Wie politisch ist der Künstler Vatican Shadow?

Der Unzurechenbare

Krasse Bilder, verstörende Musik, provokatives Auftreten – dass es sich bei Vatican Shadow um einen politischen Künstler handelt, darüber besteht Einigkeit. Aber worum geht es dem Mann aus New York eigentlich, wenn er in Militäruniform auf die Bühne tritt und die Hipster zum Hampeln bringt?

Nachdem zu Beginn des Jahrtausends Noise und experimentelle Musik so etwas wie einen Underground-Boom erlebten, schwappt die Welle nun auf andere Genres über. Besonders die klinische Aufgeräumtheit elektronischer Musik bietet Angriffsfläche: Musik-Labels wie Pan erforschen, wie weit sich die Grenzen des Genres »Dance-Music« verschieben lassen, gefeierte Künstler wie Pete Swanson und Silent Servant versetzen Techno mit einer ordentlichen Portion Dreck und Düsternis. Zu ihnen zählt auch Dominick Fernow, der unter dem Namen Vatican Shadow in Erscheinung tritt. Sein finsterer Techno-Entwurf kommt martialisch daher und gebärdet sich als politisch.
»Militant Religious Industrial« nennt Fernow seine auf dem eigenen Label veröffentlichte Musik, die Cover seiner Platten sind von drastischer Direktheit: Da blicken uns Saddam Hussein oder David Petraeus entgegen; es sind Soldaten in voller Kampfmontur oder tschetschenische Rebellen abgebildet, die Titel lauten »Mural of Saddam«, »Washington Buries Al Qaeda Leader at Sea«, »Pakistan Military Academy« oder »At­ta’s Apartment Slated For Demolition«. Das kann man wohl einen monothematischen Output nennen: Sämtliche Veröffentlichungen von Vatican Shadow beziehen sich in Titel, Songtitel sowie Artwork auf die Geschehnisse des 11. September 2001 und den sogenannten War on Terror.
Mit großer Geste wird die Krassheit des eigenen Themas ausgestellt, und so kommt auch kaum ein Kommentar zu Fernows Projekt ohne Hinweis auf dessen militaristisches Auftreten aus. Die Meinungen reichen dabei von Ablehnung als Macho-Musik, die es lediglich auf Konfrontation abgesehen habe (The Wire), oder als militaristischem Schund, der Soldaten-Konterfeis wie Baseballkarten sammle (Pitchfork), bis hin zur Anerkennung als eine komplexere Reaktion auf 9/11 (The Quietus). Eine kontroverse Diskussion hat sich an Vatican Shadow aber nicht entzündet. Weder wird erläutert, inwiefern hier eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema stattfinde, noch warum sich, der Gegenseite zufolge, alles in bloßer Provokation erschöpfe. Worum geht es hier also? Offensichtlich betreibt Vatican Shadow keine patriotische Feier der US-amerikanischen Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte, dazu ist die Gestaltung seiner Veröffentlichungen zu nüchtern, zu wenig glorios, und auch die hoffnungslose Atmosphäre der Musik lässt kaum Hurra-Stimmung aufkommen. Live-Auftritte von Vatican Shadow vermitteln den Eindruck, hier gehe es statt um hedonistische Alltagsentrückung eher um Rituale eines aggressiven Ex­orzismus: Dominick Fernow steht im Desert-Storm-Tarnhemd hinter seinen Instrumenten und headbangt wie wild, während die Zuschauer unentschieden zwischen befremdetem Staunen und unbeholfenen Tanzversuchen schwanken. Im Hintergrund werden Fernows Collagen aus Zeitungsausschnitten, Bibelschnipseln und Firmenlogos an die Wand projiziert.
Diese Collagen hat der New Yorker Musiker in Buchform ebenfalls als Vatican Shadow unter der Überschrift »A Lie Must Tell a Single Story« auf dem eigenen Label veröffentlicht. Der Titel legt nahe, hier würden irgendwelche Lügen aufgedeckt. Handelt es sich bei Vatican Shadow also um eine Art multimedialer Auseinandersetzung mit den Unwahrheiten »der Politik« oder »der Medien« im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September 2001? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Weder gibt es erläuternde Statements oder begleitende Texte noch Interviews mit dem Künstler, die Erklärungen liefern würden. Die Masse an Bildern und Zitaten, mit denen Vatican Shadow einen förmlich bombardiert, steht im Kontrast zur gänzlichen Abwesenheit klarer Aussagen.
Nun ist wahrscheinlich nichts langweiliger als die tausendste Band, die die Übel der Welt zu einfältigen Slogans zusammenfasst. Doch die Unentschiedenheit der Vatican-Shadow-Tonträger zwischen kritischem Impuls und militaristischer Faszination verursacht zumindest zwiespältige Gefühle.
Gerade dass nicht eindeutig zu entschlüsseln ist, worum es dem Künstler geht, reizt natürlich umso mehr dazu, dem Phänomen auf die Schliche zu kommen. Und so kann man sich selbst aufmachen und versuchen, den Elementen zu folgen, aus denen sich der Text- und Bildkosmos von Vatican Shadow zusammensetzt. Der Titel des diesen Monat erschienenen Albums »Remenber Your Black Day« zum Beispiel bezieht sich auf ein Graffito, das während der Angriffe auf die amerikanische Botschaft in Kairo am 11. September 2012 aufgenommen wurde und drei Eselsköpfe in einem Davidstern mit der Überschrift »Remember your black day 11. September« zeigt. Der Songtitel »Not the Son of Desert Storm« vom gleichen Album ­zitiert eine Äußerung des US-Generals Charles Krulak, der mit den Worten »The future of war is not the son of Desert Storm but the step child of Chechnya and Somalia« vor falschem Vertrauen in die technologische Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte im »asymmetrischen Krieg« gegen Terroristen warnt. »Tonight Saddam Walks Amidst Ruins« wiederum ist der Rede von George Bush senior zum Ende des ersten Golfkriegs im März 1991 entnommen. Das alles wird kommentarlos nebeneinandergestellt, womit auch rasch die Grenzen dieses Verfahrens bloßen Zeigens offenbar werden: Hier steht alles mit allem in Verbindung, ohne dass irgendein Zusammenhang erhellt würde.
Will man davon ausgehen, dass Text und Bild nicht willkürlich montiert sind, so lassen sich mitunter irritierende Verknüpfungen finden. Unterlegt mit einer Karte von Kuwait und dem Irak schmückt ein Bibel-Zitat über die Zerstörung Jerichos die Rückseite des neuen Albums: »Alles Gold und Silber und die Geräte aus Bronze und Eisen sollen dem Herrn geweiht sein und in den Schatz des Herrn kommen.« Ob das verschlüsselt die These ausdrücken soll, der Einmarsch im Irak habe von vornherein nur den Ölreichtümern der Region gegolten? Nicht unwahrscheinlich. Und ob den interpretatorischen Bogen überspannt, wer in den neben­einander auf dem Cover arrangierten Symbolen wie Davidstern, Freimaurerzeichen, Illuminaten-Pyramide und Totenkopf Verschwörungstheorien angedeutet sieht? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
So findet man sich bald in ein Netz aus Verweisen wie bei Thomas Pynchon verstrickt, ohne dem Ganzen einen eindeutigen Sinn abgewinnen zu können. Natürlich lässt sich das selbst als gewitzter Metakommentar auf die scheinbar undurchschaubare Komplexität der Zusammenhänge lesen, und am Ende bleibt offen, ob der potentiell unendliche Verweisungshorizont von Vatican Shadow Ausdruck paranoider Verschwörungstheorien ist oder ob diese darin selbst reflektiert werden. Werden Auftreten und Gestaltung bei Vatican Shadow also immer wieder als Provokation aufgefasst, so liegt das wohl weniger daran, dass durch Bilder und Titel auf etwas hingedeutet würde, vor dem alle lieber die Augen verschließen wollten, sondern vielmehr an der völligen Abwesenheit jeglicher Erklärung dazu. Was bleibt, ist das bloße Hinweisen auf das Thema selbst.
Das unkommentierte Benutzen von Symbolen und drastischen Bildern hat in jener meist »Power Electronics« genannten musikalischen Szene, der Fernow entstammt und in der er vor allem unter dem Namen Prurient bekannt geworden ist, eine gewisse Tradition. Seit Pioniere wie Whitehouse hier in den frühen achtziger Jahren Standards in Sachen Provokation gesetzt haben, gehören Nazisymbolik und Songtitel über Vergewaltigung oder Serienmörder zum angesagten Themenrepertoire. Den meisten Noise-Bands ging und geht es um das Angreifen von (Hör-)Gewohnheiten und um das Ausloten nicht nur musikalischer Grenzgebiete. Aber 30 Jahre nach den Ursprüngen hat sich daraus eine in Konventionen erstarrte Szene entwickelt, deren Schock-Taktiken in steter Wiederholung leerlaufen, und so wirkt das Genre heute eher (unfreiwillig) komisch. Während Urgesteine wie Throbbing Gristle oder Whitehouse als – wie auch immer verstörende – Kunstgebilde erkennbar waren, haben sich zudem bald Bands wie Terre Blanche dazugesellt, die es mit der Nazisymbolik ernst meinen. Andere Vertreter des Genres wie Grey Wolves oder Con-Dom haben sich allenfalls halbherzig und wenig eindeutig zu Slogans wie »Stand Up White America« oder »Calling All Aryans« geäußert; meist bleibt es beim unbestimmten Rückzug darauf, man werde doch nur missverstanden.
Von derlei Schwachsinn ist Vatican Shadow weit entfernt. Die düsteren Veröffentlichungen weisen in ihrer dokumentarischen Kommentarlosigkeit einfach immer wieder auf diesen reichlich verworrenen Themenkomplex namens »War on Terror« und dessen Auswirkungen hin. Vor allem die Verbindung der defätis­tischen Atmosphäre der Musik mit der äußeren Gestaltung der Veröffentlichungen lässt sich leicht als Ablehnung verstehen. Eine wie auch immer geartete inhaltliche Kritik ist darin allerdings nicht zu finden. Das ist umso beunruhigender, als es verschwörungstheoretische oder reaktionäre Deutungen dieser Ablehnung des Bestehenden eben genauso zulässt – Kritik an Auslandseinsätzen der US-Armee gibt es auch aus den Reihen der Tea Party. Die politischen Bilder und Titel-Zitate bei Vatican Shadow markieren damit wohl vor allem die Grenze der Möglichkeiten von Musik, die kritisch sein möchte, sich auf Inhalt jedoch nicht einlassen mag. Aber vielleicht ist das ja auch zu viel verlangt und vielleicht liegt die Kraft dieser Musik vielmehr im emotionalen Ausdruck von Fassungslosigkeit und Widerwillen angesichts der Lage der Dinge. Von diesem Gefühl der Verzweiflung überträgt sich im Düster-Techno von Vatican Shadow in jedem Fall eine ganze Menge.

Vatican Shadow: Remember Your Black Day (Hospital Productions)