Berlin Beatet Bestes. Folge 223.

Das kleine »s« macht die Musik

Berlin Beatet Bestes. Folge 223. Verzapftes.

Im Plattenladen.
»Hallo. Ich suche LP.«
»Klar Meister, hamwa. Aber welche? Ne bestimmte Scheibe?«
»Nein, das habe ich doch schon gesagt. Ich suche einfach generell LP.«
»Aber welche denn?«
»Noch einmal … Ich suche keine bestimmte LP. Also, wo finde ich hier LP?«
»Alter, verarschen kann ich mich selber … «

Ich kürze ab, bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt. Nur damit das niemandem mal tatsächlich in der Wirklichkeit passiert: In der Fachsprache der Schallplattensammler spricht man von LPs und EPs. Nur das Lektorat der Jungle World kannte früher keine Mehrzahl von LP. Das Wort Vinyl gibt es hingegen in der Fachsprache nicht in der Mehrzahl. Von mehreren »Vinyls« sprechen nur Laien. Vinyl bezeichnet das Material. Das Format heißt Schallplatte, Platte oder Scheibe. Ebenfalls nicht gebräuchlich sind die Bezeichnungen »Siebenzöller«, »Zehnzöller« »Zwölfzöller« oder »Fünfundvierziger«. Es sind reine Rezensionsbegriffe, im Plattenladen spricht man von Singles. Seven, Ten und Twelve Inches und Fortyfives heisst es im internationalen Sprachgebrauch. Auch hier in Schweden, wo ich mich zur Zeit mal wieder aufhalte. Natürlich um Swing zu tanzen, aber ich freue mich auch schon auf den Besuch in einem Stockholmer Plattenladen. Meine Freundin nicht. Die hasst Plattenläden, so wie die meisten Frauen. Sie hasst es, mit mir in einen Plattenladen zu gehen und mir stundenlang beim Stöbern zuzugucken. Selber stöbern macht ihr aber auch keinen Spaß. In den vielen Jahren, die wir nun schon zusammen sind, hat sie mich nur wenige Male begleitet. Und das auch nur, wenn wir auf Reisen waren und es gar nicht zu vermeiden war, wenn also meine Sammelsucht zu stark wurde. Dieses Plattenstöbern, dieses Wühlen in staubigen Kisten, ist ja leider durchaus etwas typisch Männliches. Meine Freundin durchkämmt noch nicht mal gern Kleiderläden, sie hasst Shoppen. Da ist sie eher eine untypische Frau.
Dabei ist es ein Jammer, dass ihr die Geduld für das Plattensammeln fehlt, denn das System meiner Sammelleidenschaft hatte sie schnell entschlüsselt und auch der nötige Instinkt für Seltsames fehlt ihr nicht. »Wär’ das was?« fragte sie mich, als sie vor über 15 Jahren diese, mit einem Foto und Letraset-Rubbelbuchstaben dekorierte Privatpressung aus einer Kiste zog. Und lag damit goldrichtig. Erst zu Hause beim Abhören enthüllte uns die Platte nach Jahrzehnten zum ersten Mal langsam ihr Geheimnis. Diese Acetate-Pressung, eine mit Kunstoff überzogene Aluminiumplatte, ist eine Einzelanfertigung und höchstwahrscheinlich ein Geschenk der Arbeitskollegen eines gewissen Herrn Zapf anlässlich seiner 25jährigen Betriebszugehörigkeit bei den Berliner Askania-Werken. Während im Hintergrund ein polterndes Schlagzeug und ein Akkordeon zu hören sind, werden im Text Highlights aus der Karriere des seltsamen Mechanikers Zapf nacherzählt: »Reden mag er wenig, das weiß hier jeder Mann/Auch hat er hierbei stetig warme Unterhosen an.«

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.