Tierschutzpolitik im Koalitionsvertrag

Wolle mer se freilasse?

Verschiedene Parteien wollen die private Wildtierhaltung erheblich einschränken, selbst im neuen Koalitionsvertrag tauchen solche Ankündigungen auf. Dies ist dem Einfluss von Tierrechtlern zu verdanken.

Wie gut, dass es in der Frühphase der Entwicklung des Menschen noch keine Tierrechtler gab. Der Mensch würde sich immer noch von irgendwelchen Runkelrüben ernähren und mit spätestens 30 Jahren tot umfallen, hätte er nicht frühzeitig damit begonnen, Wildtiere zu erlegen oder zu domestizieren. Nun aber soll deren Haltung nach dem Willen vieler Tierschutzverbände verboten werden. Tierrechtler fordern das ohnehin. Selbst der Deutsche Tierschutzbund, mit 800 000 Mitgliedern der größte Verband dieser Art in Deutschland, setzt sich inzwischen für ein weitgehendes Haltungsverbot für Exoten ein – aus Tierschutzgründen.

Nun ist vom Neonfisch über das Meerschweinchen bis zum Zebrafinken eigentlich jedes Haustier ein Exot. Die populärsten Arten aber sollten nicht gemeint sein, versichern Tierschützer, es gehe um richtige Exoten, also nicht domestizierte Arten. Das wären dann allerdings immer noch fast alle Aquarienfische, Reptilien, Amphibien, Vögel und Kleinsäuger und selbstverständlich Wirbellose, also Insekten, Spinnen und Ähnliches.
Der Tierschutzbund fordert allen Ernstes und ausdrücklich Tierschutz für Wirbellose. Man stelle sich vor: Während einer Abendveranstaltung der Organisation in einer gemütlichen Mehrzweckhalle, die von, sagen wir, zehn Außenleuchten hell bestrahlt wird, verglühen und verdampfen allein im Verlauf der Rede des Präsidenten in diesen Lampen Hunderte der schutzwürdigen Tierchen. Danach wird er sich in sein Auto setzen und auf der Rückfahrt zu seinem Eigenheim weitere Wirbellose in großer Zahl an seiner Windschutzscheibe, im Kühlergrill und an den Scheinwerfern zerquetschen, zerschmettern und zermalmen. Anschließend wird er sich gemütlich in sein Bett in seinem Eigenheim legen, für dessen Errichtung Wirbellose in Massen draufgegangen sind. Am nächsten Morgen macht er sauber und lässt von der Staubmilbe bis zur Hausspinne alles im wenig artgerechten Staubsaugerbeutel verschwinden. Doch ein paar Stabheuschrecken oder Vogelspinnen soll niemand zu Hause umsorgen, beobachten und nachzüchten dürfen. Denn das wäre ja Tierquälerei.
Nun soll man auch Leuten mit verrückten Ideen immer das Gefühl geben, sie ernst zu nehmen. Aber muss man deswegen so weit gehen wie SPD, Grüne und Linke und sich den Unsinn gleich ins Wahlprogramm schreiben? Jedenfalls fordern alle drei Parteien fast übereinstimmend die gravierende Beschränkung der privaten Wildtierhaltung. Ein grundsätzliches Haltungsverbot wäre angesichts von Millionen Haushalten mit Terrarien und Aquarien, mit Vögeln und Kleinsäugern dann doch etwas zu wirklichkeitsfremd. Aber von Importverboten für der Natur entnommene Tiere über Positivlisten bis hin zum Verbot von Tierbörsen und zu Auflagen, wer überhaupt Exoten halten darf, ist ein Forderungskatalog entstanden, der die Tierhaltung aus Liebhaberei abseits klassischer Haustiere auf Dauer unmöglich machen würde. Das ist besonders deshalb schon absurd, da tatsächliche Tierschutzprobleme in der Haltung vor allem bei klassischen Haustieren wie Hunden und Katzen auftreten, während Fische, Nattern und erst recht Vogelspinnen häufig ohne Schwierigkeiten tiergerecht gepflegt werden können.

Wie aber kommen SPD, Grüne und Linke dazu, sich so vehement für eine derartige Einschränkung des Hobbys sehr vieler Menschen einzusetzen? Von wissenschaftlicher Seite sind jedenfalls Forderungen nach einer Verschärfung der Gesetze kaum zu vernehmen. Biologen, die sich mit den entsprechenden Tiergruppen auskennen, haben im Regelfall auch nichts gegen deren Haltung einzuwenden. Im Gegenteil: Gerade bei Amphibien, Reptilien, Wirbellosen und Fischen stehen sich Hobby und Wissenschaft sehr nahe. Wesentliche Kenntnisse stammen aus der privaten Haltung, zahlreiche Artenschutzprojekte wären ohne diese gar nicht denkbar. Der wissenschaft­liche Wert der Katzenhaltung ist hingegen eher begrenzt.
Es gibt zwei Hauptgründe, die in den Parteien für die Stimmung gegen die Haltung von Exoten ausschlaggebend sind. Es herrscht zum einen weitgehende Unkenntnis. Offenbar hat man es in allen drei Parteien nicht für nötig befunden, Fachleute aus Wissenschaft und Zoos zum Thema zu befragen. Zum anderen haben sich die Parteien ausschließlich auf das Urteil von Tierschützern gestützt. Diese aber sind ideologisch von Thesen der Tierrechtler beeinflusst, von denen die wichtigste schlicht lautet: Wildtiere gehören in die Freiheit. Dass es biologisch keinen Unterschied zwischen den Ansprüchen von Wild- und Haustieren gibt, interessiert da nicht. Es regieren blanke Gefühligkeit und Vermenschlichung, die Idee der Freiheit wird nach menschlichen Maßstäben einfach auf Tiere übertragen.
Da Tierschutzpolitik nicht gerade der Bereich ist, in dem ehrgeizige Politiker eine Karriere anstreben, ist es für entsprechend engagierte Personen leicht, in den Arbeitsgruppen bis ganz nach oben zu kommen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Tierschutzpolitik der Grünen etwa, unter anderem verantwortlich für die Forderungen zur Haltung exotischer Tiere, wird seit Herbst 2012 von Laura Zimprich geleitet, die zugleich Vorsitzende der Tierrechtsgruppe Animal Public ist. Auf europäischer Ebene ist diese mit Gleichgesinnten im Dachverband Endcap, kurz für »End Captivity«, organisiert. Dessen Ziel ist, der Name sagt es, das Ende jeder Wildtierhaltung in menschlicher Obhut, in Zoos wie durch Privatpersonen. Eine Tierschutzfundamentalistin, Zoogegnerin und Vorsitzende einer sehr randständigen Interessensgruppe gehört also zu den Hauptverantwortlichen für die Tierschutzpolitik der Grünen.
Es gibt zahlreiche weitere solcher Verbindungen. Ganze Passagen in einem Antrag der SPD-Fraktion scheinen originalgetreu aus einer Broschüre der Tierrechtsorganisation Pro Wild­life entnommen. Diese erinnert dem Namen nach an den weithin als seriös geltenden World Wildlife Fund. Es handelt sich aber lediglich um eine Handvoll Personen, denen die Stiftung Warentest gerade attestiert hat: »Transparenz unzureichend«, »Organisation und Kontrolle niedrig«. In der Vergangenheit fiel die Gruppe dadurch auf, dass sie Statistiken zu Problemen der Exotenhaltung nachweislich gefälscht und in Stellungnahmen haarsträubende fachliche Fehler zu Papier gebracht hat. Für die SPD ist das offenkundig kein Hindernis.

So tauchen nun selbst im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU Forderungen der Tierrechtler auf, etwa die nach einer allgemeinen Regulierung der Haltung und einem Importverbot für Wildfang. Solche Forderungen haben auch für die Parteien Vorteile: Diese können sich vermeintliche Verbesserungen des Tierschutzes zugute halten, ohne tatsächlich problematische, aber von starken Interessengruppen verteidigte Praktiken wie die Massentierhaltung antasten zu müssen. Das gesunde Volksempfinden wird es ihnen danken. Denn wer will schon Schlangen und Spinnen in seiner Nähe haben oder diese seltsamen Typen, die sich damit beschäftigen?

Heiko Werning ist Chefredakteur der Fachzeitschrift »Reptilia«, Kommissionsmitglied des Artenschutzfonds für Reptilien und Amphibien von der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP) und der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) sowie Mitbegründer eines Artenschutzprojekts für chilenische Nasenfrösche.