Gewalt­tätige Nazis in Aachen

Gleicher Ort, neue Schläger

Linke Demonstrationen finden in Aachen wieder unter erheblichem Polizeischutz statt. Grund dafür sind die jüngsten Gewaltausbrüche von Neonazis und Hooligans.

Ungewöhnlich viele Beamte hielt die Polizei am Abend vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht nahe der Aachener Synagoge bereit. Sie dienten dem vorsorglichen Schutz einer Mahnwache, an der etwa 100 Menschen teilnahmen. Eine nahegelegene Kneipe, die gern von Hooligans besucht wird, bereitete der Polizei Sorgen. Zwei Tage zuvor hatten in der Stadt ungefähr 120 Menschen gegen rechtsextreme Gewalt demonstriert. Der Protestzug war zu seinem Schutz von einem überaus großen Polizeiaufgebot begleitet worden. Nach dem Hinweis eines Journalisten, eine verdächtige Gruppe von jungen Männern halte sich im zehn Kilometer entfernten Würselen auf, hatten Beamte die Männer kontrolliert. Es hatte sich jedoch nicht um Rechtsextreme gehandelt.

Der Grund für die Nervosität und das große Aufgebot der Polizei war ein Ereignis Anfang November. Zunächst sah es an dem Tag so aus, als bliebe die Demonstration unter dem Motto »Fluchtursachen bekämpfen statt Flüchtlinge« überschaubar. Etwa 50 Teilnehmer hatten sich am Elisenbrunnen in Aachen eingefunden. Die Lokalpresse hatte nicht einmal einen Reporter, sondern nur einen Fotografen geschickt, der die Auftaktkundgebung nach wenigen Aufnahmen verließ. Die Polizei musste anfangs lediglich den Verkehr regeln. Doch nach 200 Metern Wegstrecke tauchten Neonazis auf. Es gab Tumulte und Festnahmen, Beamte setzten Pfefferspray ein, der Einsatz einer Hundertschaft folgte.
Während in Hamburg Tausende Menschen aus »Solidarität mit Lampedusa« auf die Straße gingen und ein Bleiberecht für ungefähr 300 afrikanische Flüchtlinge forderten, griffen etwa 15 überwiegend aus Süddeutschland und Österreich angereiste Neonazis in Aachen die Demonstration an, die wie in Hamburg aus Solidarität mit Flüchtlingen stattfand. Später attackierten zudem Hooligans den Demonstrationszug. Ein Polizist und einige Antifaschisten wurden verletzt. Nach Angaben der Polizeisprecherin Iris Wüster wurden »umfangreiche Ermittlungen« eingeleitet.
Aachens Nazis und gewaltbereite Fußballfans von Alemannia Aachen sorgen seit Jahren für Schlagzeilen. Ungeachtet dessen behauptete ein Leserbriefschreiber in der Lokalpresse, Aachen habe kein »großes Nazi-Problem, (…) angesichts der Tatsache, dass 15 Neonazis extra aus Süddeutschland anreisen müssen, um eine Veranstaltung (…) zu stören«. Doch das ist ein Irrtum, denn gerade Münchener Neonazis unterhalten enge Kontakte mit »Kameraden« im Rheinland.
Dass sie ausgerechnet an der Stelle, an der ungefähr 30 bis 40 Neonazis und rechte Hooligans schon 2008 einen Protestzug von Antifaschisten angegriffen hatten, wieder zur Tat schritten, ist ein deutliches Zeichen. Seinerzeit hatte Polizeipräsident Klaus Oelze gesagt, ein solcher Überfall dürfe sich in der ganzen Region nicht wiederholen. Monatelang fanden linke Demonstrationen, Mahnwachen für die Opfer der Nazis und auch pro­israelische Veranstaltungen nur unter großem Polizeischutz statt. Fünf Jahre später zeigen Nazis aus dem Süden dem immer noch amtierenden Oelze seine Grenzen auf – am selben Ort wie 2008.

Angereist waren die Neonazis um den bis 2011 in Aachen und mittlerweile in München lebenden Daniel T. an jenem Wochenende auch zu der Geburtstagsfeier des Vorsitzenden des Kreisverbandes Aachen der Splitterpartei »Die Rechte« (DR), André Plum. Plum und T. gehörten 2010 einer Vorfeldorganisation der »Kameradschaft Aachener Land« (KAL) rund um Falko W. an. W. und T. wurden später unter anderem wegen der Herstellung von Sprengkörpern und des Beschmierens der Außenmauer des jüdischen Friedhofs mit Morddrohungen und Hakenkreuzen zu Bewährungsstrafen verurteilt.
T. zog nach seiner Verurteilung 2011 nach München und sollte dort eine Bewährungsauflage erfüllen, nämlich den Abschluss seiner Ausbildung bei einer großen Hotelkette. Der Umzug sollte zudem nach Ansicht des Gerichts dazu beitragen, dass er den Kontakt mit den »Kameraden« reduziert oder abbricht. In München betätigte T. sich jedoch in größerem Maß politisch als je zuvor. Mittlerweile ist der 28jährige Mitbewohner in einer Wohngemeinschaft von Nationalsozialisten, Münchener und Aachener Nazis arbeiten dank der persönlichen Verbindungen zusammen.
So besuchten Plum und andere Aachener Aufmärsche und einen Prozess in München, feierten gemeinsam mit den süddeutschen Kameraden auf dem Oktoberfest und besichtigten, so erklärten sie auf Facebook historisch eigenwillig, den »Königsplatz, ehemals Adolf-Hitler-Platz«, sowie die Feldherrenhalle. Im Gegenzug besuchten T. und andere Münchner im Rahmen eines »Kultur- und Geschichtsausflugs« Aachen, feierten im August auf dem Öcher Bend, einer Großkirmes, und besuchten Spiele der Alemannia.
An dem Tag Anfang November besuchten die Neonazis zuerst das Heimspiel gegen Rot-Weiß Oberhausen. Nach der Partie eilte der Tross in die Innenstadt, postierte sich an der Route der linken Demonstration und zeigte ein Transparent des Freien Netzes Süd (FNS), auf dem Werbung für die griechische Nazipartei Chrysi Avgi gemacht wurde. Zwischen dieser Gruppe und den linken Demons­tranten kam es dann zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen.
Deswegen, sagt Polizeisprecherin Wüster, habe die Polizei »massiv einschreiten« müssen, um Provokationen und Handgreiflichkeiten zu beenden. Ein Polizist erlitt dabei »eine schwere Handverletzung«. Fünf Neonazis wurden in Gewahrsam genommen. Trotzdem erlaubte die Polizei den restlichen »Kameraden«, eine Versammlung anzumelden. Sie durften eine Spontankundgebung in unmittelbarer Nähe der linken Demonstration abhalten. Die Polizei beorderte Beamte aus einer Hundertschaft an den Ort, die zuvor im Stadion bei Alemannia im Einsatz gewesen war. Der Spuk dauerte noch gut eine Stunde, dann beendeten die Neonazis ihre Kundgebung und rückten ab. Es war Zeit für Plums Geburtstagsfeier.

Doch auch auf der weiteren Strecke verlief die Solidaritätsdemonstration für die Flüchtlinge nicht ruhig. Schon einige hundert Meter weiter attackierten etwa 15 Hooligans aus einer einschlägig bekannten Gaststätte am Synagogenplatz die linken Demonstranten mit Knüppeln und Flaschen. Den Angegriffenen zufolge bezeichneten die Hoo­ligans sie wenige Meter neben der Synagoge auch als »Juden« und »Judenschweine«. Polizisten setzten Pfefferspray ein. Im Verlauf des Abends suchten knapp zehn Hooligans zudem das Autonome Zentrum auf und provozierten erneut Streit. Auch hier musste die Polizei eingreifen. Polizeiliches Einschreiten allein dürfte das Problem jedoch nicht lösen.