Deutsche Dörfer III: Greiz

Greiz: Pogrome verhindern, bevor sie entstehen

Die Neonazis, die gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge in Ostthüringen mobilisieren, halten nichts vom Konzept der »seriösen Radikalität«. Das macht die Situation für Ausländer dort noch gefährlicher als anderswo.

»Die Bereitstellung dieser Einrichtung folgt einer dringlichen Bitte des Freistaates Thüringen zur schnellstmöglichen Übernahme von Asylsuchenden aus der Thüringer Landeserstaufnahmestelle Eisenberg.« Das hat die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) Mitte September die Lokalpresse wissen lassen. Freiwillig habe man die Flüchtlinge nicht aufgenommen, wollte sie damit wohl den knapp 22 000 Einwohnern der »Perle des Vogtlandes« sagen. Auf Nachfrage betonte das zuständige Landratsamt, dass die Einquartierung im Gebäude des ehemaligen Internats des Berufsbildenden Zentrums Greiz-Zeulenroda nur temporär sei. Es solle bloß kein Missverständnis entstehen. Die Menschen kämen hauptsächlich aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan und Tschetschenien und bisher seien in der Gemeinschaftsunterkunft nur knapp über 50 Personen untergebracht.
Das Konzept der Lokalpolitik, um die Toleranz der Einwohner zu werben, indem man die Aufnahme von flüchtenden Menschen als »alternativlos« darstellt, ging in Greiz nicht gänzlich auf. Seit Wochen demonstrieren »aufgebrachte Bürger« Seite an Seite mit lokalen Neonazikadern gegen die Unterbringung in der Plattenbaustadtsiedlung Pohlitz. Die sich kaum bürgerlich gebende »Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylheim am Zaschberg« findet: »Armut ist kein Grund für Asyl«, und möchte die »Asylflut stoppen«. Hinter dieser Initiative stehen regional bekannte Neonazis von der sogenannten Revolutionären Nationalen Jugend (RNJ). Anmelder der anfangs wöchentlichen Kundgebungen und Demonstrationen sind David Köckert und Kevin Pahnke. Während Köckert sich seit Jahren in der Greizer Naziskinszene bewegt und aus dem Umfeld des mittlerweile geschlossenen Naziladens »Ragnarök« (Reichenbach/Mylau) stammt, ist der Auerbacher Pahnke eine Führungsperson der RNJ und Anmelder der »Trauermärsche« in Plauen sowie weiterer Kundgebungen im Vogtland.

Ihre vielen Versuche, über die sozialen Netzwerke ähnliche Mobilisierungserfolge wie in Schneeberg zu erreichen, sind bisher gescheitert. Waren auf den ersten Demonstrationen und Kundgebungen noch einige Pohlitzer Bürger anwesend, verringerte sich die Teilnehmerzahl bei den darauffolgenden Veranstaltungen kontinuierlich. Das martialische Auftreten der Redner wirkte auf Mitdemonstranten abschreckend. Das Konzept der »seriösen Radikalität«, wie es in Schneeberg durch das bürgerliche Auftreten der NPD-Kader erfolgreich angewandt wird, ist den vogtländischen Neonazis, die sich im Umfeld der Autonomen Nationalisten bewegen, fremd, was die Gefahr für die Flüchtlinge erhöht. Mit Norman Wilkens demonstriert einer jener Brandstifter mit, die vor zehn Jahren bereits einmal in Greiz-Irchwitz versucht hatten, eine Unterkunft für Asylbewerber anzuzünden. Nur durch einen glücklichen Zufall misslang damals der Brandanschlag.
Im benachbarten Plauen kam es in den vergangenen beiden Jahren immer wieder zu Anschlägen auf eine Flüchtlingsunterkunft und ein islamisches Zentrum. Erst im vergangenen August waren die Wände der neu eröffneten Unterkunft mit Hakenkreuzen und dem Spruch »Asylbetrüger stoppen« beschmiert worden, während in der Innenstadt der Spruch »Multikulti ist tot« auftauchte. In der gleichen Nacht wurde das islamische Zentrum mit Farbbeuteln beworfen und mit dem Spruch »Islam stoppen« beschmiert.
Nach den ersten Demonstrationen gründete sich in Greiz die Initiative »Solidarität mit den Flüchtlingen in Greiz«, die aus dem »Bunten Bündnis Greiz«, der Bürgerinitiative »Weil wir Greiz lieben«, »Aufandhalt e. V.«, den lokalen Parteigliederungen der SPD, Grünen, »Linkspartei« und DGB sowie ihrer Jugendorganisationen besteht. Das Bündnis versucht laut Selbstbeschreibung zu verhindern, dass »verschiedene soziale Gruppen gegeneinander ausgespielt werden«. Seit Anfang Oktober ruft es dazu auf, sich dem braunen Treiben öffentlich entgegenzustellen. Es or­ganisierte die ersten Gegenproteste und forderte von der Lokalpolitik, die Flüchtlinge dezentral unterzubringen und das Gutscheinsystem durch Geldleistungen zu ersetzen. Grund genug für die Landrätin, sich über die »Touristen aus politisch extremen Lagern von außerhalb« zu echauffieren, die nur in Greiz demonstrierten, »um hier ihre Feindbilder zu pflegen und Werbung für sich und ihre teilweise doch sehr kruden Weltanschauungen zu machen«. Gemeint waren Rassisten und Antirassisten gleichermaßen. »Sie binden enorme Kräfte und verschaffen sich in den Medien eine Aufmerksamkeit, die unserer Kreisstadt Greiz in der Öffentlichkeit und bei willkommenen Gästen nicht gut tut«, so Schweinsburg in ihrem offenen Brief.
Weiter behauptet die Landrätin, dass der Flüchtlingsrat Thüringen e. V. für die Eskalation in Greiz verantwortlich sei. In einer Pressemitteilung soll der Rat »bereits Stimmung gemacht« haben, bevor »überhaupt ein Flüchtling hier war«. Der Verein erklärt dagegen, sich erst am 18. September an Verantwortliche im Landkreis Greiz mit einem offenen Brief gewandt zu haben. Darin forderte er, »offensiv und demonstrativ jeglichen Aktionen entgegenzutreten, die sich gegen Flüchtlinge richten«. Ein interessantes Detail: Erst im vergangenen Jahr wurde Schweinsburg vom Flüchtlingsrat der Preis für die größtmögliche Gemeinheit wegen dem »besonders restriktiven und diskriminierenden Umgang mit Flüchtlingen« verliehen.

Neben dem Landkreis Weimarer Land ist Greiz der letzte Kreis in Tühringen, der das Gutscheinsystem nicht abgeschafft hat. Beim Einkaufen müssen sich die Betroffenen möglichst genau an den Wert des Gutscheines halten, da maximal zwei Euro Restgeld in bar ausgezahlt werden. Die Vorsitzende der Jungsozialisten vermutet, dass die Flüchtlinge deshalb auch Sachen kaufen, die sie gar nicht brauchen. Des Weiteren können die Gutscheine nur in wenigen Geschäften eingelöst werden, was die Wahl von günstigeren Angeboten in anderen Märkten verhindert. Der Stadt- und Kreisrat der Linkspartei, Holger Steiniger, moniert die nicht unerheblichen Verwaltungskosten, die dem Landkreis durch das Gutscheinsystem entstehen.
Die prekäre Situation der Flüchtlinge und die Hetze der Neonazis sind Anlass für eine Demonstration am kommenden Samstag. Antifaschistische Gruppen aus dem Vogtland rufen unter dem Motto »Pogrome verhindern, bevor sie entstehen!« zu ihr auf. Mit der Aktion am Jahrestag der Pogromnacht wollen sie das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit dem Engagement für die Rechte der Flüchtlinge verknüpfen. Nicht erst seit September ist für die Antifaschisten die Situation der Flüchtlinge im Landkreis Greiz unerträglich. Wenn auf knapp 22 000 Bewohner maximal 150 Asylsuchende kommen und deshalb eine »Bürgerinitiative« von einer angeblichen »Überfremdung« halluziniert, ist es Zeit für Anti­faschisten, in die Offensive zu gehen.