Harte Gerichtsurteile gegen Asylsuchende in Eisenhüttenstadt

Sheriff von Eisenhüttenstadt

Eine Richterin am Amtsgericht Eisenhüttenstadt verfolgt eine harte Linie gegen Asylbewerber. Ein Berliner Anwalt hat jetzt Strafanzeige gestellt – wegen Rechtsbeugung.

Sicher ist nur so viel: Der Angeklagte ist ein georgischer Staatsbürger und fuhr mit einem polnischen PKW bei Frankfurt/Oder auf der Bundesautobahn 12 über die Grenze nach Deutschland. Er konnte keinen Pass vorlegen. Illegale Einreise, befindet die Strafrichterin Heidemarie Petzoldt und verurteilt ihn zu einem Monat Haft auf Bewährung. Straffrei, weil Asylsuchende unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention stehen, entgegnet sein Rechtsanwalt Volker Gerloff aus Berlin. Doch was auf den ersten Blick aussieht wie eine gewöhnliche Meinungsverschiedenheit zwischen Juristen, ist weit mehr.

Petzoldt hat nicht nur in diesem Fall so entschieden. Die Richterin ist zuständig für Verfahren wegen Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz und verhängt offenbar regelmäßig im Schnellverfahren Bewährungsstrafen und Geldstrafen gegen Asylsuchende, die aus Polen oder Litauen einreisen. Drei Urteile liegen der Jungle World vor. Die Angeklagten werden darin als »Asyltouristen« bezeichnet, die sich »auf die Reise in ein ihnen genehmes Land der Europäischen Union« begeben. Sie würden »in der Regel in große Städte wollen, so nach Berlin, Hamburg, aber auch nach Brüssel oder Paris«. Dort würden sie »in die Illegalität abtauchen«, ihren Lebensunterhalt sicherten ­sie dann »durch Straftaten, in der Regel durch Schwarzarbeit«. Ein »Heer der Illegalen«, deren Zahl »massiv« zunehme. Und immer wieder steht da der Satz: »Dem muss begegnet werden.«
Bereits im Juli hatte das SWR-Magazin »Report Mainz« über die Schnellverfahren gegen Flüchtlinge am Amtsgericht Eisenhüttenstadt berichtet. Der Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano befand in der Sendung, die Urteile Petzoldts würden »in sehr deutlicher Form den Boden des Rechts verlassen«, zumindest seien Ermittlungsverfahren gerechtfertigt. Der Anwalt Gerloff hat nun eine Strafanzeige gegen Petzoldt gestellt, wegen Rechtsbeugung, Volksverhetzung und Be­leidigung. Er kritisiert vor allem, dass Freiheitsstrafen im Schnellverfahren verhängt werden, ohne dass ein Strafverteidiger hinzugezogen wird: »Das geht einfach nicht. Eine Freiheitsstrafe muss gründlich geprüft werden und das geht nicht im Schnellverfahren.« Illegale Einreise kann nach dem Aufenthaltsgesetz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden. Zugleich sieht das Strafgesetzbuch vor, dass kurze Freiheitsstrafen wegen ihrer stigmatisierenden Wirkung möglichst vermieden werden. Das heißt, entweder eine Straftat ist so schwerwiegend, dass sie eine Haft von mehr als sechs Monaten rechtfertigt, oder die Gerichte sollen in der Regel nur eine Geldstrafe anordnen. Die kurzen Freiheitsstrafen, die Petzoldt in diesen Fällen verhängte, sollten eigentlich auf Ausnahmefälle beschränkt werden.

Hinzu kommt die scharfe Form der Urteilsbegründungen. »Das ist nicht einfach ein Urteil, das ist eine politische Brandschrift«, sagt Gerloff. Besonders drastisch sei die Aussage Petzoldts, wonach es durch die Präsenz von Asylbewerbern in »Ballungsgebieten« immer mehr »zu Spannungen komme, die sich dann in der Regel durch weitere Straftaten entladen«. Das sei nicht weit entfernt von »Deutsche, wehrt euch!«, warnt Gerloff – eine Rechtfertigung rassistischer Angriffe und damit strafbare Volksverhetzung. Gerloffs Mandant hat außerdem einen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Schließlich werde hier behauptet, alle Asylbewerber, die aus Polen einreisen, kämen nur nach Deutschland, um Straftaten zu begehen. Gerloff betont: »Das ist falsch, mein Mandant ist ganz legal hier und betreibt ein Asylverfahren.«
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) unterstützen die Strafanzeige. Der RAV-Vorsitzende Martin Heiming forderte, die Staatsanwaltschaft »sollte die Strafanzeige des Kollegen Gerloff sehr sorgfältig prüfen«. Gerloff geht allerdings davon aus, dass das Verfahren eingestellt werden wird. »Das ist ja über Monate oder Jahre so gelaufen und die Staatsanwaltschaft saß ja in jedem Verfahren mit drin. Das heißt, die hat natürlich auch ein Interesse daran, dass da alles rechtmäßig war.« Sollte es so kommen, will Gerloff Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg einlegen. »Das dürfte zumindest etwas aussichtsreicher sein.«

Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt ist schon länger für eine harte Linie gegenüber Asylbewerbern bekannt. Eisenhüttenstadt liegt direkt an der polnischen Grenze, hier befinden sich das Abschiebegefängnis und das Erstaufnahmelager für Flüchtlinge. Über Polen kommen Georgier, wie Gerloffs Mandant, und vor allem Tschetschenen. Manche standen vermeintlich oder tatsächlich auf der Seite der muslimischen Rebellen im tschetschenischen Bürgerkrieg und werden nun vom russischen Geheimdienst verfolgt, andere hatten sich geweigert, für die Rebellen zu kämpfen, und fürchten nun deren Rache. »Die meisten reisen mit dem Zug nach Polen«, berichtet Gerloff. »Direkt an der Grenze werden sie von den polnischen Behörden in Empfang genommen, manche werden direkt wieder zurück geschickt. Manchen wird der Pass abgenommen und es wird ihnen gesagt, sie müssen sofort einen Asylantrag stellen, wenn sie nicht zurück wollen.« Wenn sie ohne Pass und Visum weiter nach Deutschland flüchten, genügt das dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt, um sie wegen illegaler Einreise zu verurteilen.

Unter Juristen ist es allerdings umstritten, ob illegale Einreise in solchen Fällen überhaupt bestraft werden darf. Denn die Genfer Flüchtlingskon­vention sieht vor, dass schutzsuchende Flüchtlinge nicht wegen illegaler Einreise bestraft werden – ansonsten würde das Recht auf Asyl ins Leere laufen. Die Konvention schützt dabei zwar nur solche Flüchtlinge, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren. Das heißt allerdings nicht, dass Asylsuchende nicht durch einen sogenannten sicheren Drittstaat – wie Polen – reisen können. Auch deutsche Gerichte haben schon bestätigt, dass die bloße Durchreise dem Schutz der Genfer Konvention nicht entgegensteht. »Die Betroffenen wollen ja gerade nach Deutschland reisen, sie können aber letztlich nicht anders, als über Polen zu kommen«, erklärt Gerloff. Dass sie dort einen formalen Asylantrag gestellt haben, dürfe nicht dazu führen, dass sie wegen illegaler Einreise betraft werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention hat Petzoldt in ihren Urteilen gar nicht erst erwähnt.
Ob es der Brandenburger Justiz gelingt, das Geschehen am Amtsgericht Eisenhüttenstadt aufzuarbeiten, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte des Landes wegen ihrer Linie in Flüchtlingssachen in der öffentlichen Debatte stehen. Zuletzt hatte ein Fall für Aufsehen gesorgt, in dem schließlich das Bundesverfassungsgericht eingreifen musste: Der Flüchtlingsrat Brandenburg hatte dem Rechtsamt der Stadt Brandenburg an der Havel einen sogenannten »Denkzettel« verliehen und damit kritisiert, dass eine Sachbearbeiterin einem Flüchtling unterstellt hatte, er täusche seine Gehörlosigkeit nur vor – obwohl ein ärztliches Attest vorlag. Die Sachbearbeiterin zeigte die Verantwortlichen daraufhin wegen übler Nachrede an, das Amtsgericht Potsdam verurteilte zwei Mitarbeiter des Flüchtlingsrates zu Geldstrafen. Das Landgericht Potsdam ließ keine Berufung zu. Erst das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung auf und erklärte deutlich, auch scharfe Kritik an den Behörden sei von der Meinungsfreiheit geschützt.
Auch Volker Gerloff wurde bereits strafrechtlich angegangen. Nachdem er ein Urteil Petzoldts in einer Berufungsbegründung scharf kritisiert hatte, stellte der damalige Präsident des Landgerichts Frankfurt/Oder, Dirk Ehlert, einen Strafantrag wegen Beleidigung. Weil Gerloff die Berufungsbegründung von seiner Kanzlei in Berlin aus gefaxt hatte, war allerdings die Berliner Staatsanwaltschaft zuständig – und stellte die Ermittlungen prompt ein. Gerloff ist sicher: »Wenn Frankfurt zuständig gewesen wäre, wäre das anders gelaufen, da wäre ich angeklagt worden.«