Entwicklungshilfe – Schenken, um Gewinn zu machen

Helfen mit Gewinn

Entwicklungshilfe wird oft als eine Art Geschenk angesehen. Doch damit hat das entwicklungspolitische Geschäft wenig zu tun.

Entwicklungshelfer ade. Jetzt kommen die Zukunftsentwickler. Das ist das Ergebnis der institutionellen und inhaltlichen Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in Deutschland, die Dirk Niebel, bisheriger Leiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), in den vergangenen vier Jahren vorgenommen hat. Der ehemalige Soldat auf Zeit mit Feldwebeldienstgrad wollte durch eine »Entwicklungsoffensive« mehr »Schlagkraft« erzeugen, wie es in einem bei Amtsantritt verfassten Papier zur Strukturreform der deutschen EZ hieß. Das »Weißbuch Entwicklungspolitik«, der 14. entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung vom Juni 2013, informierte die Öffentlichkeit pünktlich vor Wahlkampfbeginn darüber, wie der Minister sein Ministerium für »mehr Wirksamkeit und Effizienz als Kernanliegen der neu ausgerichteten Entwicklungspolitik, mehr Engagement, mehr Sichtbarkeit und mehr Wirtschaftlichkeit« umgestaltet hat. VENRO, der Verband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen, kommentierte den Bericht so: Statt Gestaltung der Politik habe eine Inszenierung von Politik stattgefunden.
Doch was wurde eigentlich inszeniert? Die Bildsprache des »Weißbuchs« setzt deutlich andere Akzente als die 13 Vorgängerberichte. Nur einmal wird in der Kurzfassung der Blick auf ein schwarzes Mädchen vor einem Schulbuch gestattet. Die von ländlicher Idylle oder Entbehrungen sprechenden Bilder, die über Jahrzehnte in den EZ-Publikationen den postkolonialen Blick auf Hilfsbedürftige reproduzierten, fehlen weitgehend. Und die früher oft abgebildeten, glücklich lächelnden Gesichter bunt gekleideter Bäuerinnen bei der Ernte­handarbeit sind spärlich. Statt dessen warten schutzbekleidete Techniker gigantische Windanlagen in der Wüste, Bundeswehr­soldaten in Tarnanzügen bedienen Hightech-Geräte, politische Würdenträger auf Konferenzen stellen dar, wie das BMZ in der internationalen Entwicklungsszene angekommen ist.
Die Wahl der Bilder und der Sprache spiegelt die tatsächliche inhaltliche Umgestaltung wider. Zukunftsentwickler, die auf dem Cover einer Flut von Sektorkonzept-, Positions- und Strategiepapieren des Ministeriums den Globus umspannen, versinnbildlichen den Politikwechsel: »Innovationspioniere« an der Basis und »innovative globale Entwicklungseliten« im Management, die jeweils auf ihre Art ein investitionsfreundliches Klima erschaffen sollen, gelten als bedeutsam für die Reduktion der Armut.
Vielfach angeführt wurden die »EZ-Scouts«, die als Verbindungsreferenten in Industrie- und Handelskammern arbeiten, um deutsche Unternehmen für »Dreieckskooperationen« mit »Schwellen- und Entwicklungsländern« zu gewinnen. Dass ein Wirtschaftsliberaler eine solche Politik betreibt, ist wenig überraschend. Vorhersagbar ist zudem die Bilanz, die im »Weißbuch« gezogen wird. Demnach hat beispielsweise Deutschland als einer der »führenden Mikrofinanzinvestoren im Bereich Finanzsystementwicklung seine Führungsrolle weiter ausgebaut«. Und: »Die EU ist dem deutschen Beispiel gefolgt: Länder mit höherem Entwicklungsstand werden nun anhand innovativer Finanzierungsinstrumente gefördert, die näher an Marktkonditionen liegen.«
Gefördert wird insbesondere dort, wo ein unternehmerischer Geist weht, etwa in Nigeria (59 Millionen Euro), Südafrika (287 Millionen) und Indien (900 Millionen, fast ausschließlich in Form von Krediten). BMZ-Mittel für Entwicklungspartnerschaften, in denen die Privatwirtschaft eine wichtige Rolle spielt, haben zwischen 2009 und 2013 erheblich zugenommen, von 47 auf knapp 80 Millionen Euro. Nach wirtschaftsliberalem Verständnis ist dieser Ansatz die wirkungsvollste Form der Armutsbekämpfung. Und für mehr Wirtschaftlichkeit spricht, so steht es im Flyer über die neuen EZ-Schwerpunkte, dass »jeder in der Entwicklungszusammenarbeit investierte Euro deutsche Exporte in Höhe von 1,80 Euro nach sich zieht«.
Programme des BMZ sollen Steigerungen erzielen. Zum Beispiel mit dem Programm »German Food Partnership« (GFP). Das Ziel, der »Aufbau stabiler landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten«, wird mit vier Initiativen und 78 Millionen Euro gefördert. Partner in der »Kartoffel-Initiative«, »Ölsaaten-Initiative« und »Konkurrenzfähige Reis-Initiative« in Afrika sowie der »Initiative zu besserem Reis« in Asien sind vor allem transnational tätige Unternehmen wie BASF, Bayer Crop Science, Syngenta und die Handelskette Metro sowie der Verband der Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen. Ein Viertel der afrikanischen Kleinbauern soll in globale Wertschöpfungsketten eingebunden werden und zwar primär dort, wo ein investitionsfreundliches Klima herrscht oder geschaffen werden kann. Das heißt, dort, wo Handelsbeschränkungen und Zollschranken afrikanischer Länder entfallen, wird sich die »Partnerschaft« für die kommerziellen Projektpartner wie die Saatgut- und Düngemittelindustrie lohnen. Dank der Schöpfung von Wert mittels kleinbäuerlicher Arbeitskraft lässt sich die Profitmarge bei geringen Investitionskosten erhöhen und mit dem GFP lassen sich neue Märkte erschließen.

Eine Strategie des BMZ zur Schaffung eines investitionsfreundlichen Klimas ist die Stärkung des Mikrofinanzsektors – die Gewährung von Kleinkrediten an arme Menschen und kleine Unternehmen in sogenannten Entwicklungsländern. Für kreditwürdig erachtet werden diejenigen, die überzeugend ihren individuellen Businessplan erstellen, um etwa als Kleinbauer mit den gewährten Kleinkrediten Saatgut und Düngemittel zu erwerben, die von großen transnationalen Unternehmen angeboten werden.
Dieses Finanzsegment bedient zum Beispiel die »Access Microfinance Holding AG Germany«, gegründet 2006 in Berlin. Sie operiert inzwischen mit einem Volumen von 639 Millionen Euro im Mikrofinanzsektor. Im dritten Quartal dieses Jahres stieg der Wert der in afrikanischen Ländern gewährten Darlehen auf über 100 Millionen Euro, verteilt auf 95 000 Kredite. Die Holding hält Anteile bis zu 52 Prozent an Mikrofinanzbanken in Madagaskar, Tansania, Sambia und anderen ­afrikanischen Ländern. In Nigeria liegt ihr Anteil an der AB Microfinance Bank Nigeria bei knapp über 50 Prozent. Kleinkredite mit einjähriger Laufzeit werden von der nigerianischen Bank ab 15 000 Naira (68 Euro) gewährt. Kann der Kredit nicht bedient werden, so führt oft das Ablösen alter Kredite durch neue die in der Regel armen Darlehensnehmer in eine erneute Verschuldung.
Vor fundierten kritischen Studien, die eine Verschuldung der Armen und die Kapitalisierung des Lebens durch Mikrofinanzsysteme beklagen, verschließt das BMZ die Augen. Bei der Fachtagung »Drei Jahrzehnte Mikrofinanz und neoliberale Entwicklungspolitik – eine Bilanz« am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln wurde im August auf die Gefahren und Auswirkungen der Mikrofinanzpraxis hingewiesen: Die strukturellen Ursachen der Armut werden ausgeblendet und es wird die Illusion verbreitet, jede und jeder könne sich mit marktwirtschaftlicher Eigeninitiative selbst aus der Armut befreien. Das Credo der Tagung: Die Kreditnehmerinnen und -nehmer werden zu marktkonformem Verhalten erzogen, Einzelne werden in Konkurrenz zueinander gesetzt, kollektive soziale Mobilisierung wird verhindert.

Während in den achtziger und neunziger Jahren die hohe Verschuldung der sogenannten Entwicklungsländer das zentrale Argument bei der Kritik an der verfehlten Entwicklungshilfe war, so ist es heute die Vielzahl der weitgehend unsichtbar verlaufenden individuellen Verschuldungsschicksale. Das Prinzip bleibt das gleiche: Es wird Geld von außen in die Gesellschaften im globalen Süden gepumpt und später wieder mit Gewinn herausgezogen. Es gibt zwar immer auch Erfolgsmeldungen, doch die vielen Geschichten des Scheiterns und die Lage derer, die erst gar nicht mitmachen dürfen und aufgrund extremer Armut ausgeschlossen werden, wird in Projektevaluationen kaum mehr berücksichtigt.
Niebel hat vorgeführt, was die von Kritikern des Entwicklungsbegriffs geforderte Abschaffung der Entwicklungshilfe in der Praxis bedeuten kann. Für die Abschaffung des BMZ hatte er übrigens im Wahlkampf 2009 plädiert – und sich dann, als Entwicklungsminister, auf dessen Transformation konzentriert. Zunächst fusionierte der Minister die Vorgängerorganisationen DED, GTZ und Inwent zu einer Entwicklungsagentur, um sich mit der Dachmarke »Made in Germany« auf dem internationalen Markt der Geberagenturen zu profilieren. Statt einer Zusammenarbeit mit internationalen Geberorganisationen baute er dann aber die bilaterale Zusammenarbeit aus, die es erlaubt, ohne lange Absprachen und ohne internationalen Widerstand Hausgemachtes auf den Markt zu bringen.
Das Schenken bedingungslose Unterstützen hingegen, das noch immer gerne mit Entwicklungshilfe assoziiert wird, überlässt das BMZ weitgehend der Gesellschaft, denjenigen, deren Mitgefühl von Hilfswerken in Form von Spenden kanalisiert wird, oft unter Zuhilfenahme einer Ästhetik des Leids und Zurschaustellung der Leidenden. Dabei unterscheiden sich die Hilfswerke in ihrem Mandat zwischen jenen, die einen entwicklungspolitischen Auftrag erfüllen, und jenen, die Not- und Katastrophenhilfe leisten. Sie bieten oft Notversorgung für Menschen, die unter den Auswirkungen von neoliberalen wirt­schafts­politischen Programmen besonders arm und verwundbar werden. Sichtbar und medial kommuniziert wird ihre Verwundbarkeit besonders nach einer Naturkatastrophe, wenn sie an den Folgen von Nahrungsmittelknappheit, Infektionskrankheiten, Obdachlosigkeit und fehlender Gesundheitsversorgung sterben. Die Spenden steigen, je mehr Todesopfer es gibt. Laut einer Studie der Rotterdam School of Management hat die Zahl der Toten nach einer Katastrophe mehr Einfluss auf die Spendenbereitschaft als die der Überlebenden. Projekte, die präventiv vorgehen und denen es gelingt, Leben zu retten, sind nur schwer kommunizierbar und erhalten weniger Spenden.
Indes findet das Tauschen eine freundliche Verpackung in der wachsenden Palette von Fair-Trade-Produkten, und das Weihnachtsgeschäft der Eine-Welt-Läden sichert deren eigene Existenz. Zwar sind die einzelnen Projekte, die hinter der »fairen« Ware oder hinter den Spendenaufrufen der Hilfswerke stehen, oft gut durchdacht und ein letzter Rettungsanker für die Bedürftigen. Sie wirken jedoch wie ein Notpflaster und Trost angesichts der ständig reproduzierten Ausbeutung. Der Austausch über Ideen für eine gerechtere Welt oder eine andere Gesellschaft und solidarische Aktionen bleiben im Spendengeschäft auf der Strecke.