bei der Beantragung von Zuschüssen für die Krankenversicherung. Mit dieser Niederlage werden sich die Republikaner nicht abfinden. Obwohl nur sechs Senatoren dem Tea Party Caucus angehören, stimmten 18 gegen die Einigung, und auch die Zahl der Gegenstimmen im Repräsentantenhaus übertraf mit 144 erheblich die der etwa 60 bekennenden Anhänger der rechtslibertären Bewegung.

John Boehner, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, machte in der Öffentlichkeit keine gute Figur, doch wird es ihm nach der Niederlage wohl leichter fallen, rechtslibertäre Abgeordnete für eine durchdachtere Strategie zu gewinnen. Zumindest bis zu den midterm elections im November 2014, wenn die Mandate im Repräsentantenhaus und 33 Senatssitze neu vergeben werden, dürfte die politische Krise andauern. Vielleicht sogar noch länger, denn dass die Republikaner in landesweiten Umfragen schlecht abschneiden, sagt wenig über die Chancen ihrer Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen aus.
Daher wird in den USA nun auch über die Schwächen des politischen Systems diskutiert. Neu ist diese Debatte nicht, so schrieb der Poli­tologe Juan Linz bereits 1990 im Journal of Democracy über die »Gefahren des Präsidentialismus«. Sowohl der Präsident als auch das Parlament »können demokratische Legitimiät beanspruchen«, ein Konflikt ist »möglich und kann in dramatischer Weise ausbrechen«. Dann gibt es »kein demokratisches Prinzip, auf dessen Basis er gelöst werden kann«. Dass es bislang gelungen sei, solche Konflikte zu bewältigen, liege nicht zuletzt am »einzigartig diffusen Charakter der politischen Parteien Amerikas«.
Das politische System stammt aus der Postkutschenzeit, in der auf nationaler Ebene nur eine rudimentäre und langsame Kommunikation möglich war. Grundlegend reformiert wurde es nie. Um Einfluss zu nehmen, bedürfen die Poli­tikerinnen und Politiker weiterhin eines nationalen Verbundes, gewählt aber wird dezentral, so dass der lokale Rückhalt weitaus bedeutender ist als die Unterstützung der Parteiführung. Die beiden großen Parteien sind daher eher Bündnisse von Personen und Interessengruppen als durch eine Ideologie oder auch nur ein Programm zusammengehaltene Organisationen. Daran hat sich wenig geändert, die derzeit oft beschworene ideologische Polarisierung ist ein Mythos. Es ist kaum ein unideologischerer Politiker denkbar als Obama. Was er in der Außenpolitik will, weiß er wohl selbst nicht, seine Bürgerrechtspolitik ist bestenfalls unentschlossen und mit seinen wirtschafts- und sozialpolitischen Ansichten, die auf Ausgleich und Konsens abzielen, fände er auch einen Platz in der CDU. Überdies gibt es unter den Demokraten linke Sozialdemokraten und sogar ein paar Sozialisten, aber auch Konservative.
Versteht man unter Ideologie ein konsistentes System, hat auch die Republikanische Partei ihren ideologisch diffusen Charakter bewahrt. Hinter dem kompromisslosen Kampf der Rechtslibertären gegen den Sozialstaat steht eine Idee und Lebenshaltung, doch fehlt eine Vorstellung über die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft. Christliche Parolen spielen eine geringe Rolle, mit dem klassischen Konservatismus haben die Rechts­libertären wenig zu tun. Werte wie Achtung vor der Tradition, Seriosität, Höflichkeit und Respekt vor dem Amt des Präsidenten, auch wenn man dessen Inhaber nicht ausstehen kann, sind ihnen fremd. Selbst Boehner seufzte über die rechts­libertären Neulinge im Repräsentantenhaus, sie sollten nun langsam »erwachsen werden«.

Für eine grundlegende Reform der Institutionen gäbe es zwar gute Gründe, doch ist sie auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Zudem liegt jeder institutionellen Krise eine tiefer liegende politische Krise zugrunde. Das Problem ist jedoch nicht die gesellschaftliche Polarisierung, die etwa zur Zeit von Franklin D. Roosevelts New Deal und in den sechziger Jahren, der Epoche der Bürgerrechts-, Jugend- und Antikriegsbewegung, schärfer war, sondern die Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses.
»Die Zeit ist gekommen, um eine umfassende Gesundheitsversorgung hoher Qualität für jeden Amerikaner erreichbar zu machen. Ich werde ein extensives neues Programm vorschlagen, das einen umfassenden Gesundheitsversicherungsschutz für Millionen Amerikaner gewährleisten wird, die ihn sich jetzt nicht leisten können.« Das sagte nicht etwa Obama, sondern der republikanische Präsident Richard Nixon im Jahr 1974. Seitdem ist die amerikanische Gesellschaft in vielerlei Hinsicht liberaler geworden, im Hinblick auf die soziale Frage aber nach rechts gerückt. Dies dürfte der wichtigste Grund dafür sein, dass Rechtslibertäre die informelle Führung bei den Republikanern übernommen haben.
Nixon stand unter dem Druck der radikalen Jugend- und der organisierten Gewerkschaftsbewegung. Derzeit fehlt eine relevante linke Kraft auf der Straße und in den Institutionen. Trotz intensiver Bemühungen um das unionizing haben die Gewerkschaften nicht annähernd ihren früheren Einfluss zurückgewinnen können, in vielen Bundesstaaten und Branchen kämpfen sie ums Überleben. Legt man keine allzu strengen Krite­rien an, kann die »Occupy«-Bewegung zwar als links bezeichnet werden, doch mit der Weigerung, durch die Formulierung klarer Forderungen kampagnenfähig zu werden, beraubte sie sich der Chance, etwas durchzusetzen.
Die Tea-Party-Bewegung hingegen, die ebenfalls gegen die Macht der Wall Street agitiert, hat sich auf eine Kernforderung – Senkung der Staats-, vor allem der Sozialausgaben – verständigt und einen Weg gefunden, weit mehr Einfluss zu nehmen, als es dem landesweiten Stimmenanteil ihrer Kandidaten entspräche. Das politische System der USA erleichtert das, doch hätte die Tea Party als eigenständige Partei unter dem Verhältniswahlrecht ebenfalls erheblichen Einfluss.
Die Entwicklung nach rechts, die in den meisten westlichen Staaten zu beobachten ist, nimmt in den USA eine spezifische Form an. Die individuellen Freiheitsrechte sind nicht in Gefahr, sie könnten, da die Rechtslibertären sich etwa gegen staatliche Überwachung wenden, sogar gestärkt werden. Die Gleichstellungsmaßnahmen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die ohnehin schwachen sozialstaatlichen Institutionen hingegen sind bedroht. »Der Kampf geht weiter«, drohte Boehner unmittelbar nach der Niederlage.