Edward Snowden und Deutschland

Unheimliche Herberge

Angesichts der Machenschaften deutscher Geheimdienste wäre es grotesk, sollte ­Edward Snowden ausgerechnet Deutschland zum Ort seines Exils machen.

Was da live von der Bundespressekonferenz über die Kanäle strömte, war Wagemut pur. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) war zurück aus Moskau, den roten Schal des Unbequemen lässig baumelnd, die Taschen des sportiv geöffneten Sakkos voller Geschichten: wie er mutig ohne Genehmigung des Bundestagspräsidenten und ohne Wissen der eigenen Partei den Kontakt mit Edward Snowden zunächst von Berlin aus gesucht, gefunden, verloren und dann wiedergefunden hatte. Wie er die rus­sische Bürokratie ausgetrickst hatte, wie er in einem Wagen mit abgedunkelten Scheiben eine dreiviertel Stunde durch das Labyrinth der Moskauer Innenstadt chauffiert worden war. Wie er dann dem »Whistleblower« gegenübergesessen und gewusst hatte: Dieser junge Mann meint es ehrlich, wir müssen ihm helfen, denn er kann uns helfen.
Sein selbstbewusst-schalkhaftes Lachen ließ den Schildkröthäutigen für einen Moment wieder den Glanz des einstigen Rebellenanwalts zurückgewinnen, der Stadtguerilleros, Hausbesetzer und Drucker illegaler Schriften gegen die Rache der Justiz verteidigte. Dass er seine Reise im wohlverstandenen Interesse des deutschen Staates unternommen hatte, konnte da nicht schmälern. »Er ist einer der letzten sich treu gebliebenen Achtundsechziger im Politikbetrieb«, gratulierte tags darauf die Süddeutsche Zeitung. Ströbele hatte aus Moskau Snowdens Einwilligung mitgebracht, mit »deutschen Stellen« zu kooperieren. Auch habe der »Whistleblower« signalisiert, sich ein Exil in Deutschland vorstellen zu können. »Nun liegt es an uns … «, endete der Rückkehrer seinen Bericht im großen Gestus protestantischen Existentialismus. »An uns«, sprich an der deutschen Legislative, liege es, Snowden im heimischen Rechtsstaat ein Leben ohne Bedrohung und Furcht vor Abschiebung ins Land der Freien und Tapferen zu ermöglichen. Seit dem Bekanntwerden der Ausspähung von »Mutti« Merkel können hierzulande selbst hartleibigsten Transatlantiker dem etwas abgewinnen.
Wenngleich nach wie vor unklar ist, ob Snowden solchen Debatten über sein Schicksal die Zustimmung erteilt hat, nachvollziehbar wäre es schon. Immerhin hat er Ströbele einen Brief mitgegeben, den nicht nur dieser mit Recht als Hilferuf interpretiert. Und dass der in Moskau Isolierte dringend der Unterstützung bedarf, dürfte außer Zweifel stehen. Aber warum ausgerechnet deutsche Hilfe? Hatten nicht die von Snowden vor­gelegten Dokumente die Komplizenschaft deutscher Geheimdienste bei der weltweiten Kom­munikationsüberwachung offenbart? War nicht gerade zum Zeitpunkt der Reiseerzählung Ströbeles über die Virtuosität deutscher Geheimdienste und ihrer europäischen Partner berichtet worden, mit der sie ozeanische Glasfaserkabel anzapfen und einen Großteil der transatlantischen Digitalkommunikation kontrollieren?
US-Geheimdienste agieren wie von Snowden enthüllt, weil sie es können und weil jeder, der ihnen in die Suppe spuckte, handfesten Ärger bekäme. So weit sind die deutsch-europäischen Konkurrenten noch nicht, würden es aber gern bald sein und arbeiten daran. Deshalb bleibt, auch wenn es angesichts seiner Situation überheblich klingen mag, Snowden nur zu raten: Never trust the Krauts!