Afrikanische Flüchtlinge im Sinai und in Israel

Aus der Hölle ins Gefängnis

Noch immer werden afrikanische Flüchtlinge im ägyptischen Sinai von Menschenhändlern gefangen gehalten und gefoltert. Diejenigen, die es bis nach Israel geschafft haben, sind auf der Straße oder in Gefangenenlagern gelandet.

Am Samstag demonstrierten in Tel Aviv mehr als 5 000 afrikanische Flüchtlinge und einige hundert israelische Unterstützer gegen die Asylpolitik der israelischen Regierung. Einen Tag später verhaftete die Einwanderungspolizei im Süden der Stadt afrikanische Flüchtlinge wegen Visum- und Residenzverstößen und transportierte sie in Gefangenenlager ab, einige von ihnen ins »offene« Lager Holot. Gegen dessen Eröffnung hatte es vor etwa zwei Wochen die ersten Flüchtlingsproteste gegeben. Dutzende waren in den Hungerstreik getreten, Hunderte Flüchtlinge hatten den »offenen« Vollzug auf einem Protestmarsch nach Jerusalem verlassen. Dort wurden die meisten während einer Kundgebung wieder verhaftet.
Knapp 55 000 Flüchtlinge befinden sich in Israel, nach Schätzungen stammen 66 Prozent aus Eritrea und 25 Prozent aus dem Sudan. Mindestens 7 000 von ihnen sind Folteropfer, die während ihrer Flucht in Richtung Israel in die Gewalt von Menschenhändlern und Kidnappern geraten oder von Banden aus Flüchtlingscamps im Sudan oder in Äthiopien entführt worden waren. Die meisten von ihnen wurden freigelassen, nachdem Verwandte und Freunde in den Herkunftsländern oder in Israel Lösegeld gezahlt hatten. Beteiligt an diesem Handel sind neben ägyptischen Beduinenclans auch andere ägyptische sowie palästinensische und israelische Kriminelle.
Mehrere in den vergangenen Jahren veröffentlichte Studien zeichnen das Bild einer menschengemachten Hölle. Die Opfer werden mit Hunger und Durst gequält; während Angehörige oder Freunde am Telefon mithören, werden sie mit Elektroschocks oder der Amputation von Gliedmaßen gefoltert. Viele Opfer werden vergewaltigt, insbesondere der Großteil der gekidnappten Frauen. Mindestens 4 000 Menschen wurden in den vergangenen fünf Jahren im Sinai ermordet, teilweise wurden den Opfern von involvierten Ärzten Organe entnommen. Die Lösegelder rangieren zwischen 10 000 und 50 000 Dollar, im Frühjahr vorigen Jahres sammelten Eritreer in der Diaspora 41 000 Dollar, um eine Familie freizukaufen. Die Entführer hatten 19 Mitgefangene gezwungen, die Mutter vor den Augen ihrer achtjährigen Tochter zu vergewaltigen.
Seit vorigem Jahr hat Israel die Grenze zu Ägypten mit einem Zaun komplett abgeriegelt, den Rückgang des Flüchtlingsstroms in Richtung der Grenze kompensieren die Menschenhändler nun mit vermehrten Entführungen aus dem Sudan. Die ägyptischen Behörden kontrollieren Teile des Sinai nicht und interessieren sich nicht für das Schicksal der afrikanischen Opfer. Sind die über 130 000 syrischen Flüchtlinge bereits Opfer staatlicher Diskriminierung und Ziel medialer Hetze, gelten die afrikanischen Flüchtlinge vielen Ägyptern zudem als minderwertig. Sie erhalten keine Arbeitserlaubnis und sind häufig Opfer von Polizeischikanen. Oft kommt es ihnen gegenüber auch zu verbalen und physischen Übergriffen. An der Grenze zu Israel galt in den vergangenen Jahren zudem der Schießbefehl, Dutzende Flüchtlinge wurden beim Versuch, die Grenze zu überqueren, erschossen.

Auf der israelischen Seite des Grenzzauns sind Tausende Asylsuchende in den Gefängnissen Saharonim und Ketziot sowie im »offenen« Gefangenenlager Holot inhaftiert, das nach Plänen der Regierung bis zu 10 000 Insassen fassen soll. Grund für die Ausbaupläne ist ein neues »Eindringlingsgesetz«. Asylsuchende können nun bis zu einem Jahr im Gefängnis und danach sogar auf unbegrenzte Zeit in Holot inhaftiert werden. Aufgrund seiner Lage neben den Gefängnissen mitten in der Wüste, der Anwesenheitspflicht bei drei täglichen Zählappellen und dem nächtlichen Einschluss wird das von der israelischen Gefängnisverwaltung betriebene »offene« Lager von Asylsuchenden, Menschenrechtlern und linken Oppositionellen schlicht als Gefängnis bezeichnet. Der Oberste Gerichtshof hatte die dreijährige Inhaftierung von Asylsuchenden für verfassungswidrig erklärt – das neue Gesetz enthält in den Augen der Kritiker nun sogar noch eine Verschärfung der ursprünglichen Regelung.
Einer der Kritiker ist Oscar Olivier vom African Refugee Development Centre (ARDC). Im Gespräch mit der Jungle World beschrieb er die israelische Asylpolitik als »Nichtpolitik«: »Das Einzige, was sie vorbringen, ist die Behauptung, es handele sich um Eindringlinge und nicht um Asylberechtigte, aber woher wollen sie das wissen? Die Regierung denkt, dass das Problem sich irgendwann in Luft auflösen wird. Dabei wird es immer größer.« Der Knackpunkt sei die Frage der Identität der Flüchtlinge und der Prozess ihrer Feststellung. Die israelische Regierung wisse genau, dass der Großteil der Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan stamme und einen Asylanspruch habe. Um Angst zu schüren, würden populistische Politiker jedoch immer wieder behaupten, man könne deren Identität nicht feststellen.
Olivier verweist auf die Tatsache, dass die israelischen Behörden sich weigern, Asylanträge zu bearbeiten und individuelle Identitätsfeststellungsprozesse durchzuführen. Anstelle der individuellen Prüfung und Anerkennung beziehungsweise Ablehnung auf der Basis spezifischer Kriterien wurde für mehr als 90 Prozent der Flüchtlinge ein »Gruppenschutz« erlassen, der lediglich eine jeweils auf mehrere Monate befristete, die Abschiebung aufschiebende Wirkung hat und immer wieder erneuert werden muss. Die Asylanträge der wenigen tausend nicht vom »Gruppenschutz« betroffenen Flüchtlinge haben derweil nach Angaben der Israelischen Ärzte für Menschenrechte eine Anerkennungsquote von 0,02 Prozent. Einer Studie des ARDC und der »Hotline for Migrant Workers« zufolge deklarierten israelische Behörden zudem über 1 000 meist eritreische Flüchtlinge als Äthiopier, um sie abschieben zu können.

Die Abschiebungsdrohung wird für alle permanent aufrechterhalten, im vorigen Jahr erklärte die Regierung, sie plane, die »Eindringlinge« im Austausch gegen Geld und Waffen für das dortige autoritäre Regime nach Uganda abzuschieben. Die Asylsuchenden erhalten keinerlei soziale Beihilfen oder medizinische Versorgung, während ihnen gleichzeitig Lohnarbeit untersagt ist. Daher müssen sie zwangsläufig im informellen Sektor zu Niedriglöhnen arbeiten.
In Folge dieser »Nichtpolitik« leben Tausende Flüchtlinge auf der Straße und schlafen in öffentlichen Grünanlagen. Insbesondere im Süden Tel Avivs, wo sich bis zu 30 000 von ihnen aufhalten, kam es in den vergangenen Jahren vermehrt zu Spannungen zwischen unterprivilegierten Israelis und Flüchtlingen (Jungle World 20/2012). Rechtsradikale, aber auch Regierungsvertreter hatten gegen »Eindringlinge«, »Illegale« und »Wohlstandsmigranten« gehetzt, diese als »Krebsgeschwür« und »Gefahr für die Existenz Israels« bezeichnet. In mehreren Städten kam es zu rassistischen Übergriffen, in Tel Aviv und Jerusalem sogar zu Brandanschlägen auf Wohnhäuser und einen Kindergarten von afrikanischen Flüchtlingen.
Inzwischen, angesichts der Flüchtlingsproteste der vergangenen Wochen, forderte der ehemalige Innenminister Eli Yishai die »Umleitung der Demonstranten auf den Flughafen«. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte, die Flüchtlinge könnten entweder ins Lager Holot oder in ihre Länder zurückkehren, und Innenminister Gideon Sa’ar erklärte offenherzig, es gehe ihm um Abschreckung. Viele Flüchtlinge verzweifeln angesichts ihrer Lage. Doch da sie eben keine »Arbeits-Eindringlinge« (Netanyahu) sind, können sie nicht zurück. Auf Europa hoffen sie derweil umsonst. Die meisten der auf dem Weg nach Lampedusa Ertrunkenen flüchteten aus Eritrea.