Berlin Beatet Bestes. Folge 219

Norddeutsch bescheiden

Berlin Beatet Bestes. Folge 219. Revolver: Heut Nacht (1986).

Zurzeit bin ich leider der wohl einzige deutsche Schallplatten-Blogger. Ehemalige Musik-Blogger begnügen sich derweil damit, auf Facebook miteinander zu kommunizieren. Das übrige Internet wird, scheinbar mehr oder weniger freiwillig, denen überlassen, die es kommerziell nutzen wollen.« Im März schrieb ich diese Sätze, die unlängst von Martin im Blog Brotbeutel zitiert wurden. Wie beabsichtigt, traf ihn meine Äußerung an einem wunden Punkt, denn mit dem Bloggen hatte er längst aufgehört. Blogger neigen ja dazu, das Bloggen einzustellen. Jetzt aber postet er wieder Beiträge über vergessene Platten aus Hannoveraner Flohmarktkisten. »Die einzige Single einer Lüneburger Rockband und gar nicht mal so übel, klingt etwas nach Thees Uhlmann, dem deutschen Provinz-Springsteen. »Die Band Revolver aus Lüneburg nahm nur diese eine Single auf«, bemerkt Martin lakonisch über »Heut’ Nacht« von Revolver.
Nee, nee, Martin, danke, dass du mich auf diese Platte gestoßen hast, aber »Heut Nacht« ist ein Hit! Ein ganz toller Song! Ich liebe dieses Lied! Wieso ist es kein Hit geworden, was zum Teufel ist da schiefgegangen?
Versetzen wir uns kurz zurück in das Jahr 1986. Meine Lieblingsplatten des Jahres, »Can I Say« von Dag Nasty und »Enjoy« von The Descendents – damals von der gesamten Musikpresse, einschließlich Spex, ignoriert –, waren im Hardcore-Bereich Verkaufsschlager. Das war echt kein harter Stoff, aber immer noch weit entfernt vom fröhlichen Power-Pop der Lüneburger. Kein Wunder, dass ich ihre Musik genauso verschlief wie Spex damals Hardcore. Martin hat Recht, Revolver klingen ein wenig nach Thees Uhlman – der seltsam gedämpfte Gesang, ehrlich, bescheiden, irgendwie Norddeutsch:

Ich sitz’ auf’m Kühler vom alten Ford und warte auf absolut nichts./Chuck Berry im Radio, »Ey, hast du mal Feuer«, haucht Prinzessin ins Neonlicht./Die Woche mal wieder ’rumgekriegt, aber frag’ mich bloß nicht wie./Wer gibt mir ’n Kuss, wer nimmt mich mit? Für Liebe fall’ ich auf die Knie./Die andern halten sich an Biergläsern fest und dein Blick gibt mir den Rest./Warum tanzen wir nicht, warum singen wir nicht, und bereiten der Liebe ein Fest?/Ich hab’ dich gesucht und ich hab’ dich gefunden, morgen ist es vielleicht vorbei./Heut’ Nacht halten wir uns, heut’ Nacht lieben wir uns, lassen die wilden Pferde frei./Wir lassen sie frei … /

Tja, die wilden Pferde wurden leider nie so richtig freigelassen. Mainstream hieß 1986 Herbert Grönemeyer, BAP und Falco. Revolver hingegen befanden sich irgendwo zwischen der frühen Neuen Deutschen Welle und einer deutschen Popmusik, die sich so erst in den Neunzigern etablierte. Vom Mainstream waren sie weiter entfernt als die Hardcore-Bands, die ich damals hörte. Das Youtube-Video von »Heut Nacht«, eingestellt vor zwei Jahren von Bassist Stefan Minks, wurde bisher 69 Mal angesehen. Zum Glück hat Brotbeutel ihre Privatpressung jetzt wieder zugänglich gemacht. Vergesst Spotify, dafür sind Blogs gut. Leute, hört euch diese Platte an!

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.