Krawalle bei den Kommunalwahlen im Kosovo

Der nörgelnde Norden

Die Kommunalwahlen im Kosovo sollten die Integration der serbischen Minderheit im Nordkosovo in den Gesamtstaat fördern, doch es kam zu Ausschreitungen. Von einer Annäherung zwischen Norden und Süden kann keine Rede sein.

Der jüngste Staat Europas kommt nicht zur Ruhe. Bei den Kommunalwahlen am 3. November skandierten vermummte Nationalisten »Kosovo ist Serbien«, attackierten Wahllokale, Wahlhelfer sowie Wählerinnen und Wähler, zerschlugen Scheiben und beschädigten Wahlurnen und Wahlzettel. Eine Tränengasgranate wurde geworfen, mehrere Personen wurden vom Wählen abgehalten und in einem Wahllokal wurde sogar ein Sprengsatz gefunden, was zur vorzeitigen Schließung der Wahllokale im Nordkosovo führte. Die kosovarischen Polizeikräfte waren, selbst mit Hilfe der Entsandten der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU (Eulex), nicht in der Lage, für die Sicherheit der Wählerinnen und Wähler zu sorgen, dabei war bereits zuvor mit solchen Problemen gerechnet worden.
Im Norden Mitrovicas kam es zu mehreren Angriffen auf serbische Kandidaten, die den Nationalisten als Verräter gelten. Am Tag vor den Wahlen wurde Kristimir Pantić, ein serbischer Bürgermeisterkandidat, von Unbekannten verprügelt. Am 6. November wurde im Büro der kosovarischen Regierungspartei Demokratische Partei des Kosovo (PDK) gegen 21 Uhr eine Bombe gezündet. Verletzt wurde dabei niemand. Noch am 1. November hatte Norbert Mappes-Niediek in der Welt geschrieben, dass der erbitterte Konflikt der neunziger Jahre zu erblassen scheine: Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein.

»Der erste Demokratietest für das gesamte Kosovo«, wie Ministerpräsident Hashim Thaçi die Wahlen nannte, ist am Widerstand der Serbinnen und Serben im Nordkosovo gescheitert. Der serbische Ministerpräsident Ivica Dačić zeigte sich einsichtig und erklärte: »Die Zukunft der Kosovo-Serben darf nicht am Widerstand von einigen Rechtsextremen scheitern, die ihre eigenen Landsleute als Geisel nehmen.«
Dabei blieben nicht nur Rechtsextreme, sondern ein Großteil der Wahlberechtigten im Nordkosovo den Wahlen fern. In den mehrheitlich serbischen Gebieten lag die Wahlbeteiligung zwischen elf und 22 Prozent, während im Rest des Kosovo jeder zweite Wähler seine Stimme abgab. Die Kommunalwahlen sollten die ersten gesamtstaatlichen Wahlen werden, an denen sich auch die serbische Minderheit im Nordkosovo beteiligt, um der Zen­tralregierung in Priština die notwendige demokratische Legitimität zu verleihen. Vereinbart worden war dies am 26. Mai zwischen den Ministerpräsidenten Serbiens und des Kosovo unter Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.
»Das sind die ersten Wahlen, die im gesamten Kosovo durchgeführt wurden. Damit hat Serbien die territoriale Integrität des Kosovo anerkannt«, sagte Thaçi. Auch die Wahlbeobachter der Europäischen Union scheinen optimistisch. Samuel Žbogar, Sonderbeauftragter der EU und ehemaliger Außenminister Sloweniens, bezeichnete die Wahl trotz der Ausschreitungen als Erfolg. Woher dieser Optimismus kommt, ist unklar, zeigten die Kommunalwahlen doch, dass die Serbinnen und Serben im Nordkosovo sich nicht in den Gesamtstaat integrieren möchten. Im Rest des Kosovo verliefen die Wahlen übrigens friedlich –die großen Sieger waren die sozialdemokratische PDK und die konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDP). Allerdings kam es auch hier zu Unregelmäßigkeiten. So fanden sich Verstorbene auf den Wahllisten und Lokalpolitiker wurden dabei beobachtet, wie sie noch am Wahltag vor den Wahllokalen für sich warben.

Eigentlich war den Serben im Nordkosovo ein starker Autonomiestatus garantiert worden, wenn diese sich bereit erklären, sich in den kosovarischen Staat zu integrieren. Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung könnten nun albanische Kandidaten die Bürgermeisterwahlen im Nordkosovo gewinnen, was die meisten Serbinnen und Serben nicht akzeptieren würden und somit die vereinbarten Autonomierechte des Nordens gefährden könnte. Angesichts dessen warnte der serbische Ministerpräsident Dačić vor dem Ausbruch von Gewalt. Er bestand wegen der Ausschreitungen vom 3. November auf Neuwahlen und einigte sich mit Ashton und Thaçi darauf, dass die Kommunalwahlen in drei Wahlkreisen wiederholt werden. Dies wird am kommenden Sonntag geschehen. »Wenn am 17. November nicht genug Serben zur Wahl gehen, dann werden sie einen albanischen Bürgermeister bekommen. Ich persönlich wünsche ihnen viel Glück«, mahnte Dačić seine Landsleute im Nachbarland.

Die EU gibt sich derweil weiterhin der Illusion hin, sie könne die Kosovo-Serben beeinflussen, indem sie Serbien eine Beitrittsperspektive eröffnet. Die serbische Regierung in Belgrad erfüllt fast alle Forderungen der EU-Kommission und legte der serbischen Minderheit im Kosovo dazu auf, an den Wahlen teilzunehmen. Hauptgrund dafür dürfte sein, dass das von einer Wirtschaftskrise gebeutelte Land in die EU strebt und sich unter den Politikern inzwischen die Einsicht verbreitet hat, dass der Kosovo nie wieder Teil Serbiens wird, auch wenn das die meisten niemals öffentlich zugeben würden. Viele Serbinnen und Serben im Nordkosovo fühlen sich unterdessen von der serbischen Regierung betrogen, weil sie das Gefühl haben, das »Mutterland« habe sie geopfert, um die EU-Integration voranzutreiben. Im Januar sollen die Beitrittsverhandlungen mit Serbien beginnen. Dies hat aber kaum noch Einfluss auf die Serben im Kosovo. Zudem herrscht auch in der EU keine Einigkeit über den Umgang mit dem Kosovo, immerhin haben auch EU-Mitglieder wie Spanien, Griechenland, die Slowakei und Rumänien den Staat nicht anerkannt.
Die Gewalttaten der Rechtsextremen im Nordkosovo müssen verurteilt werden, doch gibt es für die Bevölkerung im Nordkosovo gute Gründe, die Wahlen zu boykottieren. Wenn sich 99,7 Prozent der Serbinnen und Serben im Nordkosovo bei einem Referendum gegen jegliche Kooperation mit der kosovarischen Regierung in Priština aussprechen, lässt sich das nicht nur durch Natio­nalismus und den Einfluss der serbischen Rechten erklären.
Das Leben in der serbischen Enklave ist vergleichsweise teuer und der Staat ist einer der wichtigsten Arbeitgeber. Der serbische Staat bezahlt den Beamten im Nordkosovo höhere Gehälter als in Serbien und bei vielen kommt noch ein Gehalt aus Priština hinzu. Andere Verdienstmöglichkeiten haben viele Menschen nicht und die Angst, sie könnten ihren Job und die Extra­gehälter aus Belgrad bei einer stärkeren Integration verlieren, ist durchaus berechtigt. Die mangelnde Rechtsstaatlichkeit im Nordkosovo macht es möglich, dass viele Menschen weder Steuern noch Strom- und Gasrechnungen bezahlen müssen. Das Gesundheitssystem im Nordkosovo ist schlecht, aber immer noch besser als in weiten Teilen des Südens. An der Universität fürchtet man sich, dass im Falle einer stärkeren Integration in den kosovarischen Gesamtstaat Studierende aus Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien nicht mehr in das Land kommen. Dort, wo sie in der Minderheit sind, wandern Serbinnen und Serben weiterhin aus, weil sie sich diskriminiert fühlen –ein weiterer Grund zur Skepsis. Auf der Flagge des Kosovo prangen die Umrisse des Staats und sechs Sterne, die für die Albaner, Serben, Bosniaken, Roma, Türken und die anderen Minderheiten stehen. Ginge es nach vielen Serbinnen und Serben, würden sie wohl einen Stern und den nördlichen Teil des Staats daraus entfernen.