Rassistische Pogrome in der Dominikanischen Republik

Pogromstimmung unter Palmen

Rassismus gegen haitianische Gastarbeiter und Migranten in der Dominikanischen Republik gibt es wegen der konfliktvollen Geschichte beider Länder schon lange. Doch vorige Woche hat sich die Situation zugespitzt.

Einen blutenden Mann in zerrissener Kleidung, gefesselt an eine Palme und umringt von Menschen und einem Uniformierten mit Gewehr, das zeigt ein Foto, das seit voriger Woche im Netz zirkuliert. »Gedemütigt, bespuckt, zu Tode geschlagen« von einem Mob wurde der Mann, so der »Bürgerjournalist«, der es auf CNN Ireport hochgeladen hat, offenbar ein haitianisch-stämmiger Polizist aus New York. Das Bild sei »nicht überprüft«, betont CNN. Doch selbst wenn das Foto nicht echt sein sollte, zeigt es, wie sich viele haitianische Migranten derzeit fühlen.
»Wir mussten uns verstecken«, sagte der 34jährige haitianische Bauarbeiter Jonave Celeny zu Associated Press. Schätzungen zufolge leben zwischen 500 000 und einer Million Menschen aus Haiti in der angrenzenden Dominikanischen Republik. Immer wieder werden haitianische Migranten ihres Lohnes beraubt und von der Polizei diskriminiert. Es kommt auch zu gewalttätigen Übergriffen. Vorige Woche eskalierte die Situation, nachdem in Neyba ein 70jähriges Ehepaar von zwei mutmaßlich haitianischen Einbrechern umgebracht worden war. Einer der mutmaßlichen Einbrecher wurde anschließend von einem wütenden Mob gestellt und getötet, wie die dominikanische Regierung in einer Erklärung feststellte. »Einige Dominikaner« hätten »damit ­gedroht, Haitianer umzubringen«, gibt die Regierung zu.

Seitdem herrscht Angst unter haitianischen Migrantinnen und Migranten. Um nicht gelyncht zu werden, würden sich viele verstecken, erzählt der Bauarbeiter Celeny. Er und Dutzende andere Arbeiter haben sich in den vergangenen Tagen schutzsuchend an eine lokale Polizeistation gewandt und Haus und Besitz zurückgelassen. Sie wurden in Bussen zur haitianischen Grenze gefahren. Andere gingen nicht freiwillig. Nach Angaben von Migrantenorganisationen habe die Polizei auch Haitianer »auf der Straße zusammengetrieben« und dann gegen ihren Willen nach Haiti deportiert. Insgesamt 464 Menschen, darunter 133 Kinder, seien in Reaktion auf die Gewalt über die Grenze nach Haiti gebracht worden, meldete ein Sprecher des haitianischen Premierministers am Donnerstag vergangener Woche.
Die über die Grenze Gebrachten hätten sich schutzsuchend an die Behörden gewandt und seien freiwillig gegangen, behauptete die dominikanische Regierung. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass die Behörden eine »massive Deportation von Haitianern betreiben«. Doch bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder Massenabschiebungen. In einer ersten Reaktion auf die Ereignisse suspendierte die Gemeinschaft karibischer Staaten (Caricom) die Bewerbung der Dominikanischen Republik um Aufnahme ins Staatenbündnis. Die Regierung müsse »sofortige und glaubhafte Maßnahmen« treffen, um eine humanitäre Krise abzuwenden, so das Staatenbündnis.
Die jüngste Gewalt ist auch das Ergebnis der politischen Entwicklung der vergangenen Monate. Die Caricom verurteilte auch eine Entscheidung des dominikanischen Verfassungsgerichts vom 23. September. Mit dem Urteil bestätigte es eine Verfassungsänderung, derzufolge Kinder illegaler Einwanderer keinen Anspruch auf die dominikanische Staatsbürgerschaft haben. Das Gesetz soll rückwirkend bis ins Jahr 1929 angewandt werden. Womöglich seien 24 000 Menschen betroffen, so die Regierung, Migrantenorganisationen gehen hingegen von bis zu 250 000 aus. Sie befürchten, das Urteil werde die Situation vieler haitianischer Migrantinnen und Migranten weiter verschlechtern. Die Gewalt von unten geht einher mit der Diskriminierung von oben.

Das arme und dicht bevölkerte Haiti hat wie die Dominikanische Republik rund zehn Millionen Einwohner, nimmt aber nur ein Drittel der Landmasse der Insel Hispaniola ein, auf der beide Staaten liegen. Es ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre und leidet noch immer an den Folgen des Erdbebens von 2010. Das Bruttoinlandsprodukt der Dominikanischen Republik ist achtmal so groß wie das Haitis, auch dank der billigen haitianischen Arbeitskräfte. Sie stehen dort in der sozialen Hierarchie ganz unten und verdienen im Durchschnitt 60 Prozent weniger als die übrige Bevölkerung. Unter »sklavenähnlichen Bedingungen« würden viele haitianische Migranten vor allem auf Zuckerplantagen arbeiten und in abgeschotteten Barackensiedlungen leben, immer bedroht von Kontrollen der Migrationsbehörden, berichtet die Menschenrechtsorganisation Minority Rights Group International.
Das Verfassungsgerichtsurteil und die jüngste Gewalt sind nur erneute Höhepunkte der historisch gewachsenen Aversion zwischen den beiden Staaten. Das revolutionäre Haiti, die erste unabhängige Nation Lateinamerikas und erste schwarze Demokratie der Welt, hat in seiner Geschichte mehrmals das größere Nachbarland überfallen und es 20 Jahre lang besetzt. Doch der antihaitianismo in der Dominikanischen Republik, wie ihn Forscher der Caribbean Studies nennen, beruht auch auf tiefsitzenden rassistischen Vorstellungen über die Überlegenheit der »spanischen Rasse« in der dominikanischen Gesellschaft, der Selbstwahrnehmung als europäisch und der Stigmatisierung der afrikanischstämmigen Haitianerinnen und Haitianer.
Im Streit um das Gerichtsurteil sollte am vorvergangenen Samstag in Venezuela zwischen den beiden Regierungen verhandelt werden, doch die Dominikanische Regierung sagte die Gespräche ab, weil Haiti sich an die Caricom gewandt habe und damit die Vereinbarung, vor allem den bilateralen Dialog zu suchen, verletzt habe. Das Gespräch sei »an dieser Stelle vorbei«, sagte Gustavo Montalvo, ein Sprecher des Präsidenten.