Captain Gips im Gespräch über Politik und Musik

»Manche sagen, ich sei zu alt für sowas«

HipHop aus der linken Szene fristet schon lange kein Nischendasein mehr. Trotzdem gibt es Künstler, die Auftritte in linken Zentren vorziehen. Ein Gespräch mit dem Hamburger Rapper Captain Gips, der politisches Engagement mit Musik verbindet und die Zustände unerträglich findet.

»Kein Mensch kann stolz auf ein Land sein«, »Leistungsdruck und Arbeitswahn versenken wir im Hafenbecken« – viele deiner Texte haben klare politische Aussagen. Glaubst du, mit Musik etwas verändern zu können?
Zu unseren Konzerten kommen auch viele jüngere Leute, die sich noch nicht intensiv mit politischen Themen auseinandergesetzt haben. Dass der eine oder andere durch die Musik an politische Fragestellungen herangeführt wird, glaube ich schon.
Das klingt, als würdest du aus Erfahrung sprechen.
Tatsächlich war es bei mir ähnlich. Ich war damals völlig unpolitisch, erst durch Public Enemy änderte sich das. Als dann unter anderem Absolute Beginner mit Liedern gegen »Bullenschweine« hinzukamen, begann ich, mich mit politischen Denkweisen auseinanderzusetzen. Ein sehr wichtiger Song für meine musikalische Entwicklung war »Fremd im eigenen Land« von Advanced Chemistry, in dem es vorrangig um Fragen der Identität geht. Im Grunde machen wir im HipHop 20 Jahre später etwas Ähnliches. Advanced Chemistry würde man heute wahrscheinlich auch als Zeckenrap bezeichnen.
Ist Zeckenrap eigenständig genug, um sich langfristig als Subgenre im HipHop etablieren zu können?
Auf herkömmlichen HipHop-Veranstaltungen nervt dieses ganze Rumprollen und Zurschaustellen davon, wie geil man ist. Mir gibt es mehr, in linken Zentren zu spielen, schon allein, weil sich interessantere Gespräche ergeben. Der Zeckenrap wird wahrscheinlich neben anderen Gangarten des HipHop existieren. Vielleicht so wie in den USA, wo Mainstream-HipHop und Conscious Rap eine friedliche Koexistenz führen. Die Genregrenzen müssten nicht ganz so scharf sein, es könnten auch andere Künstler dazugezählt werden, die nicht ganz so die Prollschiene fahren. Jemanden wie Amewu zum Beispiel würde man jetzt vielleicht nicht zu Zeckenrap zählen, obwohl er gute Texte hat.
Als du vor drei Jahren zusammen mit dem Rapper Johnny Mauser den Song »Flora bleibt« gemacht hast, bist du ins Visier von Staatsschutz und Verfassungsschutz geraten. Hattest du damit gerechnet?
Dass die Polizei plötzlich morgens vor meiner Tür stehen würde? Auf keinen Fall.
Die Stimmung in Hamburg ist derzeit angespannt, in »Flora bleibt« hast du prophezeit, dass es bei einer Räumung der Roten Flora »jeden Tag Bambule hoch zehn« geben könnte.
Manchmal habe ich wirklich Angst davor, wie heftig das noch werden könnte.
Hast du bei der Bambule-Räumung damals auch demonstriert?
Ja. Der Protest im Zuge der Bambule-Räumung sorgte immerhin dafür, dass die unterschiedlichsten Leute zusammenkamen und sich solidarisierten. Etwas Ähnliches geschieht momentan rund um die Rote Flora und mit den Refugees in Hamburg.
Die Refugee-Thematik greifst du auf deinem neuen Album in dem Song »Kaltland« auf. Wie beurteilst du die Situation in Deutschland und vor allem in Hamburg?
Ich finde das unerträglich und kann nicht verstehen, wie man Menschen so behandeln kann, die aus untragbaren Verhältnissen geflohen sind. Insbesondere das, was die SPD gegenwärtig in Hamburg abzieht, macht mich wahnsinnig wütend.
Gleichzeitig lässt sich aber auch eine verbreitete Solidarität erkennen.
Das stimmt, aber das staatliche Handeln wird dadurch nicht beeinflusst. Den Refugees wird erst einmal nicht geglaubt, dass sie Gründe dafür haben, hierher zu kommen. Ich habe selbst mit Refugees gearbeitet und über die Jahre einen riesengroßen Hass auf die Ausländerbehörde entwickelt. Dieses ewige Vertrösten von einer Duldung zur nächsten und die Art und Weise, wie alle in ein Haus gesteckt werden, anstatt sie dezentral unterzubringen – das ist echt eine Katastrophe.
Ich halte es auch durchaus für möglich, dass sich so etwas wie in Lichtenhagen wiederholt. Wenn sich mal ein paar besoffene Deutsche denken sollten: »Lasst uns mal einen Stein werfen«, kann das sehr schnell losgehen.
Beruflich bist du als Sozialarbeiter in einem widersprüchlichen Tätigkeitsbereich beschäftigt: Einerseits leisten Sozialarbeiter konkrete Hilfe, andererseits geht es immer auch darum, Menschen gesellschaftlich wieder funktionsfähig zu machen.
Das stimmt. In meinem Job kritisiere ich auch die Zustände, die ich durch meine Arbeit unterstütze. Sozialarbeiter kümmern sich um den unteren Teil der Gesellschaft, damit der halbwegs funktioniert und in Arbeit kommt. Das ist ja nach wie vor das Hauptziel von Sozialarbeit.
Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?
Ich sehe das einfach als Job an, nicht als etwas, an dem mein Herz hängt. Und im Vergleich zu anderen Jobs macht es mir schon Spaß, weil ich viel mit Menschen zu tun habe. Andere Jobs würden mich sicher mehr belasten.
Diverse Musikprojekte, Lohnarbeit, kürzlich bist du Vater geworden – wie passt es dazu, dass du viel vom Chillen rappst?
Das habe ich mich auch schon gefragt, an Ausschlafen ist inzwischen kaum mehr zu denken. In meinen 21 Semestern als Student war das noch was anderes.
Hast du deshalb schon mal daran gedacht, es mit der Musik sein zu lassen?
Nein, auf gar keinen Fall. Dann würde ich eher die Lohnarbeit schmeißen. Musik ist noch immer das, was mir am meisten Spaß macht.
Geht das überhaupt: aufhören mit HipHop?
Momentan kann ich es mir nicht vorstellen, vielleicht denke ich mit 50 anders darüber. Wahrscheinlich sitze ich dann aber mit anderen 50- oder 60jährigen zusammen und höre Wu-Tang Clan, so wie unsere Eltern jetzt Jazz hören. Die Kinder, mit denen ich arbeite, kennen die Rap-Musik, mit der ich aufgewachsen bin, auch nicht mehr.
Wissen die Kinder, dass du rappst?
Ich binde denen das nicht auf die Nase, aber manche haben natürlich Videos im Internet entdeckt. Die finden es dann schon cool, mit mir Hausaufgaben zu machen. Manche sagen aber auch, ich sei viel zu alt für sowas.

Captain Gips: 20 000 Meilen unter dem Yeah (Audiolith/Broken Silence)