Der Hype um die Shareconomy

Vom Eigentümer zum Teilhaber

Teilen statt kaufen, das ist das Prinzip der »Shareconomy«. Die Idee, die oft zum ökonomischen Modell der Zukunft erklärt wird, ist jedoch gar nicht so neu.

Sollten Sie dies hier auf bedrucktem, und, nicht ganz unwichtig, bezahltem Papier vor sich haben: Vielen Dank, Sie haben eine einfache linke Wochenzeitung sehr glücklich gemacht. Falls Sie den Artikel hingegen gratis im Internet lesen, können Sie Ihr schlechtes Gewissen damit beruhigen, dass Sie auf diese Weise an einer Kultur teilnehmen, die Medien und Utopisten als das nächste große Ding ausgemacht haben: an der sogenannten Shareconomy. Unter Schlagzeilen wie »Teilen ist das neue Haben« werden mit diesem Begriff so unterschiedliche Praktiken wie Carsharing, Tauschbörsen, Couchsurfing oder auch die Open-Source-Bewegung zusammengefasst; Tauschringe, deren Mitglieder ihre Arbeitskraft untereinander zur Verfügung stellen, werden gerne zum ökonomischen Modell der Zukunft verklärt.
Doch die Kultur des Teilens ist in Wirklichkeit gar nicht so neu. Genossenschaften galten in der deutschen Arbeiterbewegung ab Ende des 19. Jahrhunderts als die Avantgarde ihrer Zeit. Andernorts, etwa in Russland, später auch in Spanien, fand man das zu sozialdemokratisch und schritt kurzerhand zur Kollektivierung von Industrie und Landwirtschaft. In den siebziger Jahren schließlich schossen Kommunen wie halluzinogene Pilze aus dem Boden.
Die weitere Geschichte ist bekannt. Wohnungsgenossenschaften sind mittlerweile ganz gewöhnliche, am Mietspiegel orientierte Marktteilnehmer, der Staatssozialismus erwies sich auch nicht gerade als die beste Idee. Und der Kommunengedanke lebt in Gestalt junger, ökologisch bewusster Familien fort, die genügend Geld für Wohnprojekte in angesagten Stadtteilen zusammenbringen können.
Damit tragen sie zwar ebenso zur Aufwertung der betreffenden Wohngegend bei wie jeder x-beliebige Immobilieninvestor. Sie demonstrieren ihr soziales Gewissen jedoch gerne dadurch, dass sie vor ihrem Haus eine dieser »Free-Boxen« aufstellen, in denen man Ungebrauchtes ablegen und gelegentlich tatsächlich Nützliches finden kann. Die besten Kunden dieser geldlosen Flohmärkte sind freilich diejenigen, die sich in absehbarer Zeit die Mieten im Viertel nicht mehr werden leisten können.

Kommunismus ist das also nicht gerade. Allerdings dürften auch nur die wenigsten, die in der Kramkiste stöbern oder per Onlinebörse einen Werkzeugpool organisieren, die Revolution im Sinn haben. Falsch muss man die Idee trotzdem nicht finden, schließlich haben wir doch alle schon in der Sesamstraße gelernt, dass Teilen eine gute Sache ist.
Gegen Carsharing etwa gibt es wenig einzuwenden, wenn man nicht gerade ein Faible für Blechlawinen und zugeparkte Radwege hat. Die Idee ist allerdings relativ machtlos gegen die fast schon libidinöse Beziehung der Deutschen zu ihrem liebsten Fortbewegungsmittel. Den bundesweit rund 400 000 Carsharing-Teilnehmern steht eine hundertfache Übermacht von 40 Mil­lionen gegenüber, die nicht auf ihre eigene CO2-Schleuder verzichten wollen; der Bundesverband Carsharing verzeichnet jedoch ein stetig steigendes Interesse am Teilauto. Da auch die Zahl derjenigen zunimmt, die die Fortbewegung mit eigener Muskelkraft vorziehen, ist es mindestens ebenso segensreich für die innerstädtische Mobilität, dass es vielerorts Fahrrad-Selbsthilfewerkstätten gibt, in denen man gegen Materialkosten und Spende Anleitung zum Selberschrauben findet.
Problematisch wird der Gedanke des Tau­schens und Teilens, wenn er zur ökonomischen Theorie erhoben wird. Die in anarchistischen Kreisen beliebten Tauschringe gründen sich oft auf die sogenannte Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells, in der sich sozialdarwinistische Vorstellungen einer »natürlichen Wirtschaftsordnung« und strukturell antisemitische »Zinskritik« vereinen (siehe dazu Peter Bierl, Jungle World 47/2013). Es verwundert daher nicht, dass Gesells Lehren auch bei rechten Esoterikern und Verschwörungsgläubigen gut ankommen. In etlichen Tauschzirkeln wird mit Regionalwährungen, ebenfalls eine Idee Gesells, herumexperimentiert, die so heimelige Namen wie »Lausitzer«, »Donautaler« oder »Havelblüte« tragen; in Wittenberg stößt man auf nichts Geringeres als das »Engelgeld«. Wer »Tauschring« googelt, findet sich schnell auf Seiten wie sein.de oder dem »Zeitpunkt« aus der Schweiz wieder, die einem Berichte über »Chemiewolken«, auch chemtrails genannt, und Elektrosmog, die Wortschöpfung »EUdSSR« und Themenschwerpunkte wie »Spiritualität« und »Geist« präsentieren; in den Anzeigen werben Heilpraktiker, Astrologen und Schamanen für sich.
Viel Beifall aus diesen Kreisen erhalten auch die Tauschringe, die sich in Griechenland in der Folge der EU-Spardiktate herausgebildet haben. Was die spirituell Erleuchteten zynisch als Zukunftsmodell bejubeln, ist dort jedoch aus existentieller Not entstanden. Während diese Projekte aktiv von der linken Partei Syriza unterstützt werden, scheint die faschistische »Goldene Morgenröte« noch nicht versucht zu haben, auf diesen Zug aufzuspringen; sie verlegt sich eher darauf, Suppenküchen exklusiv für griechische Staatsangehörige zu organisieren.

Während es in den griechischen Lokalökonomien um die Versorgung mit Lebensnotwendigem geht, wird die »Shareconomy« in weiten Teilen im Virtuellen verortet. Ein gerne angeführtes Beispiel ist Wikipedia mit unentgeltlich arbeitenden Autoren. Aber auch diese müssen in ihrer bürgerlichen Existenz von irgendetwas leben; wer sich mit zwei oder mehreren Minijobs durchschlägt, wird selten die Muße haben, sich beispielsweise in die Feinheiten der Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens zu vertiefen.
Zweifellos erleichtert es das Internet, sich mit Gleichgesinnten zu koordinieren; sei es, um per Couchsurfing durch die Welt zu reisen oder schlicht eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Dass das größte deutsche Mitfahrportal, mitfahrge­legenheit.de, seit einiger Zeit gebührenpflichtig ist, ist jedoch kein Zufall, sondern dem kapitalistischen Sachzwang geschuldet. Es wird aber noch interessant sein zu beobachten, ob sich das Bezahlmodell oder seine diversen – noch – ­kostenfreien Konkurrenzportale durchsetzen werden.

Wer von seinen Online-Aktivitäten weder durch Werbeeinnahmen noch durch Gebühren leben kann, versucht es seit einiger Zeit mit dem Prinzip »Bezahlen bei Gefallen« oder der Variante Crowdfunding. Tatsächlich gibt es etliche Erfolgsbeispiele, das bekannteste dürfte der Film »Iron Sky« sein – Ufos und Nazis gehen offenbar immer. Gerade zählte die Taz einige der verschrobensten Projekte auf, die über die Crowdfunding-Plattform »Kickstarter« sogar mehr Spenden einsammelten, als benötigt wurden, darunter die Entwicklung eines Moduls samt App, mit dem sich Papierflieger per Wischtelefon steuern lassen. 50 000 Dollar hatten sich die Erfinder erhofft, sie erhielten über 500 000.
Wer darin nun die segensreiche Wirkung des freien Markts ausmacht, auf dem jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, übersieht, dass diesen Geschichten der Art »vom bettelnden Nerd zum Kleinunternehmer« ungezählte gescheiterte Versuche entgegenstehen, die der Ignoranz der Schwarmdummheit zum Opfer fallen. Ein besonders trauriges Beispiel ist das Onlinegame Glitch (Jungle World 50/2012), das – trotz oder wegen seiner psychedelischen Schnuckeligkeit – nicht genügend zahlende Mitspieler fand und vor einem Jahr seine virtuellen Pforten schloss. Die Entwicklerfirma Tiny Speck hat mittlerweile allerdings den Quellcode veröffentlicht, und Enthu­siasten basteln an einem Nachbau.
Sollte Sie daher eines fernen Tages der Appell erreichen, die Wiederbelebung eines Daddels zu unterstützen, in dem man in erster Linie nett zueinander ist und kleine Geschenke austauscht und das Geld buchstäblich auf den Bäumen wächst, sollten Sie dem unbedingt nachkommen. Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus – aber es würde die Welt doch ein klein wenig besser machen. Und wenn Sie jetzt schon einmal in weihnachtlicher Spendierstimmung sind: Falls Sie diesen Text online lesen und er Ihnen gefallen hat, dürfen Sie gerne den Flattr-Button da unten links nutzen, um Ihrem Lieblingsqualitätsmedium ein paar Cent zukommen zu lassen. Wäre doch gelacht, wenn dabei nicht ein mindestens einstelliger Betrag zusammenkäme.