Der schockierende Film »The Act of Killing«

Wie Mörder sich zeigen

Der in Dänemark lebende Filmemacher Joshua Oppenheimer begibt sich an die Tatorte ­eines Genozids: In Indonesien wurden nach einem niedergeschlagenen Militärputsch 1965 mehr als eine Million Menschen ermordet. Für »The Act of Killing« hat Oppenheimer die Mörder ihre Taten nachspielen lassen.

Das Grauen offenbart sich mit ­einer nur schwer verdaulichen Beiläufigkeit. Anwar Congos schlaksiger Körper steckt in einem zu großen Anzug, eine Hand hält lässig die Zigarette, auf den ersten Blick könnte er glatt als charmanter Kleinganove durchgehen. Mit dem dicklichen Herman Koto steht er vor einem ehemaligen Kino und erzählt, wie sie aus einem Elvis-Streifen kamen, noch ganz umhüllt von der Atmosphäre und dem Rhythmus des Films, und sich mit tänzerischen Schrit­ten zu ihrer nächsten Unternehmung bewegten, dem Töten.
Die fließende Abfolge und Synchronizität der Unverträglichkeiten ist charakteristisch für Joshua Oppenheimers Film: Exekutionsgeschichten werden von einem gewinnenden Lächeln begleitet, auf die Demonstration einer Strangulation mit einer Drahtschlaufe folgt ein leichtfüßiger Cha-Cha-Cha. Als seine Verdrängungsassistenten nennt Anwar Congo Alkohol, Kokain, Ecstasy und gute Musik, sein Nachbar versichert: »He’s a happy man.«
Anwar Congo und Herman Koto waren Mitglieder der Todesschwadronen, die in Indonesien nach dem von General Suharto niedergeschlagenen Militärputsch 1965 mehr als eine Million vermeintlicher Kommunisten, Indo­nesier chinesischer Herkunft und Intellektueller ermordeten. Die Morde wurden nie geahndet, offiziell gibt es keinen Genozid. Während die Opfer bis heute Angst haben, über die Vergangenheit zu sprechen, haben sich die Täter in ihren amoralischen Fiktionen komfortabel eingerichtet und lassen sich von korrupten Politikern hofieren. Adi Zulkadry, Gründungsmitglied der überaus aktiven rechten Miliz Pancasila Youth, die noch immer eng mit den Schaltstellen der Macht verbunden ist, hat für seinen Mangel an Reue eine einfache Erklärung: »Kriegsverbrechen werden von den Gewinnern definiert. Ich bin ein Gewinner.«
In einer Fernsehsendung wird der glühende Al-Pacino-Fan Anwar Congo dafür beklatscht, »effiziente« Tötungsmethoden bei Mafiafilmen abgeguckt zu haben; mit naivem Stolz erklärt er die Bedeutung des Wortes Gangster: »Premen«, free man. Der Talkshow-Auftritt gehört zu den verstörendsten Momenten des Films: Mitglieder der Pancasila Youth, deren Uniformen – ein Gemisch aus Camouflagemuster und grellorangefarbener Signalbekleidung – ebenso grotesk wie einschüchternd anmuten, belagern einen auf der Studiobühne platzierten Panzer und skandieren Parolen, Kriegsverbrecher-Promis erzählen entspannt, wie sie Kommunisten ermordet haben, die Moderatorin plaudert und strahlt, als säßen ihr gerade irgendwelche Hollywoodstars gegenüber.
Joshua Oppenheimer, ein in den USA geborener und in Dänemark lebender Filmemacher, arbeitet seit mehr als zehn Jahren mit Milizen, Todesschwadronen und ihren Opfern zusammen. In »The Act of Killing« verbindet er die Beschreibung der Gegenwart Indonesiens mit einer Täterphänomenologie. Neben Interviews an Originalschauplätzen – es sind im Grunde kommentierte Tatortbegehungen, ähnlich wie sie auch Claude Lanzmann in seinen Filmen praktiziert – bedient sich Oppenheimer der Methode des Reenactment als einer performativen Form der (fiktional überformten) Erinnerung. Basierend auf eigenen Drehbuchszenen und nach dem Vorbild ihrer bevorzugten Filmgenres spielen die Täter die Morde nach. Bei den Massenszenen haben sie zunächst Schwierigkeiten, Statisten aus der Bevölkerung zu rekrutieren, niemand will Kommunist spielen. Die Angst ist allgegenwärtig, davon erzählt nicht zuletzt der Abspann des Films: Die meisten indonesischen Partner und Mitarbeiter, vom Co-Regisseur bis hin zum Kameramann, konnten nicht namentlich genannt werden, sie werden unter »Anonym« aufgeführt.
Die Mörder begeben sich umso bereitwilliger ins Rampenlicht. Vor allem Anwar Congo und Herman Koto, deren kriminelle Laufbahn auf dem Schwarzmarkt für Kinokarten boykottierter amerikanischer Filme begonnen hat, sehen sich schon als zukünftige Filmstars. Sie geben Kostüme in Auftrag, entwerfen Szenarien und klatschen sich gegenseitig Kunstblut und Modelliermasse für künstliche Wunden und Narben ins Gesicht. Ihr Film werde sadistischer werden als alles, was es bisher in Nazi-Filmen zu sehen gab, prophezeien sie. Schockierend aber ist nicht etwa der Realismus der Darstellung, sondern die augenscheinliche Verfehlung der Wirklichkeit: Das Theatrale, genrehaft Überhöhte, die Nähe zu schaurig-schönem Trash, die fiebrige Hingabe, mit der die Männer sich in ihre Rollen begeben und die bizarre Mischung aus prahlerischer Selbstinszenierung, Entfesselung und anfallartigen Momenten von Erkenntnis und Empathie mit den Opfern. Während ein Überfall auf ein Dorf inszeniert wird, ruft jemand mit dem Megaphon die Losung »Think positive!« aus.
Abwechselnd übernehmen die Männer Täter- und Opferrollen. Einmal reitet Anwar mit einem mexikanischen Hut auf einem Pferd, während sich Herman in ein eng anliegendes pinkfarbenes Kleid quetscht und der Szenerie einen unfreiwilligen Camp-Charakter verleiht. Später schneidet er unter verrücktem Geschrei einer Puppe den Kopf ab und füttert als rächender Kommunisten-Geist seinen ehemaligen, bis auf den Kopf in die Erde eingegrabenen Peiniger mit dessen eigener Leber. Visuell ist »The Act of Killing« ausgesprochen low key: schlechtes Licht, eine Kamera, die wenig Wert legt auf schön kadrierte Bilder. Die Reenactment-Szenen haben dagegen die hyperreale HD-Qualität von direkt für den Videomarkt hergestellten B-Movies. Die Verhör- und Folterszenen sind in bläu­liches Licht getaucht, bollywoodesk strahlend-bunt ist eine Musiknummer vor kitschiger Wasserfallkulisse (»Born Free« heißt der Song), mit einem guruhaft inszenierten Anwar, der von toten Kommunisten eine Medaille um den Hals gehängt bekommt, als Dank dafür, dass er sie in den Himmel geführt hat – eine eskapistische Phantasie, die sich kein noch so irrer Drehbuchautor hätte ausdenken können.
Kein Wunder, dass Werner Herzog in Oppenheimer einen Genossen im Auftrag der »eksta­tischen Wahrheit« erkannte – er wird neben Errol Morris als ausführender Produzent genannt. »The Act of Killing« ist aber vor allem eine Kooperation von Oppenheimer und den ehemaligen Mitgliedern der Milizen. Zu dem kollektiven Produktionsprozess gehört auch, dass sich die Beteiligten die fertiggestellten Szenen ansehen und besprechen. Je tiefer sie in ihre Vergangenheit eintauchen, desto mehr wächst ihre Verunsicherung, einige befürchten, ihr Heldenstatus könne durch Oppenheimers Methode beschädigt werden, andere betrachten ihre Auftritte als gelungene Fortsetzung ihrer Einschüchterungspraxis. Zu Anwar Congo baut der Regisseur im Laufe des Films eine enge Beziehung auf; man spürt, er mag diesen Mann, er will etwas von ihm. Diese Nähe ist manchmal irritierend, aber sie setzt etwas in Bewegung. Dass Reenactments Wiederholungen sind, die Differenz herstellen, das begreift am Ende auch Anwar. Eine große Erschütterung erfasst seinen Körper, als würde er sich gleichsam von innen nach außen stülpen.

The Act of Killing«, Regie: Joshua Oppenheimer, ­Dänemark/Norwegen/Großbritannien 2012, Kinostart: 14. November