Warum die sogenannte Energiewende nicht in Gang kommt

Woher der Wind weht

Ungeachtet anderslautender Absichtserklärungen gibt es verstärkte Bestrebungen, den Ausbau der regenerativen Energie­erzeugung zu bremsen.

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima gab es in der deutschen Öffentlichkeit und Politik eine große Mehrheit für eine Energiewende. Der Atomausstieg sollte mit einem beschleunigten Ausbau der Erzeugung erneuerbarer Energie verbunden werden. Nun scheint dieses energiepolitische Ziel allerdings hinter den Interessen der großen Energiekonzerne zurückstehen zu müssen. Sowohl die neue Regierung der großen Koalition aus CDU, CSU und SPD als auch die EU-Kommission machen sich frisch ans Werk und untergraben den Ausbau regenerativer Energien in Deutschland.
Die Geschichte des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland ist eine Geschichte eines Erfolgs der politischen Lenkung der Ökonomie. Die Vorgaben des Ausbaus von Windkraft, Solarenergie und anderen regenerativen Energiequellen wurden durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt. Danach hat jeder Betreiber einer Anlage, die Strom aus regenerativen Energien erzeugt, egal ob ein Konzern wie RWE oder ein Eigenheimbesitzer, einen gesetzlichen Anspruch auf Abnahme des erzeugten Stroms sowie eine garantierte Vergütung pro Kilowattstunde Strom über einen Zeitraum von 20 Jahren. Dieses politökonomische Instrument hat den lange anhaltenden Boom von Wind- und Solarenergie in Deutschland befördert. Finanziert wird die Differenz zwischen dem am Markt für den Strom erzielten Preis und der festen Vergütung durch eine Umlage, die auf alle Stromkunden entsprechend des Verbrauchs verteilt wird.

Insbesondere im Bereich Windenergie hat das EEG eine enorme Dynamik erzeugt. So hat allein im vorigen Jahr der Bau neuer Windenergieanlagen in Deutschland das höchste Niveau seit zehn Jahren erreicht, Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 2 500 Megawatt wurden errichtet. Auch offshore, küstennah im Meer, wurde neu gebaut. Zwei Windparks wurden fertiggestellt und weitere Anlagen errichtet. Wenn diese Anlagen komplett ans Netz angeschlossen sind, wird sich die Offshore-Leistung im Vergleich zum Jahr 2012 in etwa verdoppeln. Nach Angaben der Bundesregierung waren Ende September vorigen Jahres Windenergieanlagen mit einer Leistung von 520 Megawatt in der deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb.
Die Gesamtleistung der in Deutschland an Land stehenden Windkraftanlagen ist bis Ende 2012 bereits auf 31 000 Megawatt angewachsen. Addiert man die prognostizierten 2 500 Megawatt an Land und die erwarteten 520 Megawatt auf See, ergibt sich daraus eine Gesamtkapazität von über 34 000 Megawatt Windenergie in der Bundesrepublik. International wurde Deutschland unterdessen hinsichtlich des Baus neuer Anlagen von anderen Ländern überholt. So wurden in den USA und in China allein im Jahr 2012 jeweils Anlagen mit einer Leistung von 13 000 Megawatt errichtet. In den USA hat die Energiebranche allerdings bereits Gegenmaßnahmen durchsetzen können. Durch geänderte steuerliche Bedingungen ist der US-amerikanische Markt 2013 zusammengebrochen. Die installierte Leistung wird die Werte Deutschlands zukünftig unterschreiten.
Insbesondere die Anlagen auf hoher See will die Große Koalition zukünftig stärker fördern. Nach Berechnungen des Energieexperten der Verbraucherzentrale Bundesverband, Holger Krawinkel, werden diese Planungen bis 2020 Mehrkosten in Höhe von 4,5 Milliarden Euro zur Folge haben. Konkret haben sich CDU, CSU und SPD darauf geeinigt, das ursprünglich bis 2017 befristete Modell mit einer Anfangsvergütung von beachtlichen 19 Cent pro Kilowattstunde um zwei Jahre zu verlängern. Auf diese Weise soll das weiterhin bestehende Ausbauziel der Bundesregierung von 6 500 Megawatt Windkraft in küstennahen Gewässern bis 2020 noch erreicht werden.

Nach den Berechnungen des Verbraucherschützers Krawinkel könnte sich 2020 die Umlage für erneuerbare Energien der Summe von 30 Milliarden Euro im Jahr nähern. Für 2014 wird mit 23,5 Milliarden Euro gerechnet. Unter Berücksichtigung der Kosten für den Ausbau der Stromnetze könnte die jährliche Belastung der Privathaushalte bis zu 75 Euro betragen. Der von Union und SPD gefundene Kompromiss widerspricht also dem zuvor proklamierten Ziel, den Strompreisanstieg durch Einschnitte beim EEG zu begrenzen. Stattdessen wird mit der Windkraft offshore eine besonders teure und tendenziell auch überflüsssige Form erneuerbarer Energien gefördert.
Ein von Krawinkel zur Illustration angeführtes Beispiel trifft es ganz gut: »Es ist wie beim Transrapid: Klar, er war etwas schneller. Aber der Nutzen stand in keinem Verhältnis zu den enormen Kosten im Vergleich zu konventionellen Hochgeschwindigkeitszügen.« Im Vergleich zur Produktion an Land kostet der Strom aus Windkraftanlagen auf See fünfmal so viel. Überdies muss er mit neu zu bauenden und auch sehr teuren Stromleitungen an Land gebracht werden. Möglich also, dass sich Krawinkels Erwartung bewahrheiten wird: »Ich fürchte, wir erleben bald die teuerste Form einer Seebestattung von technologischen Machbarkeitsphantasien.«
Von Seiten der Grünen wurde bereits Widerstand gegen die Pläne der Großen Koalition ­angekündigt. So hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärt, den von Union und SPD festgelegten Ausbaupfad für erneuerbare Energien nachverhandeln zu wollen. Vom Handelsblatt wird er in Hinblick auf die geplante geringere Förderung für bestimmte Windenergieanlagen mit der Aussage zitiert: »Wir werden alles dafür tun, dass sich das ändert.« Der Süden habe »ein überragendes Interesse« daran, dass der Strom auch dort produziert wird, wo er gebraucht wird, ­betonte Kretschmann. Ein richtiges Argument, nicht nur für den Süden Deutschlands. Erneuerbare Energiequellen sind nur dann effizient, wenn sie dort eingesetzt werden, wo Energie benötigt wird. Dann entfallen auch die hohen ­Infrastrukturkosten für den überregionalen Netzausbau. Ein Ausbau ist vor allem dezentral sinnvoll.
Offenbar hat die Energiewirtschaft auch über die EU einen erneuten Versuch unternommen, dem schnellen Ausbau erneuerbarer Energien durch das EEG ein Ende zu bereiten. Der EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia verlangt ­jedenfalls eine Reform der deutschen Ökostrom-Förderung, die über die im Koalitionsvertrag festgelegten Änderungen weit hinausgeht. Nach einem Entwurf für eine EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien wird verlangt, das System der garantierten Abnahme zu langfristig festgelegten Preisen für Wind- und Solarstrom aufzugeben.
In dem von Almunia am 18. Dezember angekündigten Beihilfeverfahren gegen Deutschland wird es allerdings nicht nur um die Ökostrom-Förderung, sondern auch um die ausufernden Industrierabatte auf die EEG-Umlage gehen. Die Zahl der begünstigten Unternehmen stieg allein zwischen 2011 und 2013 von 603 auf 1 720, die Entlastung dieser Unternehmen von 2,74 auf vier Milliarden Euro pro Jahr. Die EU-Kommission sieht darin Verstöße gegen Wettbewerbsvorschriften in der Europäischen Union. Anfangs waren nur als stromintensiv bezeichnete Indus­trien von der Umlage befreit. Die Zahl der auf diese Weise begünstigten Unternehmen steigt von Jahr zu Jahr weiter an.
Zum angekündigten Beihilfeverfahren sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Handelsblatt: »Wir werden sehr gemeinschaftlich deutlich machen, dass wir gewillt sind, die Energiewende und die Einhaltung europäischen Rechts natürlich zu gewährleisten, aber dass wir auch alles daran setzen, um die Wirtschaftskraft unserer Unternehmen zu stärken.« Zugleich drohte die Kanzlerin bereits, dass das EU-Beihilfeverfahren die gesamte deutsche Debatte über eine ­Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) prägen werde. Man werde Rücksicht auf die Wünsche der EU-Kommission nehmen müssen. Es ist also damit zu rechnen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter gebremst wird.