Vom Schreibautomat zur Rechenmaschine

Schreiben und schreiben lassen

Die Erfindung der Schreibmaschine hat die Menschheit stärker geprägt als die des Buchdrucks. Eine kleine Kulturgeschichte vom Schreibautomaten zur Rechenmaschine.

Die These, dass wir seit Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in der Gutenberg-Galaxie leben würden, ist falsch, da ein Aspekt der Schrifttechnik allzu pauschal verallgemeinert wird. Auch nicht richtig, aber plausibler wäre davon zu sprechen, dass die Moderne das Zeitalter der Schreibmaschine ist, beziehungsweise auch dadurch als Zeitalter charakterisiert werden kann, dass die Kunst des Schreibens mehr und mehr mechanisiert wird. Die Entwicklung pendelt dabei zwischen Maschinisierung und Automatisierung. Am Anfang steht »Der Schreiber«, einer der drei Androiden, der von Pierre Jaquet-Droz erfundenen Automaten, gebaut zwischen 1770 und 1774: Der Schreiber ist ein kleiner Junge, der in der rechten Hand eine Feder hält, die er in die Tinte taucht, um dann einen beliebigen, 40 Zeichen langen Text zu schreiben. Die ersten Schreibmaschinen, die im 19. Jahrhundert auf den Markt kommen, ahmen zum Teil noch wie auch beim Jaquet-Droz-Automaten den Gestus und die Figuration der Schreiber nach, die bereits in Mesopotamien das Schriftwesen beherrschten: Keine Tastatur war an diesen Maschinen, sondern ein beweglicher Metallstift wurde wie ein okkultes Pendel über ein Zeichentableau geführt und dann beim richtigen Buchstaben eingerastet.
Als Erfindung gehört die Schreibmaschine wie das Fließband zu den Weg bahnenden Apparaturen des Fordismus; im Büro entfaltet sie ihre eigene Welt – mit eigenen, neuen Berufen (zum Beispiel Stenotypist). Franz Kafka hat 1914/1915 mit der Beschreibung der klackernd-lärmenden Großraumagenturen und Kontore im Roman »Der Prozess« das entsprechende Bild geliefert – und auch die Einführung eines bizarren Wortes wie »Dienstleistung« gehört dazu. Eigentlich ist die Schreibmaschine das Interface der Kybernetik. Bei Jerry Lewis – in »Der Ladenhüter« (1963) – ist die Schreibmaschine ein unheimlich komisches Gerät, wenn er ihre Bedienung mittels Pantomime nachstellt: Das Einbringen des Papierbogens, das Tippen, die Rückführung der Walze geht leicht von der Hand und mit lustigen Grimassen einher.
Im Schatten der Computerisierung wird allerdings die Schreibmaschine zum unheimlich infamen Gerät, gleichsam zum Psychographen des Individuums, das als Autor scheitert. In Kubricks »Shining« von 1980 sitzt Schriftsteller Jack an seiner schweren Adler – Hunderte von Seiten hat er vollgetippt: »All work and no play makes Jack a dull boy.« (In der deutschen Fassung: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.«) Der Papierstapel ist im wörtlichen Sinne kein Manuskript mehr, keine Handschrift. Die Arbeit an der Schreibmaschine wird zur bloßen Zeichensetzung, der Schreibapparat wird vollends zum Rechenapparat. Wofür schon Jaquet-Droz’ »Schreiber« der Prototyp war, realisiert sich jetzt am Ende des Schreibmaschinen-Zeitalters: Die Schreibmaschine – das ist der Mensch, der sie automatisch bedient.