Die deutschen Euro-Gegner bereiten sich auf die Wahl zum Europaparlament vor

Gleichungen mit Unbekannten

Die Alternative für Deutschland führt einen Richtungsstreit vor der Europawahl, die im Mai kommenden Jahres ansteht.

Bescheidenheit gehört nicht zu ihren hervorstechenden Eigenschaften. »Mut zur Wahrheit« lautet ein Motto der Alternative für Deutschland (AfD), deren Protagonisten sich gerne als die wahren Euro-Kritiker betrachten. Mit ihrem pathetischen Auftreten konnte sie zwar bei den Bundestagswahlen einen Achtungserfolg erzielen, für einen Einzug ins Parlament reichte es aber nicht. Damit begannen die Probleme, die die Partei seitdem beschäftigen. Viele ihrer Funktionäre hatten wohl insgeheim damit gerechnet, bald einen lukrativen Posten im politischen Betrieb zu erhalten. Daraus wurde nichts. Die neuen Hoffnungen richten sich nun auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Frühjahr.
Seitdem nehmen Machtkämpfe und interne Streitereien zu. Selbst der smarte Vorsitzende Bernd Lucke, ohne dessen eloquentes Auftreten die Partei wohl kaum in kurzer Zeit so erfolgreich gewesen wäre, wird mittlerweile kritisiert. Unter anderem geht es um die Frage, ob die Partei die Differenz zwischen Luckes vollem Professorengehalt und seinen durch Beurlaubung reduzierten Bezügen ausgleichen soll. Nachdem der Vorstand eine Entschädigung gebilligt hat, sprechen einige Anhänger von einer Selbstbedienungs­mentalität.

Dass er sich zudem selbst zum Spitzenkandidaten für die Europawahlen ernannt hat, kommt bei vielen Mitgliedern ebenfalls nicht gut an. Bereits im Oktober hatte sich Lucke für den Wahlkampf ab dem kommenden Frühjahr von seiner Stelle an der Universität in Hamburg beurlauben lassen. Ursprünglich hieß es, die Wahlliste werde auf den kommenden Bundes- und Landesparteitagen beschlossen.
Mit seiner Kandidatur reagiert Lucke auch auf die mögliche Gefahr, dass bei einem Wahlerfolg künftige Europaabgeordnete der AfD ein neues Machtzentrum in der Partei bilden könnten. Schon jetzt wird erbittert darum gestritten, wer die möglichen Partner im Europaparlament sein könnten. Man dürfe zwar das Fell des Bären nicht verteilen, ehe er erlegt ist, sagte AfD-Vorstandsmitglied Dagmar Metzger der Berliner Zeitung. Aber falls der Einzug ins Europäische Par­lament gelinge, wolle man sich mit der nationalkonservativen Fraktion zusammentun.
Die deutschen Euro-Gegner würden dann eine gemeinsame Fraktion mit den britischen Tories, der tschechischen ODS des ehemaligen Präsidenten Václav Klaus sowie der polnischen PiS der Kaczynski-Brüder bilden. Unklar ist allerdings, wie die AfD mit der antideutschen Haltung der PiS zurechtkommen könnte.
Immerhin passen die britischen Konservativen um Premierminister David Cameron zu Luckes Bemühungen, seiner Partei ein seriöses bürgerliches Image zu geben und jeden Ruch des Extremismus zu vermeiden. So wies Lucke mehrere Kooperationsangebote von rechtspopulistischen Parteien wie »Die Freiheit« oder der Pro-Deutschland-Bewegung ab. Lediglich wer früher einer der im Bundestag vertretenen Parteien angehörte, sei noch willkommen, erklärte er. Wer hingegen Mitglied einer Splittergruppe gewesen sei, müsse sich künftig einer Art Parteitribunal stellen, einem Gespräch mit dem Landesvorstand, das zu protokollieren sei. »Die Regel ist dabei, dass nicht aufgenommen wird.«

Eine Regel, die vielen in der Partei missfällt. So wurden in Sachsen zwei ehemalige Funktionäre der Pro-Bewegung in den Kreisvorstand Chemnitz gewählt. Mehrere Landesverbände, darunter auch Baden-Württemberg und Hessen, lehnen einen Aufnahmestopp ab und fordern »Einzelfallprüfungen«. In Internetforen wurde sogar über die Absetzung von Lucke spekuliert. Wie tief die Auseinandersetzungen mittlerweile gehen, zeigt der Eklat auf dem Landesparteitag in Hessen. Dort trat am Wochenende der gesamte Vorstand zurück, ohne dass eine Nachfolge gewählt werden konnte. Zahlreiche Mitglieder hatten zuvor aus Protest den Saal verlassen.
Der Parteivorstand beeilte sich zwar, alle Nachrichten über interne Machtkämpfe zurückzuweisen. Die Gerüchte über eine Ablösung Luckes seien falsch, heißt es in einer Pressemitteilung, die Partei agiere geschlossen – um hinzuzufügen, dass es nun darum gehe, »innerhalb der Landesverbände diese einheitliche Linie gegenüber den­jenigen Leuten zu verteidigen, die der Partei schaden oder ihr eigenes Süppchen kochen« wollten.
Damit ist offenbar unter anderem der nordrhein-westfälische Landesverband gemeint, der sich offen gegen Luckes Europa-Politik wendet und sie als zu EU-freundlich kritisiert. Erst kürzlich hatten sich zwei Mitglieder der Landesvorstände von Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern eigenmächtig mit Nigel Farage von der britischen UKIP getroffen, was Luckes Linie widerspricht. Farage, der EU-Politiker in einem Interview als »eine Gruppe ehrgeiziger, machtversessener Irrer« bezeichnete, vertritt eine krude Mischung aus Nationalismus und Markt­radikalismus. Er fordert den EU-Austritt Großbritanniens und lehnt eine Regulierung der Finanzbranche rigoros ab. Bei den letzten Kommunalwahlen wurde die UKIP zweitstärkste politische Kraft in Großbritannien.
Forderungen, sich den britischen Nationalisten anzunähern, wertet Lucke lediglich als Einzelmeinungen. Doch ob dies tatsächlich zutrifft, kann er eigentlich kaum wissen. Das Partei- und Wahlprogramm der AfD wurde entworfen, ohne die rund 17 000 Mitglieder einzubeziehen. Wie die Basis wirklich denkt, wird sich auf dem Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen am Wochenende und vor allem auf dem Bundesparteitag Ende Januar zeigen.

Schließlich steht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für die AfD viel auf dem Spiel. Diesmal könnte der Einzug in ein Parlament gelingen und somit Parteifunktionären Posten, Einfluss und neuen finanziellen Spielraum verschaffen. Ob es gelingt, hängt auch davon ab, wie sich die Euro-Krise weiter entwickelt. Die alarmierenden Nachrichten aus den europäischen Krisenstaaten haben in den vergangenen Monaten nachgelassen, in Spanien und Irland hat sich die Lage zumindest oberflächlich verbessert. Selbst die Meldung, dass Griechenland neue Hilfskredite benötigt, scheint kaum mehr zu beunruhigen.
Doch mit der Ruhe könnte es bald wieder vorbei sein, wenn sich die wirtschaftliche Situation Frankreichs weiter verschlechtert. Umfragen zufolge verzeichnet dort der Front National (FN) deutlich mehr Zustimmung und könnte aus den Wahlen als großer Gewinner hervorgehen. Zusammen mit anderen rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien wie der FPÖ, der italie­nischen Lega Nord, dem belgischen Vlaams Belang, den Wahren Finnen und osteuropäischen Organisationen plant der FN eine gemeinsame Fraktion im Europäischen Parlament (siehe ­Seite 19).
Lucke will sich zwar »auf keinen Fall« einer solchen Fraktion anschließen, seine Parteibasis könnte dies aber vielleicht anders sehen. Wenn es den rechtspopulistischen Parteien gelingen sollte, mit extremen Forderungen Wählerstimmen zu gewinnen, könnten auch bei der AfD die Stimmen lauter werden, die einen ähnlichen Kurs verlangen. Auf das Stimmenpotential der Europa-Gegner spekuliert man allerdings auch außerhalb der AfD. So wurde auf dem CSU-Parteitag am Wochenende Peter Gauweiler zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Der selbsternannte »Euro-Rebell«, der sich mehrfach gegen eigene Koalitionsvorgaben gewendet hatte, soll die popu­listische Konkurrenz mit den eigenen Waffen schlagen. Wenn sich die AfD weiter selbst zerlegt, könnte besonders er davon profitieren.