Berlin Beatet Bestes. Folge 220.

Bitte nicht so kurz!

Berlin Beatet Bestes. Folge 220. Haircut 100: Favourite Shirts (Boy Meets Girl, 1983).

Fast 20 Jahre lang habe ich mir die Haare selbst geschnitten und gelegentlich sogar meinen Freunden. Haareschneiden habe ich mir selbst beigebracht, das ist reine Übungs­sache. Seit einem Jahr gehe ich jetzt wieder sehr gern zum Friseur. Genauer gesagt zur Friseurin. Ich gehe immer zur Chefin, die ist ungefähr in meinem Alter. Die jungen, gepiercten Mädchen, die da sonst noch arbeiten, sehen irgendwie nicht sehr vertrauenswürdig aus. Mit der Chefin plaudere ich immer gern so typisch friseurmäßig, und sie versteht auch noch ihr Handwerk, schneidet jedes kleinste Härchen nur mit der Schere. Früher fand ich das doof, jetzt find ich’s wieder schön, wenn es so aussieht, als komme man frisch vom Friseur.
Die Chefin hat jeden Monat eine andere Frisur und Haarfarbe. Diesmal waren ihre Haare blau. Nachdem sie mir die Haare gewaschen hatte, fragte sie wie immer: »So wie immer?« Ich antwortete: »Ehrlich gesagt, war’s ein bisschen zu kurz letztes Mal. Also, vorn lieber nichts wegschneiden.« Sie: »Ein bisschen zu kurz?« Ich: »Ein bisschen zu kurz.« Verunsichert begann sie an mir herumzuschnippeln. Irgendwie tat sie mir leid, obwohl ich beim letzten Mal wirklich nicht zufrieden war. Jetzt schwiegen wir uns an, bis ich nach zwei Minuten noch einen Erklärungsversuch machte: »Nicht dass wir uns missverstehen: Ich habe mich sonst immer sehr gut aufgehoben gefühlt.« Aber irgendwie schien sich bei ihr keine Stimmungsveränderung anzudeuten, sie wirkte gekränkt. Ich war noch ganz mit der Angelegenheit beschäftigt, da tauchte plötzlich ein Mann auf, der die Chefin in ein Gespräch verwickelte. Irgendwas Geschäftsmäßiges. Der Mann sah absurd aus. So einen Klischee­hipster hatte ich in Kreuzberg noch nie gesehen. Er hatte jedes Hipster-Accessoire, das ich kenne: natürlich einen Vollbart, eine fette Hornbrille, bunte Baseballmütze, durch die ein Dutt hochgesteckt war, Skinny Jeans, einen überdimensionierten Schal und einen Jutebeutel. Nicht nur mich lenkte der Typ ab, scheinbar auch die Chefin. In einer ähnlichen Situation hatte sie mir zuletzt die Haare zu kurz geschnitten. Ohne nachzudenken, sprudelte es aus mir heraus: »Oh, bitte nicht zu kurz über den Ohren!« Plötzlich war die Chefin wieder ganz bei mir: »Soll ich denn gar nichts schneiden?« »Doch, bloß … äh … äch … « Ich gab auf. Fünf Minuten später war sie fertig, ich bezahlte und war draußen. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe, und ich weiß auch nicht, ob ich nochmal zur Chefin gehe. Sie ist irgendwie nicht kritikfähig. Vielleicht geh’ ich mal woanders hin. Oder schneide wieder selbst. Oder ich lass’ mir einen Dutt wachsen.
1982 war meine Friseurwelt noch in Ordnung. Ich war 16, meine Freundin war Friseurin, oder zumindest in der Ausbildung, und meine Haare schnitt ein alter Opa.
Die Band Haircut 100 mit dem hübschen Nick Heyward machte ein paar tolle Popsingles und verschwand wieder von der Bildfläche. Ach, da krieg’ ich gleich wieder gute Laune.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.