Arbeitskämpfe im Einzelhandel vor Weihnachten

Zeit für den Weihnachtsstreik

Verdi setzt beim Arbeitskampf im Einzelhandel auf Streiks an den Adventswochenenden.

Wenn in den kommenden Wochen vor Berliner Einkaufszentren Flyer verteilt werden, muss das keine Werbung für das Weihnachtsgeschäft sein. Es könnte sich auch um ein Flugblatt handeln, das zur Solidarität mit den Streikenden im Einzelhandel aufruft: »Bitte kaufen Sie heute nicht in den bestreikten Betrieben ein.«
Der bisher längste Arbeitskampf im Einzelhandel hat die Weihnachtszeit erreicht. Provoziert wurde er durch die Kündigung sämtlicher Entgelt- und Manteltarifverträge durch die Arbeitgeberseite zum 1. Mai dieses Jahres. Es geht um die Senkung von Löhnen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Handelsbranche, in der es für die Beschäftigten ohnehin besonders schwer ist, sich zu organisieren. Die Arbeit im Einzelhandel ist geprägt von Teilzeitstellen, niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten und einer Sechstagewoche.

»Mit diesem Vorhaben legt die Unternehmerseite die Axt an die Existenzsicherung und wesentlichen Schutzregelungen für die Beschäftigten im Einzelhandel«, sagte Stefanie Nutzenberger vom Bundesvorstand von Verdi im Januar, nachdem die Unternehmer ihr Vorhaben angekündigt hatten. Der langjährige Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Anton Kobel, betont in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Express, bei diesem Arbeitskampf gehe es vor allem um die Abwehr von Verschlechterungen. Die Unternehmer wollen die Kassierer und Kassiererinnen einer schlechteren Tarifgruppe zuordnen. »Dies wären 250 bis 300 Euro monatlich weniger Gehalt für Vollzeitkräfte beziehungsweise eine fünfzehnprozentige Kürzung«, beschreibt Kobel die Folgen für die Beschäftigten.
Zudem wollen die Arbeitgeber die tariflich vereinbarte Kassierzulage von etwa 25 Euro monatlich abschaffen und eine neue Niedriglohngruppe für das Einräumen von Regalen schaffen. Die Beschäftigten des Einzelhandels sind trotz der langen Dauer dieses Arbeitskampfs auch deshalb weiterhin motiviert, weil eine Durchsetzung solcher Verschlechterungen für viele bedeuten würde, dass sie mit Hartz IV aufstocken müssten.

Dass sich die Tarifauseinandersetzung bis in die Adventszeit zieht, ist der harten Haltung der Unternehmer geschuldet, die bisher sämtliche Kompromissvorschläge der Gewerkschaft ablehnte. An der Basis wird jedoch auch moniert, dass Verdi noch immer keine bundesweite Arbeitskampfstrategie entwickelt habe und die Öffentlichkeitskampagne vor allem Betroffene, aber kaum andere gesellschaftliche Gruppen erreiche. In verschiedenen Städten haben sich allerdings bereits Gruppen gegründet, die an Streiktagen die Beschäftigten unterstützen. So haben sich im Umfeld der Studierendengruppe »Die Linke.SDS« Initiativen gebildet, die gemeinsam mit Verdi Kundgebungen und Flashmobs organisieren. Mitte November besuchten in Berlin im Rahmen ­einer »Blitzaktion« Gewerkschafter, Beschäftigte und Unterstützer mehrere Filialen des Bekleidungskonzerns H & M und sprachen mit den Beschäftigten über ihre Arbeitssituation und ihre Erwartungen an den Tarifkampf.

In den kommenden Wochen will auch die Arbeitsgruppe Streik des Berliner »Blockupy«-Bündnisses mit eigenen Aktionen den Arbeitskampf unterstützen. Genutzt werden sollen die Adventswochenenden, an denen für die Beschäftigten des Einzelhandels der Stress und die Arbeitsbelastung besonders spürbar werden. Die Unterstützer wollen dabei vor allem ihre Solidarität mit den Beschäftigten unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft ausdrücken. Damit knüpfen sie an den letzten Arbeitskampf im Handel aus dem Jahr 2008 an. Damals solidarisierten sich erstmals »Kritische Kundinnen und Kunden« mit den Forderungen der Beschäftigten. Höhepunkt war die Aktion »Dichtmachen«, mit der eine Reichelt-Filiale über mehrere Stunden blockiert wurde. Selbst in einer abgeschwächten Variante würde eine solche Aktion eine erhebliche Beeinträchtigung des Weihnachtsgeschäfts bedeuten und den Druck auf die Unternehmer erhöhen. Zustimmung von vielen Beschäftigten, denen die bisherige Taktik von Verdi zu verhalten erscheint, wäre sicher vorhanden.