Gegen Krieg statt für den Frieden

Antikrieg statt Frieden

Auch in der Friedens- oder besser Antikriegsbewegung gibt es Traditionen, an die die emanzipatorische Linke anknüpfen kann – und sollte.

Vor 16 Jahren gewann Tony Blair die Parlamentswahl in Großbritannien unter anderem mit dem Slogan: »Law and order is a Labour issue.« Frei nach diesem Motto ließe sich zugespitzt formulieren, Jörn Schulz habe in der vorigen Ausgabe (44/2013) die These vertreten: »Peace policy is not a left wing issue.« Diesen Eindruck erweckt jedenfalls die Frage, unter der das Thema behandelt wird. Sie lautet: »Wie links ist der Frieden?«
Was Schulz im Einzelnen dazu ausführt, ist in der Sache durchaus richtig. Nur ist das Thema damit beileibe nicht erschöpfend behandelt. Denn wenn die Frage lautet: »Wie links ist der Frieden?«, dann enthält sie auch eine indirekt gestellte Frage: Dürfen, müssen oder sollen sich Linke – im emanzipatorischen Sinne, Stalinisten oder Querfrontler seien einmal beiseite gelassen – überhaupt für Friedenspolitik interessieren?
Gehen wir schnell über die Frage der Terminologie hinweg: Wir können gerne Begriffe wie Antimilitarismus dem Allerweltsbegriff des »Friedens« vorziehen. »Frieden« ist eher ein moralischer Wert als eine halbwegs präzise politische Vision. Friedfertigkeit enthält auch Aspekte, die man als emanzipatorische Linke nicht aufgreifen sollte, wie etwa die einseitige Absage an revolutionäre Gewalt, während das bestehende System selbst auf extremer struktureller – und oft manifest werdender – Gewalt basiert. In unangenehmer Erinnerung bleiben der Pastorenton und die moralische Arroganz, mit denen 1982 eine Grünen-Politikerin wie Petra Kelly im Namen einer reli­giös verbrämten »Gewaltlosigkeit« militante Linke abkanzelte.
Bleiben wir also bei Termini wie »Antikriegsbewegung« oder »antimilitaristisch«, um nicht auf dem zähen Kleister der rein moralischen Herangehensweise festzukleben. Auch im linken Flügel oder am linken Rand der damals starken Protestbewegung gegen die Stationierung von Atomraketen zwischen 1979 und 1984 gab es Kräfte, die sich explizit auf diese Aspekte bezogen. Die Autonomen, die 1983 die Ankunft von Cruise Missiles in Bremerhaven durch eine Hafenblockade aufhielten oder in Bremen eine Kampagne gegen den Transport von Militärmaterial unter dem provokativen Namen KGB – »Komitee gegen die Bombenzüge« – betrieben, bezeichneten sich selbst stets als Antikriegs- und nicht als Friedensbewegung.

Darüber hinaus gab es immer einen linken internationalistischen Ansatz bis tief in die übrige Friedensbewegung hinein. Jenseits des Ausdrucks von teilweise – zumindest damals – begründeter und teilweise irrationaler Angst, die BRD oder »Mitteleuropa« könnten unmittelbar zum Kriegsschauplatz werden, beschäftigten sich Menschen in dieser Bewegung mit den internationalen Aspekten von Militärpolitik, mit der Rüstungsindustrie und Rüstungsexporten. Zu Zeiten, als in Politik und Medien kaum ein böses Wort über das mörderische Regime Saddam Husseins im Irak zu finden war, bildete er doch vermeintlich einen Damm gegen die fundamentalistische Bedrohung aus dem Nachbarland, war etwa in Hamburg das »Komitee gegen den Iran-Irak-Krieg« aktiv. Es arbeitete heraus, welche Rolle der Hamburger Hafen bei Kriegsexporten sowohl in den Iran Khomeinis als auch in den Irak unter Saddam Hussein spielte und wie intensiv Westdeutschland, aber auch die USA und andere Staaten den Krieg zwischen beiden Staaten von 1980 bis 1988 am Laufen hielten.
An diese besten Traditionen gilt es anzuknüpfen und man sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn auch aus reaktionären Motiven gegen Kriegseinsätze oder gegen bestimmte Interventionen opponiert wird. Dies hat es im Übrigen schon immer gegeben. Agrarisch-feudal orientierte Konservative in Deutschland und Frankreich etwa widersetzten sich im späten 19. Jahrhundert energisch dem Kolonialismus, weil sie (anders als etwa die industrielle Bourgeoisie, die nach dem Zugriff auf Rohstoffe aus den eroberten Territorien strebte) glaubten, in Asien oder Afrika nichts zu gewinnen zu haben. Ihre Opposition wurde mit rechten Argumenten untermauert. Begründete die aufstrebende Bourgeoisie ihre Unterstützung für die Kolonisierung damit, diese trage angeblich Fortschritt, Aufklärung und Zivilisation in unterentwickelte Weltgegenden – das Ergebnis fiel bekanntlich konträr dazu aus –, so setzte die Rechtsopposition dagegen, dieses Ziel sei doch utopisch: Wilde blieben Wilde.
»In den USA arbeiten Rechte und Linke in der Friedensbewegung bereits zusammen. In Deutschland ziert man sich noch … «, heißt es in der Einleitung von Jörn Schulz’ Artikel. Diese Formulierung suggeriert, es handele sich um ein neues Phänomen, sozusagen um eine ansteigende Bedrohung, auf die man nun dringend antworten müsse. Das stimmt nicht: Es ist bereits uralt. Schon immer war die Gegnerschaft zu Aufrüstungsmaßnahmen oder Kriegseinsätzen ein politisch umkämpftes und überließ man es den Rechten, dann entwickelten sie auf diesem Feld – wie auf an­deren, etwa der Kritik an konkreten sozialen Verhältnissen – ihre Politik und ihre Ideologie.

Insbesondere in Deutschland ist das Problem altbekannt, denn dort gedieh ein Nationalpazifismus besonders übler Art, der seine Legitimität daraus zog, dass man sich in weiten Kreisen an den Zweiten Weltkrieg als Katastrophe erinnerte – in manchen Fällen vor allem deswegen, weil deutsche Städte gebrannt hatten und weil Deutschland ihn verloren hatte. In der relativ breiten Friedensbewegung der frühen achtziger Jahre und in der Anfangsphase der grünen Partei gab es starke nationalneutralistische Kräfte, verkörpert etwa durch Alfred Mechtersheimer, der damals als USA-Kritiker von der CSU zu den Grünen stieß – und zehn Jahre später eine rechtsextreme Bewegung aufzubauen versuchte.
Einen weiteren Aspekt spricht Schulz nicht an, wobei er völlig richtig schreibt: »Die historische Epoche, in der ›sozialistische‹, faktisch eher jakobinische Bewegungen gegen den Willen westlicher Großmächte die alten Oligarchien entmachteten und eine nachholende kapitalistische Entwicklung durchsetzten, ist jedoch um 1990 zu Ende gegangen.« Es trifft zu, dass der Wegfall der bipolaren Blockordnung ab 1989/90 einige wichtige Änderungen mit sich brachte. Unter anderem die, dass es seitdem keine Anlehnung für einstmals entkolonisierte Staaten außerhalb des kapitalistischen Weltmarkts mehr gibt – während ihre Regierungen sich bis dahin strategisch auf die UdSSR stützen konnten. Seitdem kann für progressive Bewegungen in Afrika oder Asien nicht mehr die Staatsbildung im Mittelpunkt stehen, sondern eher der soziale Kampf in diesen Staaten. Aber der Epochenbruch um 1990 brachte noch eine weitere Änderung mit sich. Am 21. Juni 1990 hielt der damalige Nato-Generalsekretär und frühere westdeutsche Verteidigungsminister Manfred Wörner einen Vortrag beim Institut für internationale Beziehungen (IFRI) in Paris. Darin sagte er unter anderem, die Nato müsse nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Wegfall des sowjetischen Blocks für »neue militärische Fragen, die durch die Entwicklung der Dritten Welt entstanden« seien, offen sein. Besonders im Nahen und Mittleren Osten und im Mittelmeerraum bestünden »gestiegene Risiken außerhalb Europas (…), deren Entwicklung Europa direkt angeht«. Sechs Wochen später begann der Konflikt um die Regionalmacht Irak – diese besetzte Kuwait, jenes Ölbohrloch mit Flagge, nachdem die US-Botschafterin April Glaspie dem irakischen Diktator sig­nalisiert hatte, sein Versuch, auf diese Weise sein rüstungsbedingtes Schuldenproblem auf einen Schlag zu lösen, »tangiere nicht die Interessen der USA«. Sechs Monate später kam es zu einem heftigen Luftkrieg, der die Diktatur unangetastet ließ, infolge dessen die Emire aber wieder aus goldenen Wasserhähnen trinken konnten.
Auch andere Typen von Intervention, etwa zur Errichtung von internationalen Protektoraten wie Afghanistan, Kosovo oder zeitweilig Somalia, wurden ermöglicht. Manche Vertreter der west­lichen politischen Eliten glauben, auf diese Weise einen Beitrag zur Stabilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse in krisenhaften – teils weil vom Weltmarkt abgekoppelten – Regionen leisten zu können. Würde dies auf humane und sinnvolle Ergebnisse hervorbringende Weise funktionieren: Man wüsste es vermutlich.
Es gibt also noch genügend Gründe, sich gegen Militäroperationen der internationalen Führungsmächte zu stemmen, auch wenn man rechte Kritik und nationalneutralistische Ideologien nicht teilt.