Die »Emma« und die Debatte über Prostitution

Sklaverei oder Lohnarbeit

Seit die Zeitschrift Emma einen »Appell gegen Prostitution« veröffentlicht hat, wird die Prostitutionsdebatte noch schärfer geführt.

Was eint die Ordensschwester Lea Ackermann und die evangelische Theologin Margot Käßmann? Die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Maria Böhmer, und die deutsche Sektion von Femen? Und was eint Necla Kelek, Sarah Wiener, Reinhard Mey und Marion F., Verwaltungsangestellte aus Bochum? Zumindest eines: Sie haben zusammen mit bisher mehr als 3 500 anderen Bürgerinnen und Bürgern den »Appell gegen Prostitution« der Zeitschrift Emma unterzeichnet.
Die Debatte um Prostitution wird schon seit Monaten scharf geführt. Die EU kritisierte den angeblich mangelnden Einsatz gegen Menschenhandel in Deutschland, die Bundesländer drohten mit eigenen Regelungen für Bordellbetreiber, die schwarz-gelbe Koalition scheiterte kurz vor der Bundestagswahl mit einem Gesetzentwurf, den alle Experten als undurchdachten Schnellschuss kritisiert hatten.

In dieser angespannten Stimmungslage hat Alice Schwarzer in der von ihr herausgegebenen Emma den Appell veröffentlicht. Prostitution bezeichnet sie darin als »moderne Sklaverei« und als »Frauenkauf«. Deutschland sei mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 zu »Europas Drehscheibe für Menschenhandel« und zum »Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern« geworden. Deshalb fordert Schwarzer, Menschenhandel zu bekämpfen und die Prostitution abzuschaffen. Manche der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dürften die Forderung nach einem Prostitutionsverbot weitgehend unbesehen unterschrieben haben, darunter zahlreiche Prominente aus dem Politik- und Kulturbetrieb. Andere sind ausgewiesene Prostitutionsgegner wie Ordensschwester Ackermann. Sie hat die Hilfsorganisation Solwodi mit Beratungsstellen für Prostituierte gegründet und unter dem Titel »Mach den Schluss-Strich« auch eine eigene Petition gegen Prostitution initiiert.
Der Appell in Emma stieß auf viel Zustimmung, aber auch auf scharfe Kritk. Die Prostituiertenorganisation Doña Carmen urteilte, Schwarzers Aufruf sei »ein Fall für den Papierkorb. Jeder zweite Satz ist eine Lüge.« Prostitution sei keine Sklaverei, sondern Lohnarbeit. Schwarzer gehe es nicht um Rechte für Sexarbeiterinnen, sondern »nur um das Niedermachen der Prostituierten«. Zur Gleichheit der Geschlechter trage die Abschaffung von Prostitution nicht bei. Frauen sollten lieber mehr Callboys fordern. »Schwarzers ›Appell gegen Prostitution‹ ist unverkennbar geprägt vom schwerfälligen, oberlehrerhaften, insgesamt galligen Unterton der Verbitterung und Freudlosigkeit einer Generation 70 plus. Da passt es ins Bild, dass in diesem Appell, der von Prostitution ­handelt, Sex mit keiner einzigen Silbe Erwähnung findet. Eine grandiose Verdrängungsleistung«, schreiben Doña Carmen nicht weniger gallig.
Der erst im Oktober gegründete »Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen« verfasste einen sachlicheren »Appell für Prostitution« und konnte ebenfalls eine Reihe Unterzeichnerinnen und Unterzeichner gewinnen, darunter vor allem Sexarbeiterinnen. In dem Verband organisieren sich Prostituierte aus verschiedenen Sparten. Sie kritisieren an Schwarzers Aufruf ebenfalls die Gleichsetzung von Prostitution mit Sklaverei: »Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung. Das ist auch dann ein Straftatbestand, wenn dabei Geld den Besitzer wechselt.« Statt Verboten und der Ausweitung von Polizeibefugnissen fordert der Verband Weiterbildung, einen respektvollen Umgang mit Prostituierten und Hilfe für Opfer des Menschenhandels.

Im Appell der Emma wird dagegen das sogenannte schwedische Modell als Vorbild dargestellt. In Schweden ist die Prostitution bereits seit 1999 verboten, bestraft werden jedoch nicht die Prostituierten, sondern ihre Kunden. Trotzdem vermeidet Schwarzer es, ein sofortiges Verbot zu fordern, und spricht sich für Maßnahmen aus, die »kurzfristig zur Eindämmung und langfristig zur Abschaffung« von Prostitution führen sollen. So konnten auch CDU-Politikerinnen unterschreiben, denen klar sein dürfte, dass sich ein Prostitutionsverbot in absehbarer Zeit nicht durchsetzen lassen wird. Dazu gehören die Vorsitzende der Frauenunion, Böhmer, und die CDU-Abgeordnete und Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Maria Flachsbarth. Die katholischen Frauen könnten sich »eine Welt ohne Prostitution« durchaus vorstellen, sagte Flachsbarth in einem Interview mit der Taz, die CDU könne dies eher nicht. Tatsächlich setzt die CDU nicht auf ein Verbot, sondern auf Regulierung und Kontrolle. Das dürfte mit der SPD in der angestrebten großen Koalition leichter zu erreichen sein als mit der FDP, die sich kurz vor der Bundestagswahl noch gegen eine Genehmigungspflicht für Bordelle gesträubt hatte. Das Thema steht jedenfalls auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen und eine schnelle Einigung scheint durchaus möglich, das haben Vertreter von CDU und SPD bereits mehrfach öffentlich betont.
Eine klare Absage an Schwarzer gab es nur von der Linkspartei. Die frauenpolitische Sprecherin Cornelia Möhring und die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke verurteilten den »moralischen Rigorismus« des Appells und sagten, man stehe für »eine erneute pauschale Kriminalisierung« des Prostitutionsgewerbes nicht zur Verfügung. Die Grünen, die 2001 das Prostitutionsgesetz zusammen mit der SPD verabschiedet haben, ringen dagegen noch um eine gemeinsame Haltung. Auf ihrem Parteitag im April sorgte ein Antrag für eine schärfere Regulierung der Prostitution noch für Spott. Reichlich realitätsfern forderten damals vor allem bayerische und baden-württembergische Grüne, dass Freier künftig bei jedem Bordellbesuch ein gültiges Gesundheitszeugnis vorlegen sollten. Der Antrag gelangte nicht ins Wahlprogramm. Nun sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt der WAZ, man wolle die Situation von Prostituierten verbessern, Prostitution aber nicht mit Menschenhandel gleichsetzen.
Die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit hielt es eher für berichtenswert, dass sich die Grüne Jugend, die sich in einer Pressemitteilung für die gesellschaftliche Anerkennung von Sex­arbeiterinnen aussprach, mit Alice Schwarzer streite. Die Schadenfreude konnte sicher nur hartgesottenen Stammlesern des Blatts ein Lächeln abringen. Denn dass die Fronten in der Prostitutionsdebatte quer durch bürgerliche, linksliberale und linke Kreise verlaufen, ist offensichtlich.

Aber offenbar weiß man auch in der Neuen Rechten nicht, was man von Schwarzers Appell halten soll. Der rechtskatholische Blogger Peter Winnemöller etwa schreibt in der erzkonservativen Internetzeitung freiewelt.net, er sehe sich »geneigt, Alice Schwarzer zu unterstützen«, schließlich gehöre es sich für einen Katholiken, Prostitution abzulehnen. So frömmelnd sehen das allerdings nicht alle Leser auf freiewelt.net. Ein Nutzer schreibt in seinem Kommentar: »Wo Schwarzer draufsteht, ist auch Schwarzer drin: Es geht um Macht! Haltung des Mannes als possierliches und nützliches Haustier. Dressiert mit der Peitsche des Sexmonopols, das durch Huren gefährdet ist.« Wenn es schon in der Ehe nicht mehr das »bewährte Arrangement« der »Beischlafpflicht als Gegenleistung zur Versorgung von Weib und Kind« gebe, müsse ein Mann wenigstens Prostituierte in Anspruch nehmen dürfen. Das dürften allerdings weder Schwarzer und Käßmann, noch die Sexarbeiterinnen und Callboys unterschreiben.