Die Biographie von Theodor Michael

Ein Leben in Deuschland

Theodor Michael wird 1925 als Sohn eines Kolonialmigranten und einer preußischen Mutter in Berlin geboren. Als einer der wenigen Schwarzen überlebt er im nationalsozialistischen Deutschland. Jetzt hat der afrodeutsche Schauspieler seine Biographie geschrieben.

Nach dem Krieg füllte ein sowjetischer Unteroffizier ein Formular aus, Name, Geburtsort – und da war sie wieder, die Frage nach der Nationalität. Theodor Michael überlegte: »Was war ich eigentlich?« Die Nazis hatten ihm die deutsche Staatsangehörigkeit gegen seinen Willen aberkannt. Der Unteroffizier sah ihn fragend an. »Also gab ich ›afrikanitzki‹ an«, schreibt Michael in seiner Autobiographie »Deutsch sein und schwarz dazu«, in der er sein Leben als schwarzer Junge in der Weimarer Republik, das Überleben im Nationalsozialismus und seinen Aufstieg zum Bühnenschauspieler, Redakteur des Afrika-Bulletin und zum Regierungsdirektor beim Bundesnachrichtendienst in der Bundesrepublik schildert. Die Frage der Zugehörigkeit sollte sich ihm aber immer wieder stellen.
Von dem Soldaten der Roten Armee bekam er noch ein paar Zigaretten, dann machte er sich auf den Weg zu einem Durchgangslager bei Eisenach. Dort erhielt er ein neues Dokument, auf dem nun »amerikanitzki« vermerkt war. »Ich machte mir Hoffnungen, dass ich damit aus diesem zerstörten, finsteren Land wegkam, meiner Heimat, die mich ausgespuckt hatte wie einen alten Kaugummi.«
Doch es kam anders. Im US-amerikanischen Lager Kassel-Oberzwehren wurde er verhört – im Beisein eines Dolmetschers, denn Michael sprach keine drei Worte Englisch. Aber auch dort war er nicht willkommen. Wegen seines deutschen Fremdenpasses und des Geburtsortes Berlin musste er das Lager der Amerikaner auf der Stelle wieder verlassen – nicht, ohne vorher noch eine Ohrfeige kassiert zu haben.
Theodor Michael, der sich seit Ende der achtziger Jahre in der Initiative »Schwarze Menschen in Deutschland« engagiert, versuchte in der jungen Bundesrepublik, mit den Erinnerungen an das, was er erlebt hatte, fertigzuwerden. Seine Kindheit und Jugend waren von Schlägen, Erniedrigung, Verlusten, Armut und Ausgrenzung geprägt. Seine Mutter Martha Wegner stammte aus einem Dorf in der Nähe des heutigen Poznań in Polen. In Berlin lernte die aus einer Handwerkerfamilie stammende junge Frau ihren späteren Mann Theophilus Wonja Michael kennen. Er war 1903 aus der damaligen deutschen Kolonie Kamerun ins Deutsche Reich gekommen und arbeitete in Berlin beim Bau der U-Bahn und als Komparse in Stummfilmen. Die beiden heirateten, die Kinder Christiane, James und Juliana kamen zur Welt. Ihr viertes Kind, Theodor, wurde 1925 geboren. Ein Jahr später starb die Mutter, und der Vater heiratete erneut. Doch es gab Streit, die Ehe währte kaum ein Jahr, dann trennte sich das Paar.
Zu dieser Zeit lebten nicht wenige Menschen aus afrikanischen Ländern, viele aus den ehemaligen deutschen Kolonien, die nach dem Ersten Weltkrieg an Großbritannien und Frankreich übergegangen waren, in Berlin. Sofern sie nicht deutsche Staatsangehörige waren, galten sie als »ehemalige Schutzangehörige«, besaßen deutsche Reisepässe und konnten sich im Deutschen Reich frei bewegen. Viele schwarze Migranten kehrten gerne bei den Michaels ein, die Kinder redeten sie mit »Onkel« und »Tante« an. »Für uns waren alle Afrikaner, und alle, die – modern gesagt – ›schwarz‹ waren, ›Landsleute‹, ganz gleich, wo sie herkamen oder welche Nationalität sie hatten«, schreibt Michael.
Mangels anderer Jobs musste sich Theophilus Wonja Michael mit seinen Kindern beim Zirkus verdingen. »Jeder Vier-Masten-Zirkus, der etwas auf sich hielt, schaffte sich damals eine Völkerschau an«, so Michael. Sie inszenierten das rassisistische Klischee vom Afrikaner als halbnackte und ungebildete »Wilde«. Obgleich Theodor Michael das unstete Leben mit seinem Vater und seinen Geschwistern mochte, begann er diese Völkerschauen zu hassen: »Wo ich ging und stand, wurde ich begafft, wildfremde Leute fuhren mir mit den Fingern durch die Haare, rochen an mir, ob ich echt sei, sprachen in gebrochenem Deutsch und in Zeichensprache mit mir.«
Das Jugendamt beendete 1929 das Zirkusleben, steckte die vier Kinder zunächst ins Waisenhaus und brachte sie bei verschiedenen Pflegeeltern unter. Michael wohnte im Prenzlauer Berg bei der Näherin Clara Krone und ihrem Lebensgefährten. Bis zu seinem Tod 1934 im Alter von 55 Jahren besuchte der Vater ihn regelmäßig.
In der Schule schwärmten seine Mitschüler für das Jungvolk und drängten Michael, mitzukommen. Doch der Fähnleinführer jagte ihn nach Hause. Von da an sahen ihn die Mitschüler mit anderen Augen an. Er wurde ausgeschlossen, was ihn tief verletzte. Er begann zu stottern. Trotz guter Leistungen musste er auf Anweisung des Direktors mit 14 Jahren und ohne Volksschulabschluss die Schule verlassen – wegen der »neuen Zeit«. Mit Beginn des Krieges arbeitet er als Page im Hotel Excelsior, verlor die Arbeit aber schnell, weil er wegen seiner »Artfremdheit« nicht in die Deutsche Arbeitsfront aufgenommen worden war. Schutz vor Verfolgung fand er vorübergehend bei der UFA, die Kolonialfilme mit schwarzen Deutschen, afrikanischen Migranten und Kriegsgefangenen drehte. 1943 wurde er zur Zwangsarbeit in einem Rüstungsbetrieb in Adlershorst verpflichtet. Er hatte ständig Angst, arbeitete zwölf Stunden, schlief, arbeitete. Seine Magengeschwüre versuchte er mit Natronpulver zu bekämpfen. Ein Krankenhausaufenthalt kam für ihn nicht in Frage, weil er befürchtete, dort sterilisiert zu werden, wie er von einem »Landsmann« erfahren hatte. Er plante, in die Schweiz zu fliehen, dachte an Selbstmord. Ab 1944 aber lautete seine Devise: arbeiten, nicht auffallen, schon gar nicht wegen der sogenannten Rassenschande, durchhalten und überleben. In dieser Zeit war er in einem »Fremdarbeiterlager« mit Zwangsarbeitern aus Belgien, Holland, Polen und Jugoslawien untergebracht. Da er nur Deutsch sprach, beäugten ihn die anderen misstrauisch. Wieder einmal passte er nirgendwo hin.
Das Gefühl, immer verdächtig zu sein, begleitet ihn sein Leben lang. Nach dem Krieg wollten die Alliierten von ihm wissen, was er denn »wirklich« gemacht habe, warum er denn noch am Leben sei. Auch in den folgenden Jahren fühlte Michael, dass er nicht selbstverständlich dazugehörte, sondern der weißen Mehrheit im Staat seine Loyalität unter Beweis stellen musste. »Man hat immer versucht, mir das Baströckchen hinterherzutragen«, resümiert er.
Einen Teil seiner Geschichte erzählte er bereits 2001 in John A. Kantaras Film »Blues in Schwarzweiß – vier schwarze deutsche Leben«. In den vergangenen Jahren haben ihn seine Kinder und Enkel gedrängt, die Erinnerungen auch zu Papier zu bringen. Michaels Aufzeichnungen sind sehr wertvoll, denn Berichte von schwarzen Überlebenden des Nationalsozialismus sind rar. Nur wenige haben ihre Geschichte aufgeschrieben oder sind zu ihren Erlebnissen befragt worden. Zu diesen zählen Hans-Jürgen Massaquoi, John William, Marie Nejar, Fasia Jansen, Gert Schramm und Hans Hauck.
Michaels Buch ist zudem enorm wichtig, weil es verschiedene Formen und Facetten des Rassismus von der Weimarer Republik bis heute beschreibt und zeigt, welche Verletzungen die Ausgrenzung hinterlässt. Das Buch demonstriert zudem eindrucksvoll die vielfältigen Verhaltensweisen, die Michael entwickelt hat, um sich vor dem Rassismus zu schützen und ihm Widerstand entgegenzusetzen – sei es gegenüber den weißen US-Soldaten in Hessen, sei es in der ostdeutschen Provinz nach der Wende oder heute bei Kontrollen am Flughafen. In seiner Jugend sei er rechtlos gewesen, habe nichts Vernünftiges lernen können und nicht heiraten dürfen. Zu der Angst, ins Konzentrationslager zu kommen oder sterilisiert zu werden, gesellte sich später die Scham darüber, es besser gehabt zu haben als manche anderen »Landsleute«. Bis auf Christiane Michael haben seine Geschwister überlebt, sie fanden sich aber erst 13 Jahre nach ihrer Trennung wieder. Unversehrt habe er diese Erfahrungen nicht überstanden. Umso beeindruckender ist Michaels Kraft für seinen weiteren Weg durchs Leben in seinem »schwierigen Mutterland«, in dem »die Sache mit der Rasse« bis heute in den Köpfen stecke.

Theodor Michael: Deutsch sein und schwarz dazu. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013, 200 Seiten, 14,90 Euro