Talmi

Innocence in Danger

Im Tosen der allgegenwärtigen Gemeinheit gibt man sich gern der Illusion hin, wenigstens sich selbst retten zu können, wenn die Welt schon so schlecht ist – und wie das Bedürfnis nach anderen Zerstreuungen, nach Eiscreme, Pizza­burgern und fünflagigem Toilettenpapier, wird auch der Wunsch nach privater Unschuld da erfüllt, wo er entsteht: in der nächsten Rewe-Fi­liale. Dort gibt es Unschuld zu kaufen, in Flaschen, »Innocence« genannt, biologisch hergestellte Direktsäfte, nur unwesentlich teurer als das, was uns der gute alte Onkel Dittmeyer einschenkt, in vielerlei Geschmacksrichtungen und Aggregatzuständen. Die moralische Hybris, die in dieser Selbstbezeichnung steckt, wie auch die unangenehmen Assoziationen mit all den zwielichtigen Gestalten, die sich für die meist als kindlich imaginierte Unschuld in die Brust werfen, allen voran die Schreckschraube Stephanie zu Guttenberg mit ihrem widerlichen Demagogenfernsehen, werden hier aufgefangen durch Ironie. Statt dem drögen Design korrekten Lebens, das die Biosupermärkte verschachern, herrscht hier gute Laune. Form und Farbe sind sanft und freundlich, die Frucht auf der Verpackung ziert ein neckischer Heiligenschein und schließlich wartet die Rückseite statt mit den üblichen Verbraucherinformationen sogar mit einem Witz auf: ein Tierfoto, versehen mit einer ulkigen Unterzeile. Die englische Firma, die den Saft vertreibt, ist damit weit vornedran, denn niemand, der sich seiner hervorragenden Konsumethik rühmen will, möchte heute noch als humorloser Körnerfresser gelten. Zwingend wird die Strategie ihr dialektisches Gegenteil hervorbringen: In drei Jahren steht dann »Guilt« in den Regalen, der Kaffee, der zwar fair gehandelt ist, aber trotzdem nach Blut schmeckt. Der Ironie wegen.