In Berlin wurde der erste deutsche Cyborg-Verein gegründet

Willkommen im Club

Cyborgs und Menschen, die das Thema spannend finden, haben einen Verein gegründet. Es geht ihnen unter anderem um Cyborg-Rechte. Die technologische Entwicklung wird mit kritischem Optimismus betrachtet.

Mit der Berliner C-Base, einer laut Selbstdarstellung »4,5 Milliarden Jahre alten Raumstation«, war das Setting gut gewählt, als Mitte Dezember der erste deutsche Verein von und für Cyborgs zur Gründungsversammlung lud. Rund ein Dutzend Cyborgs und am Thema Interessierte kamen. Im futuristischen Ambiente der C-Base konnte man zwar noch nicht der nächsten Stufe der Evolution beziehungsweise Postevolution begegnen, dafür aber Menschen, die von der nahen Zukunft sehr viel in Sachen Verschmelzung von Mensch und Technik erwarten. Eine Entwicklung, die der Verein kritisch, aber mit »bejahender Grundhaltung« fördern und begleiten will, durch praktische Biohacking-Selbstversuche ebenso wie durch politische Lobbyarbeit für »Cyborg-Rechte«. Das Wort »spannend« fällt in den Gesprächen am Rande der Veranstaltung sehr oft.

Zur ordentlichen Durchführung der Gründungsversammlung – das deutsche Vereinsrecht gilt auch für Cyborgs – werden Stimmkarten vom Landesparteitag 2011 der Piratenpartei Berlin aufgebraucht, und auch so einiges bei der Piratenpartei Erlerntes über Tagesordnungen und sonstige Formalien kommt zum Einsatz. Allerdings ist das Verhältnis zur Partei ambivalent. Neben einigen aktiven sind auch ehemalige Piraten-Mitglieder anwesend, die wegen der parteiinternen Debattenkultur und dem Umgang mit Sexismus oder Antisemitismus ausgetreten sind. Vom rohen Umgangston der Internet-Debatten ist bei dem Treffen aber nichts zu spüren und mit der Satzung wird einmütig beschlossen, dass der Vorstand »aus zwei Vorsitzenden, von denen eine_r kein Cis-Mann sein darf«, bestehen soll.
Gefragt, wie sie auf das Thema aufmerksam wurden, nennen viele den Sprinter Oscar Pistorius, der beim Internationalen Sportgerichtshof seine Olympia-Teilnahme mit Fußprothesen erstritt, und den Künstler Neil Harbisson, der Farben nicht sehen, aber mit einem »Eyeborg« genannten Sensor in Töne umgewandelt hören kann – alles »superspannend«. Harbisson durfte sich samt Eyeborg für seinen britischen Pass ablichten lassen und gilt damit als erster staatlich anerkannter Cyborg. Ein »Schritt in die rich­tige Richtung«, findet Gründungsmitglied und Philosophiestudentin Charlotte, da Cyborgs nicht wegen Dingen, die »zu ihrem Körper dazugehören«, diskriminiert werden dürften. Cyborg-Technik fordert für sie nicht nur unsere Vorstellung vom Körper heraus, sondern auch die von Ethik: »Was macht dich zum Menschen, was unterscheidet Menschen von Tieren, Pflanzen oder Robotern? Cyborgism kann helfen, diese vermeintlichen Grenzen aufzubrechen.«

Stefan studiert an der Technischen Universität und hat vor allem Lust auf »geile Projekte«: »Es ist der Ansatz unserer Gruppe, dass wir Fakten schaffen wollen, devices entwickeln und nach Möglichkeit implantieren, und dabei nicht aufhören, sondern damit eine gesellschaftliche Diskussion starten.« Er meint, es sei eine »gute Grundlage, an sich selbst zu beginnen und die Erfahrungen dann weiterzugeben, um dadurch Gedanken anzustoßen«. Stefan hat einen kleinen Magneten im Ringfinger implantiert, mit dem er elektromagnetische Felder spüren kann. Neben dieser sensorischen Erweiterung könnte der Magnet auch zur Steuerung eines Smartphones dienen, das dazu nicht einmal aus der Tasche geholt werden müsste. Das Ergebnis wäre ein »natürlicherer Umgang mit externen devices«, wie er sagt. Faszinierend findet er die Idee eines »Social Network auf Cyborg-Ebene«. Brain-Computer-Interfaces könnten »Hirnströme auswerten, um sie auf ­soziale Implantate anderer Menschen zu übertragen. Jemand anderes spürt automatisch, wenn ich mich etwa erschrecke.« Soll Technik hier verlorene soziale Kompetenzen ersetzen? Nein, meint Stefan, vielmehr könnte eine solche Verknüpfung durch Technik dazu dienen, »räumlich begrenzte Empathie-Grenzen zu brechen« und »Schwarmintelligenz« bis hin zu einem »komplett neuen Bewusstsein« zu schaffen. Riskant ist für ihn solche Technik vor allem durch das »kapitalistische System«, denn in diesem »besteht die sehr hohe Gefahr, dass die Daten, die wir automatisch über uns produzieren, durch Geheimdienste oder Privatkonzerne auf eine Weise verwendet werden, die wir nicht wollen«.

Es zeichnet sich schon ab, dass es nicht Implantate, sondern zunächst Geräte der »augmented reality« (erweiterte Realität) wie die Datenbrille »Google Glass« sein werden, an denen sich Debatten und Konflikte entfachen. Glass-Träger wurden angeblich bereits angegriffen, an manchen Orten wird ihnen der Eintritt verwehrt. Doch worin besteht überhaupt das qualitativ Neue dabei? »Wenn ich eine Brille trage, sehe ich schärfer, wenn ich Google Glass trage, sehe ich mehr Informationen«, meint Daniela. Und David erinnert sich noch heute an den Moment, in dem er im Alter von vier Jahren eine Brille aufsetzte und plötzlich scharf sehen konnte: »Ich stelle mir vor, dass wir uns genau solche Effekte, die durch Anreichern unserer Sinne mittels extensions und enhancements möglich sind, selbst versagen, wenn wir uns davon abkapseln, bloß weil Dinge elektronisch sind und Daten anfallen.« Er geht davon aus, dass eine herkömmliche Brille ihm irgendwann nicht mehr hilft, wenn sich seine Sehkraft weiter im selben Tempo wie bisher verschlechtert, und hofft auf ein elektronisches Implantat. Er tritt für »kritischen Optimismus« statt »vorurteilsbehafteten Pessimismus« ein, sieht aber auch Menschen in IT-Berufen in der Pflicht, »sich damit auseinanderzusetzen, wie sie die Gesellschaft prägen. Es gibt in diesen Professionen dafür deutlich zu wenig Bewusstsein. Es gibt Leute, die Software für die NSA entwickeln.«
Lara, die bei der Gründungsversammlung Protokoll führt, hält im anschließenden Gespräch »alles für prinzipiell legitim, was Menschen mit ihrem eigenen Körper und ihren Prothesen machen«, fürchtet jedoch Verbote durch die gegenwärtige Regierung, der sie »Konservatismus und reaktionäres Verhalten gegenüber technologischen Sachen« attestiert. Doch sie ist überzeugt: »Hacken kann man nicht unterbinden. Es wird immer Hacker geben, Menschen, die sich anders mit Dingen beschäftigen, als es ursprünglich geplant war. Jedes System ist irgendwie hackbar, und das ist auch gut so.« Tatsächlich illegal sollten jedoch »Hacking-Varianten sein, die Eingriffe von Dritten und Deaktivierung von Implantaten ermöglichen« oder »Bein-Prothetik, mit der Gebiete nicht betreten oder verlassen werden können«.
In ihrer ersten Stellungnahme nach Gründung hat sich Cyborgs e. V. jüngst strikt gegen den »Einsatz von Cyborg-Technologien zu militärischen Zwecken« und gegen »Zwangs-Cyborgisierung« von Menschen und Tieren ausgesprochen. Tatsächlich experimentiert das US-Militär bereits seit einigen Jahren mit elektronisch manipulierten Insekten und Mäusen, um sie zur Spionage oder Zielfindung einzusetzen. »Wir meinen, Technologie soll der Emanzipation des Individuums dienen und nicht seiner Unterdrückung.« Der alte Konflikt zwischen Hacker-Idealen und der hegemonialen Nutzung von Computertechnologie in einer kapitalistisch und nationalstaatlich verfassten Welt geht in eine neue Runde.

Der Verein im Internet: www.cyborgs.cc