In Mölln ­erinnert man an die Opfer der Brandanschläge vor 21 Jahren

Gedenken ohne Opfer

In Mölln starben vor 21 Jahren bei von Neonazis verübten Brandanschlägen auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser eine Frau und zwei Mädchen. Neun Menschen wurden verletzt. In diesem Jahr begehen die Stadt Mölln und die Überlebenden den Jahrestag getrennt voneinander.

In der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 warfen zwei Neonazis in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln Molotowcocktails in zwei Wohnhäuser. In beiden Häusern wohnten Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Die Täter riefen bei der Polizei an und teilten mit, dass zwei Häuser brennen. Sie beendeten den Bekenneranruf mit den Worten »Heil Hitler«. In ­einem der beiden Häuser starben drei Menschen.
Mit diesen Morden wurde die Stadt Mölln zum Synonym für den rechten Terror nach der Wiedervereinigung. Kurz nach der Tat war das öffentliche Interesse groß. Das Gedenken an die Brandanschläge in den folgenden Jahren erwies sich jedoch nur als Pflichtübung norddeutscher Lokalpolitiker.

Im vorigen Jahr schien sich im ländlichen Schleswig-Holstein einiges zu bewegen. Mitglieder der Familie Arslan, vor allem Ibrahim Arslan, dessen Großmutter, Schwester und Cousine bei dem Anschlag gestorben waren, und Faruk Arslan, Ibrahims Vater, waren maßgeblich an der Organisa­tion der Gedenkveranstaltungen beteiligt. Um sie bildete sich ein Freundeskreis aus Familienmitgliedern der Familie Arslan und weiteren Personen, der das Gedenken mitgestalten wollte und dies auch tat. Zahlreiche Veranstaltungen wurden von diesem Zusammenschluss geplant und durchgeführt.
So wurde auf Initiative von Ibrahim Arslan ein Konzert mit Jan Delay und anderen Künstlern aus Hamburg organisiert. Die Familie Arslan war an der linksradikal geprägten Demonstration beteiligt, die seit 2007 wieder jährlich stattfindet. Zudem gaben sowohl Ibrahim als auch Faruk Arslan Interviews in Zeitungen und Fernsehsendungen und berichteten davon, dass es geradezu unmöglich sei, mit dem erlittenen Leid umzugehen. Ihr Schluss daraus war, das Gedenken zurückzuerobern. Mit dem Motto des vorigen Jahres, »Das Erinnern erkämpfen«, zeigten sich die Überlebenden, hier vor allem Ibrahim Arslan, der als Siebenjähriger den Brandanschlag überlebte, als Beteiligte und nicht als Zuschauer des Gedenkens. Mit der offensiven Parole wurde auch auf die schwache Position der Überlebenden bei der Gestaltung des Jahrestages hingewiesen. Der Degradierung der Opfer zu Statisten sollte damit entgegengetreten werden.
Diese aktive Beteiligung schlug sich auch inhaltlich nieder. So hielten 2011 und 2012 mit Imran Ayata und Beate Klarsfeld zwei ausgewiesene Kritiker des deutschen Rassismus die »Möllner Rede«. Diese Rede soll, ihrem Anspruch nach, eine Zustandsbeschreibung des gegenwärtigen Rassismus in der deutschen Gesellschaft liefern. Insbesondere Ayata, Mitstreiter bei Kanak Attak, stellte die elementare Bedeutung der Brandanschläge für heutige Migranten in Deutschland heraus. Klarsfeld war in der Möllner Kommunalpolitik als Rednerin zum 20. Jahrestag der Brandanschläge umstritten, doch der Freundeskreis um Ibrahim Arslan setzte sich durch.

Das Gedenken im Jahr 2012 war somit vor allem von den Überlebenden und deren explizit politischer Haltung geprägt. Dies schien aber zu viel zu sein für den kleinen Luftkurort in Schleswig-Holstein. An den Demonstrationen zum Gedenken hatte sich die Stadt bereits die Jahre zuvor nicht beteiligt und wird es auch dieses Jahr nicht tun. Die »Möllner Rede« hingegen wird am 22. November nicht in Mölln gehalten werden. Sie geht ins Exil nach Hamburg. Denn die Stadt hat sie aus dem Programm gestrichen. Trotz der schwierigen Ausgangslage zeigt sich der Freundeskreis wieder kämpferisch. So lässt Ibrahim Arslan über den Freundeskreis mitteilen: »Wir sind die Hauptzeugen des Geschehens. Auch 21 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag von Mölln gilt: Die Erinnerung zurück zu erkämpfen.«
Ein gemeinsames Gedenken mit der Stadt zu organisieren, scheint aber auch an der Einladungspolitik der Stadt zu scheitern. Der Bruder der Ermordeten Ayşe Yılmaz wurde in diesem Jahr nicht zu den Gedenkveranstaltungen in Mölln eingeladen. Dies scheint symptomatisch für den Umgang zu sein, den die Stadtverwaltung mit den Über­lebenden und deren Angehörigen pflegt. Ibrahim Arslan sagt dazu in der Pressemitteilung: »Wer einmal Statist war, soll nach Vorstellungen vieler Verantwortlicher immer Statist bleiben. Dagegen wehren wir uns.«

Dass die Stadt kein großes Interesse an einer Aufarbeitung der Morde hat, zeigte sich schon kurz nach den Brandanschlägen. Als neun Tage nach dem Anschlag zwei Neonazis die Tat gestanden, äußerte der damalige regierende Bürgermeister Joachim Dörfler: »Jetzt wird hoffentlich bald wieder Normalität einkehren in unsere eigentlich so gemütliche kleine Stadt.«
Da scheint es auch zu stören, wie der Freundeskreis mit der Geschichte der Möllner Brandanschläge umgeht. Die heutige Neonaziszene ist beispielsweise der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso wenig präsent wie die damalige. Die FAZ schrieb anlässlich des 20. Jahrestags der Brandanschläge: »Es hat (...) weder vor den Brandanschlägen noch danach eine rechtsradikale Szene in der Stadt gegeben.« Die Auseinandersetzungen, die es mit Neonazis vor den Brandanschlägen gab, vor allem während des örtlichen Volksfestes, dem Herbstmarkt, scheinen vergessen. Aber auch in jüngerer Vergangenheit waren die Neonazis nicht verschwunden. Pünktlich zum vorigen Jahrestag der Brandanschläge wurde das Haus in der Mühlenstraße, in dem die 51jährige Bahide Arslan und ihre beiden zehn- bzw. 14jährigen Enkelinnen Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz starben, mit rechtsextremen Parolen beschmiert.
Stadt und Öffentlichkeit wollen, sich mit den Morden allenfalls anlässlich von Jahrestagen auseinandersetzen. Das zeigt sich auch in der Kommunalpolitik. Das Vorhaben eine Straße nach den Ermordeten zu benennen ist in allen Gremien der Stadt gescheitert. Dass es anders geht, zeigt die Fraktion der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft. Sie lädt nun im Hamburger Rathaus zur »Möllner Rede im Exil«. So findet eine der wenigen kritischen Veranstaltungen, an der die Stadt Mölln die Jahre zuvor beteiligt war, nicht mehr am Ort der Morde statt. Die Morde von Mölln müssen im 50 Kilometer entfernten Hamburg aufgearbeitet werden.
Nachdem die Stadt Mölln nun nach einem Jahr aktivem und politischem Gedenken der Opfer einen solchen Jahrestag nicht mehr mitträgt, besteht die einzige Möglichkeit der Opfer darin, das Gedenken in anderen Städten und mit anderen Bündnispartnern aufrechtzuerhalten. Denn nur so würden sie in diesem Jahr wieder klare Ziele, klare Forderungen und klare Meinungen setzen, wie Ibrahim Arslan sagt. Der offensive Umgang ist und bleibt die einzige Möglichkeit für die Über­lebenden des Brandanschlags oder, um es mit den Worten von Ibrahim Arslan zu sagen: »Reclaim and remember. Jetzt erst recht.«