Die Wirtschaftspolitik der venezolanischen Regierung

Die Rente ist sicher

Venezuelas wirtschaftliche Entwicklung stagniert, immer wieder kommt es zu Versorgungsengpässen. Das schafft Unmut und weckt Zweifel an der Kompetenz der Regierung Nicolás Maduros.

Präsident Nicolás Maduro hielt gerade eine Ansprache an die Nation, schilderte mit großen Gesten, seinen einstigen Mentor Hugo Chávez kopierend, wie er die Inflation bekämpfen wolle, da verschwand sein Antlitz von der Mattscheibe – Stromausfall. Nicht zum ersten Mal. Nur diesmal zur besten Sendezeit und mitten im Wahlkampf für die Kommunalwahlen, die am Sonntag stattfanden. Der Stromausfall kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn Maduro steht unter Druck. Er muss zeigen, dass er in der Lage ist, Venezuela zu regieren und die wirtschaftliche Stabilität zu sichern. Doch die ökonomische Entwicklung stagniert und Kritiker attestieren der Regierung Unfähigkeit und mangelnde Kompetenz.
All das ist nichts Neues in Venezuela. Allerorten häufen sich die schlechten Nachrichten. Erst war das Klopapier landesweit knapp, dann Butter, Vollmilch, Zucker, Öl, Rindfleisch und Thunfisch. Jedes fünfte Produkt sei Mangelware, so heißt es. Bereits im Juni empfingen einige Studierende Touristen auf dem internationalen Airport Maiquetía von Caracas mit der Warnung: »Willkommen in Venezuela. Wir haben keinen Strom, kein Klopapier, keine Eier, keinen Präsidenten. Verdammt nochmal!« Das Foto mit dem Transparent kursierte lange in den sozialen Netzwerken. Steigende Preise gehören seit Jahren zum venezolanischen Alltag, sie sind eine Folge der durchs Erdöl garantierten Rentenökonomie, einer Volkswirtschaft, in der durch Ausbeutung von knappen Gütern erhebliche Einnahmen erzielt werden. Die Erlöse aus der Förderung des Öls übertreffen bei weitem die Einnahmen aus den sonstigen inländischen Wirtschaftstätigkeiten und anders als Ende der neunziger Jahre geplant, hat es die »bolivarische Revolution« nicht geschafft, neue Wirtschaftssektoren zu schaffen und alte, wie die Kakaoproduktion, zu reaktivieren.
Das Phänomen ist als »Fluch des Rohstoffreichtums« oder »holländische Krankheit« bekannt. Trotz hoher Exporteinnahmen entwickelt sich die Ökonomie dabei nicht, sondern die Produktivität fällt. In den Niederlanden war dies in den sechziger Jahren nach Erdgasfunden ein Problem, daher der Name. Nigeria ist ein aktuelles Beispiel dafür. Venezuela leidet seit Jahrzehnten unter dem Phänomen. Die Einkünfte aus Rohstoffexporten lassen den realen Wechselkurs der Landeswährung steigen, dadurch verlieren andere Wirtschaftssektoren an Wettbewerbsfähigkeit. Daraus resultiert wiederum die steigende Abhängigkeit vom Rohstoffexport.
Doch ein weiterer Faktor hinzu, wird von der Regierung in Venezuela immer wieder als Ursache des Problems angeführt: die Opposition. Das Gros der Vermögenden gehört ihr an. Sie haben in der Vergangenheit, vor allem beim Putsch von 2002, durch ihre ökonomische Macht Druck auf die Regierung ausgeübt, um einen Politikwechsel durchzusetzen. »Sabotage« heißt es dann gern von Seiten der Regierung, und so war es auch, als der Stromausfall Maduro das Wort abschnitt. Da war er, einst Mitarbeiter der Metro von Caracas, gerade dabei, sein Konzept zur Inflationsbekämpfung vorzustellen.
Dazu gehören seit Ende November geltende Dekrete, die die Gewinne der Unternehmen begrenzen und die Importe kontrollieren sollen. So will Maduro die Profite auf ein »vernünftiges Maß« begrenzen und verhindern, dass Händler beim Weiterverkauf im Inland große Preisaufschläge verlangen. Die Vollmacht dafür hatte er im Oktober beantragt, um die als »Wirtschaftskrieg« bezeichnete ökonomische Krise mit allen Mitteln bekämpfen zu können. Sie wurde ihm am 19. November von der Abgeordnetenmehrheit gewährt. Ein Jahr lang darf Maduro nun per Dekret regieren, ohne dass das Parlament beteiligt werden muss. Für die Krise macht Chávez’ Nachfolger die bürgerliche Opposition und ihre »imperialistischen« Helfer im Ausland verantwortlich. Sie wollen Maduro zufolge das Land in die Knie zu zwingen. Ein wesentliches Element sei dabei die hohe Inflation. In den vergangenen Jahren bewegte sich dieser zwischen 20 und 30 Prozent, aber in den vergangenen zwölf Monaten betrug sie rund 50 Prozent. Verantwortlich für den Preisanstieg macht Maduro Unternehmen wie Polar. Dieses stellt neben dem bekannten Bier auch Maisbrei für die Produktion der arepas her, der typischen venezolanischen Maisfladen. Allerdings geschieht dies zu staatlich fixierten Preisen, die den Unternehmen wenig Spielraum lassen.

Ein Instrument für die Kontrolle der Preise ist die Behörde Cadivi, die die Devisen verteilt. Diese gelangen nahezu ausschließlich über den Erdölexport und den Tourismus nach Venezuela und werden nur per Antrag abgegeben, um den Abfluss von Devisen auf Konten im Ausland zu unterbinden. Darin ist die Regierung nur leidlich erfolgreich, die Devisenpolitik hat jedoch dafür gesorgt, dass Venezuelas Unternehmen wenig flexibel sind und oft Monate warten müssen, um Importe zu tätigen. Offiziell liegt der Wechselkurs seit dem Frühjahr bei 6,3 Bolívares fuertes pro US-Dollar. Auf dem Schwarzmarkt, wo Schätzungen zufolge 15 bis 20 Prozent des Devisenbedarfs umgeschlagen werden, sind deutlich höhere Wechselkurse die Regel. Bis zu 60 Bolívares Fuertes werden pro US-Dollar geboten und die Abstände, in denen die Regierung die Währung abwerten muss, werden kürzer.
Das sei ein Indiz für den wachsenden Druck, der auf der einseitigen Wirtschaft lastet, argumentiert das konservative Marktforschungsinstitut Data Análisis. Es hält den Devisenmangel und die Preiskontrollen für zwei Ursachen der Versorgungsengpässe. Die dritte seien die Verstaatlichungen. Von den nationalisierten Unternehmen haben viele an Produktivität eingebüßt, wie die Beispiele aus der Zementindustrie zeigen. Die rigiden staatlichen Vorgaben sorgen dafür, dass Know-how und Investitionen kaum mehr den Weg nach Venezuela finden. Zudem liegen die Preise der Importe teilweise über der von der Regierung verfügten Preisobergrenze. Dadurch wird die ökonomische Entwicklung gebremst, was die Bevölkerung durch steigende Preise schnell zu spüren bekommt.

Trotzdem hat es die Regierung mit ihren Sozialprogrammen geschafft, 2012 die Armutsquote um weitere 20 Prozent zu senken, wie auch die Weltbank berichtet. Und auch die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) lobte die venezolanische Regierung dafür, dass die Zahl der Unterernährten in den vergangenen Jahren mehr als um die Hälfte gesunken ist. Doch müsse das Land mehr gegen die Engpässe bei Nahrungsmitteln tun. Mehr selbst produzieren, lautet die Empfehlung der FAO. Genau das fällt der Regierung jedoch sehr schwer, was nicht nur auf Defizite im Management zurückzuführen ist, sondern auch auf die schwierige Ausgangslage wegen der »holländischen Krankheit«. Diese, die mangelhafte Infrastruktur sowie die schlecht ausgestattete Verwaltung hindern Venezuela daran, aus der Krise herauszukommen. Also wird Maduro nach den Kommunalwahlen vom 8. Dezember wieder einmal die Währung abwerten und hoffen, dass sich dadurch der Druck auf sie reduziert. Aus den Kommunalwahlen ging seine Sozialistische Einheitspartei PSUV sogar erneut als Siegerin mit landesweit 44,2 Prozent der Stimmen hervor, doch immerhin 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger empfinden Unmut aufgrund der wirtschaftspolitischen Unsicherheit.