Die Volkspädagogik von »Fack ju Göhte«

Der neue deutsche Volkskörper

»Fack ju Göthe«, der erfolgreichste deutsche Kinofilm des Jahres, ist ein Aufruf zur Generalmobilmachung in Zeiten deutscher Krisenbewältigung.

Ganze 3,2 Millionen Zuschauer in nur 17 Tagen. Das deutsche Feuilleton ist angesichts der Massen, die der deutschen Produktion »Fack ju Göthe!« an den Kinokassen einen unerwarteten Erfolg bescheren, voll des Lobes. Von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bis zu den Lokalzeitungen, allerorten erfreut man sich an der heiteren Pennälerkomödie. Das Genre hat in Deutschland Tradition. 1944 wurde »Die Feuerzangenbowle« mit dem Zitat eingeleitet: »Dieser Film ist ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, dass die Schule es nicht merkt.« Pennälerfilme dürften in Deutschland auch deswegen so beliebt sein, weil sie das Selbstbild der orientierungslosen und zur Mündigkeit irgendwie unreifen Adoleszenten, die es am Ende immer nicht besser wussten und so nicht gemeint hatten, bestätigen. Charismatische Leh­rerfiguren lassen die Disziplinierung harmlos erscheinen und am Ende steht das Lob des autoritären Staates selbst. »Fack ju Göthe!« beschwört zudem das Bild des neuen ethno­heterogenen deutschen Volkskörpers.
Protagonist ist Zeki Müller (Elyas M’Barek), der einen soeben aus dem Gefängnis entlassenen Zuhälter mit wahrscheinlich türkischem Migrationshintergrund darstellen soll. Dessen Komplizin hatte 13 Monate zuvor die Beute aus einem Bankraub auf einer Baustelle vergraben. Doch dort steht nun die Turnhalle der Goethe-Gesamtschule. Um an die Beute zu kommen, wird Zeki Müller unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Aushilfslehrer. Und als solcher muss er sich um die »Assi-Klasse« kümmern. Das sind die Abgehängten, die nach Aussage der Schulleitung keine Aussicht auf einen Abschluss haben. Chantal und Danger sind ihre Wortführer. Die Klasse war bisher nicht »in den Griff« zu kriegen. Zeki schafft es aber mittels des höchst avancierten pädagogischen Konzepts der körperlichen Züchtigung und anderer unkonventioneller Methoden, den Kids zu zeigen, dass sie noch nicht vollkommen abgehängt sind, sondern es, wenn sie sich nur anstrengen, schaffen können. Da freut sich auch Volker Weidermann in der FAS vom 1. Dezember, wo es heißt: »Zeki Müllers Mittel sind ganz leicht: den nächsten Klassenausflug nicht ins KZ.« Wo geht er denn dann hin, der Ausflug? Er führt zu einem »Junkie« (kotzt leise röchelnd vor sich hin), zu »Hartzern« (Fernsehen, Feinrippshirt, Zigarettenqualm und Hundekot auf dem Teppich) und zu einem Nazi (säuft viel und schläft deswegen nachmittags noch), also den Elementen, die nicht Teil des neuen Volkskörpers sein sollen. KZ-Gedenkstätte ist out, die toten Juden von gestern taugen für die Gegenwart nicht, da müssen die neuen Feindbilder der Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit präsentiert werden. Die Kids sind nach dieser äußerst lehrreichen Lektion wieder an ihrem eigenen Fortkommen interessiert, basteln sich Motivationsbildchen mit teuren Autos, kommen pünktlich zum Unterricht und strengen sich auch in der nächsten Klausur an. Zeki Müller beweist, dass er noch die letzten Loser wieder in Wert setzen kann. Chantal nimmt letztlich an »Jugend forscht« teil. Brachliegendes Human­kapital wäre auch wirklich ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Auch in der Theater-AG wird Neues gelehrt. »Romeo und Julia« wird kurzerhand in die Sprache der Jugendlichen übersetzt. Das klingt dann so: »Julia, du Fotze, ich will ficken. Zack, Zack. Zeig’ mal Möpse.« Nicht am ichfremden Stoff soll sich die Subjektivität bilden dürfen. Alle sollen sie bleiben dürfen, wie sie sind, wenn sie sich nur fleißig für eine »Sache« engagieren. Und natürlich müssen am Ende Romeo und Julia doch nicht sterben, weil es heute keine Tragödien mehr gibt, weil einfach alles immer ein gutes Ende nimmt. Kokettiert wird mit einer spielerischen Leichtigkeit, die so erst richtig ernst wird: Erfolgreich werden ist so einfach und macht so viel Spaß, wer da nicht mitmacht, der muss wirklich ein Vaterlandsverräter aus Überzeugung sein.
Die existierende Halbbildung im Umgang mit alten Klassikern wie Schillers »Die Räuber« wird durch unmittelbares Überlebenstraining ersetzt. Die Lebensferne des Geistes wird zum Argument für seine Abschaffung. So wird dann – was Zeki durch Muskelkraft gelingt – auch die »durchsetzungsschwache« Referendarin Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) ins Kollektiv der aufmüpfigen Adoleszenten integriert, indem man zusammen Graffiti sprayt, natürlich inklusive erfolgreicher Flucht vor der Polizei. Mittels solcher Schützengrabenerlebnisse wird die neue Einheit geschmiedet. Schnabelstedt wird am nächsten Tag mit fist bump auf den Gängen der Schule begrüßt.
Zeki Müller hat neben pädagogischen Führerqualitäten aber auch erotische zu bieten. Wobei der Begriff der Erotik, der eben auch Spiel und Verführung meint, ein Moment des Geistigen am Körperlichen, durch den sich der Reiz des Sexuellen zur Erotik schärft, hier eigentlich nicht zutrifft. Nicht nur ist die sexuelle Schlüsselszene der Schwimmunterricht in der Schule, die sportliche Ertüchtigung also, bei dem Zekis eingeölter und durch die Arbeit an den Fitnessgeräten gestählter Oberkörper, verziert mit einer Tätowierung, der prüden Kollegin Schnabel­stedt einen Blick entlockt, der wohl Begierde bedeuten soll. Auch besticht Zeki nicht durch sein Verhalten, das mit »wenig charmant« noch wohlwollend umschrieben wäre, sondern durch Qualitäten, die eher in den Bereich »hart wie Kruppstahl« und »zäh wie Leder« fallen. Dass die beiden am Ende ein Paar werden, versteht sich von selbst. Das ist aber nicht wichtig. Die Mission Zeki Müllers ist, allen Frauen, denen er begegnet, ihre »Unfickbarkeit« (Silvio Berlusconi) auszutreiben. Prüderie wird als Mangel an sozialer Teilhabe dargestellt. Wer nicht jederzeit zur sexuellen Aktivität bereit ist, entzieht sich der Gemeinschaft, dem Dienst am deutschen Krisenbewältigungsprojekt. Zeki Müller würde selbst eine Nonne auf den Straßenstrich bekommen. Die Vergesellschaftung des weiblichen Körpers als natürliche Produktivkraft, die sich nicht individuieren darf, sondern den Stoff des Volkskörpers darstellt, bestimmt den gesamten Film, auch die Liebes­geschichte, die keine ist, sondern nur den Schulterschluss der Schichten und Geschlechter im internationalen Konkurrenzkampf zeigt.
Adorno schrieb vor fast 70 Jahren in den »Minima Moralia«: »In Deutschland lag über den heitersten Filmen der Demokratie schon die Kirchhofsruhe der Diktatur.« Ähnlich verhält es sich mit »Fack Ju Göthe!«. Dieser Film zeigt, was Deutschland im Innersten zusammenhält: Kapitalkonzentration in Kombina­tion mit Niedriglohn und der unbedingte kollektive Wille, in der Konkurrenz zu bestehen. Die allgemeine Beliebtheit, derer sich dieser Film erfreut, sollte vor der trügerischen Ruhe und vor allem ihrem möglichen Ende in Deutschland warnen.