Platte Buch

Modell für alles

Über kaum eine Insektenart wurde so viel sinniert und schwadroniert. Schon Äsop meinte vom sagenhaften Fleiß der Ameise zu wissen und schuf die berühmte Fabel von der Ameise und der Grille. Letztere schaut im Winter dumm und hungrig drein, hat sie es doch im Gegensatz zur nimmermüden Ameise versäumt, bereits im Sommer für Nachschub zu sorgen, und stattdessen träge rumhängend bloß merkwürdige Musik gemacht.
Glücklicherweise setzt der kluge Siegener Literatur- und Medienwissenschaftler Niels Werber keinen weiteren fragwürdigen anthropomorphen Vergleich in die Welt. »Ameisen­gesellschaften« untersucht unter anderem, weshalb Ameisenkolonien als Modell für mensch­liche Gesellschaftsformen dienen beziehungsweise warum ausgerechnet das Ameisenmodell bereits »für alles Mögliche« herhalten musste: für eine vorbildlich funktionierende Demokratie wie für die Monarchie. Auch die Nazis hatten eine Menge für Ameisenkollektive übrig. So wie Autoren gesellschaftskritischer Dystopien der totalitäre, angeblich ameisenartige Unterordnungsgedanke hochgradig suspekt erschien. Und heute? Heute dienen Ameisengesellschaften als Sinnbild für die digitale Vernetzung und als Beispiel für die sogenannte Schwarmintelligenz. Kommunikation, Kooperation, Arbeitsteilung: Die funktionalen Aspekte von Ameisengesellschaften sind eben auch sehr typische Funktionsaspekte menschlicher Gesellschaften – und deshalb gerade offen ­genug für beinahe jeden Vergleich.

Niels Werber: Ameisengesellschaften. Eine Faszinationsgeschichte. S. Fischer-Verlag, Frankfurt a. M., 2013, 480 Seiten, 24,99 Euro