Berlin Beatet Bestes. Folge 216

Im Nachgang verulkt

Berlin Beatet Bestes. Folge 216. Gerty Molzen: Take a Walk on the Wild Side (1985) von Andreas Michalke

Vergangene Woche ist Lou Reed gestorben. Das Debütalbum von The Velvet Underground & Nico erschien im März 1967. Als ich die Platte als Teenager Mitte der Achtziger zum ersten Mal hörte, zählte sie bereits zum Kanon der wichtigsten Rockalben. Vielleicht hat sie mich damals weniger berührt, weil ich mich so bemühte, sie gut zu finden und nicht als kulturloser Kretin zu gelten. Auf Anhieb besser gefiel mir zur gleichen Zeit ein Album, das nur einen Monat vor der Bananenscheibe, also im Februar 1967, erschien. »Surrealistic Pillow«, das zweite Album von Jefferson Airplane, ist so etwas wie das Pendant zu The Velvet Underground & Nico. Beide sind psychedelische Drogenplatten, nur von verschiedenen Küsten der USA. Jefferson Airplane waren Blumenkinder aus San Francisco, The Velvet Underground schwarzgekleidete Kunstrocker aus New York. Jefferson Airplane bestachen durch den klaren, kräftigen Gesang von Sängerin Grace Slick, The Velvet Underground durch die germanische Kälte von Nico. Jefferson Airplane ließen ihre Aufnahmen von Oberhippie Jerry Garcia überwachen und erhielten für »Surrealistic Pillow« Gold; ihre Hits »White Rabbit« und »Somebody to Love« erreichten Spitzenpo­sitionen in den Charts. The Velvet Underground ließen sich von Andy Warhol pro­te­gieren – die ­Platte floppte. Heute rangiert das Bananenalbum auf Platz 13 der Rolling-Stone-Liste der 500 wichtigsten Rockalben. »Sur­realistic Pillow« hingegen steht nur auf Platz 147.
Ich mochte den Gesang von Grace Slick irgendwie immer lieber als Lou Reeds Genöle und Nicos tonlosen, deutschen Akzent. Und unterm Strich rockten Jefferson Airplane einen Tick mehr als The Velvet Underground. Aber das ist Geschmackssache. Natürlich sind es zwei Hammerscheiben. Wie könnte man sie nicht mögen? Was beiden Platten dennoch fehlt, ist Humor. Andererseits ist es auch genau das, was bis heute an ihnen gelobt wird. Mit diesen Alben wurde Rockmusik plötzlich so richtig schön erwachsen. Lou Reeds »Take a Walk on the Wild Side«, aus seinem 1972 veröffentlichten Album »Transformer«, ist auch nicht grade der Brüller. Was der Originalversion an Lustigkeit fehlt, schickte sich 13 Jahre später die damals 79jährige Flensburgerin Gerty Molzen an, mit einfachsten Mitteln nachzuholen. Bereits in den dreißiger Jahren trat Molzen als Opernsängerin auf, nach dem Krieg als Kabarettistin und in den Sechzigern als Schauspielerin im Fernsehen. Später schrieb sie Bücher mit Geschichten aus ihrer Flensburger Heimat. Zuletzt, bevor sie 1990 starb, nahm sie sich radebrechend der Popmusik an:
»Holly kähm fromm Meiämmi Eff Ell Ejj/Hitschheick höh Wej ehkross seh Juh Ess Ejj/Plackt höh Eibraus on seh wej/Schähwt hörr Lecks ännt senn Hie wos eh Schieh/Schieh säss: ›Heh Bähp,/Tehk a Wok on seh weillt Seit‹/(…) Candy kähm fromm aut on seh Eiläntt/In seh Bäck schieh wos ewwriehboddihs Dahling/Batt schie newwer lost hörr Hett/Ihwenn wenn schie wos giwwing hätt/(…)/Ent seh kollot göhlls go …«

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.