Die Redtube-Affäre und ihre Folgen

Digitale Grauzone

Die Redtube-Abmahnungen werfen komplexe rechtliche Fragen auf. Die Antworten werden erhebliche Auswirkungen für alle Internetnutzer haben.

Das Wort Verunsicherung beschreibt die Reaktionen auf die Abmahnungswelle im Zusammenhang mit der Pornoseite Redtube ziemlich gut – zumal nicht nur Internetnutzer, sondern auch Experten für Recht und Internetmedien keineswegs wussten, wie die Flut an Anwaltsschreiben überhaupt eingeordnet werden sollte. Dass versucht wurde, aus dem Anschauen eines Stream die Erstellung einer digitalen Kopie und damit eine Urheberrechtsverletzung zu konstruieren, war der Vorstoß in eine Grauzone, die so diffus ist, dass eine Klärung der rechtlichen Lage sehr schwierig werden dürfte, aber auch große Auswirkungen auf die Art und Weise haben könnte, wie das Internet von den Menschen genutzt wird.
Neu an den Redtube-Abmahnungen ist, dass es um die Nutzer eines Videostreaming-Angebots im Internet geht und eben nicht um die Betreiber. Selbst bei dem bisher größten Prozess um einen Videostreaming-Anbieter, die Website kino.to, im Juni 2011 wurden bisher nur die Betreiber und Programmierer der Seite haftbar ­gemacht, obwohl dort Videos auch heruntergeladen werden konnten. Die Lobbyorganisation Respect Copyrights – bekannt durch Werbespots in Kinos und auf DVDs mit der Parole »Raubkopierer sind Verbrecher« – wird zwar nicht müde, die Auffassung zu verkünden, dass das Anschauen von Streams auf Seiten wie kino.to verboten ist. Klagen und Prozesse gegen User wurden allerdings nicht angestrengt – trotz der damals täglich 200 000 Besucher des Streamingportals.
Die Schwierigkeit bei der Beurteilung der Redtube-Abmahnungen liegt in der Definition, ob ein Datentransfer erlaubtes Streaming ist oder es sich dabei bereits um die Erstellung einer Kopie auf der eigenen Festplatte und damit um einen klassischen Download handelt. Rein technisch gesehen sind beide Vorgänge gleich: Der Computer eines Nutzers ruft bei einem Server eine Adresse auf und bekommt daraufhin einen Datenstrom geliefert. Bei einem Download landen die empfangenen Daten zunächst im Arbeitsspeicher, von dort werden sie dann automatisch als Datei an der vom Nutzer festgelegten Stelle auf der Festplatte oder aber automatisch im Download-Verzeichnis gespeichert. Bei einem Stream landen die Daten ebenfalls im Arbeitsspeicher und werden wiedergegeben, aber zugleich meistens auch in einem temporären Ordner oder mehreren auf der Festplatte gespeichert – letzteres geschieht allerdings, ohne dass es dem Nutzer mitgeteilt wird.
Die meisten Browser legen Daten für das Anzeigen einer Website – also die Website selbst, die darauf enthaltenen Bilder, eingebettete Videos oder andere Elemente – grundsätzlich in einem temporären Ordner ab, weil eine gerade besuchte Seite oft erneut aufgerufen wird, zum Beispiel bei Benutzung des Zurück-Buttons des Browsers. So kann die Seite wesentlich schneller wieder angezeigt werden, als wenn alle diese Elemente erneut aus dem Internet heruntergeladen werden müssten, und zusätzlich wird dabei auch noch Bandbreite beim Datenverkehr gespart.

Weil Videos zu den größeren Dateien gehören und das Ansehen von Videos auch vom Nutzer beeinflusst werden kann – er kann vor- und zurückspulen und auch noch einmal von vorne beginnen –, ist dieses Zwischenspeichern besonders effektiv. Zusätzlich wird das Ablegen auf der Festplatte aber auch noch für den Aufbau eines Puffers benutzt. So kann der Film weiter laufen, auch wenn es zu einer kurzen Unterbrechung des Datenstroms kommt, ohne dass der Filmkonsument davon etwas mitbekommen muss.
Das Problem im Redtube-Fall besteht nun darin, dass durch das Zwischenspeichern eine Videodatei auf der Festplatte vorliegt, wenn auch eben nur in temporären Ordnern. Weil Betriebssystem und Browser häufig unabhängig voneinander einen Cache des Internetverkehrs anlegen, können die Daten sogar in mehreren Foldern gespeichert worden sein, was für die rechtliche Frage ­jedoch unerheblich sein dürfte. Wichtig ist, dass das Betriebssystem den Cache – wie diese temporären Dateien genannt werden – normalerweise bei einem Neustart des Computers löscht, der Browser aber nicht. Denn wenn ein moderner Browser neu gestartet wird, erwartet der Nutzer schließlich, dass die in der letzten Sitzung geöffneten Tabs wieder anzeigt werden, damit nahtlos weitergesurft werden kann, wofür die temporär abgelegten Dateien gebraucht werden. Letztlich verschwinden sie von dort nur, wenn der Cache manuell gelöscht wird oder der Cache immer wieder voll war und die Videodateien irgendwann als die ältesten noch gespeicherten automatisch überschrieben werden.
Ein User könnte zwar versuchen, eine solche Videodatei aus den temporären Verzeichnissen herauszukopieren, bevor sie wieder aus dem Cache entfernt wird. Doch in den meisten Fällen sorgen die Anbieter dafür, dass dies nicht so ganz einfach ist, denn sie haben ja ein Interesse daran, dass man die Website wieder besucht, falls man das Video noch einmal sehen möchte, weil sie auch durch die dortigen Werbeeinblendungen verdienen. Oder weil sie Verträge mit Rechte­verwertern wie der Gema haben, die solche Maßnahmen vorschreiben. Da aber zumindest der Webbrowser die Daten aus dem Cache zur Anzeige eines Videos nutzen muss, wird es immer Möglichkeiten geben – zum Beispiel mit einem Browser-Plugin –, dieses Video auch zu speichern.

Die Grenzen zwischen Streaming und Download sind also allein wegen der technischen Ähnlichkeit des Vorgangs nur sehr schwer zu ziehen. Hinzu kommt noch, dass es nicht nur eine einzige Methode des Streaming gibt. Es werden viele unterschiedliche Formate mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen benutzt. So unterscheiden Technikexperten innerhalb des Streaming zwischen echten Streams und einem sogenannten progressive download. Als Stream werden dabei nur reine Livestreams bezeichnet, also praktisch ein Internetradio oder ein Internetfernsehen, bei dem man lediglich hören oder auch sehen kann, was gerade gesendet wird, aber keine Möglichkeit hat, zurück- oder vorzuspulen oder das Abgespielte anzuhalten.
Ein progressive download ist dagegen laut Definition alles, was on demand abgerufen werden und was man auch mehrmals ansehen oder bei dem man an eine bestimmte Stelle springen kann, in welcher Form auch immer. Diese Unterscheidung kann gemacht werden, weil bei Livestreams ohne eine Funktion der Wiederholung eben gar kein Grund besteht, alte Sequenzen weiter im Speicher zu behalten, sie werden keinesfalls später benötigt. Technisch gesehen ist diese Differenzierung zudem sinnvoll, weil für Livestreams eine eigene Übertragungstechnik entwickelt wurde, das sogenannte Multi-Casting. Dabei werden die Datenpakete vom Server nur ein einziges Mal verschickt, adressiert an alle bei dem Server angemeldeten Konsumenten. Jeder bekommt also das gleiche Datenpaket wie alle anderen, die gleichzeitig mitschauen.
Allerdings gibt es dieses Multi-Casting so gut wie nicht – viele Internetrouter unterstützen die Weiterleitung eines Paketes an mehrere Empfänger einfach nicht. Damit bleibt diese Technik auf Dienste beschränkt, die manche Internetprovider für ihre eigenen Kunden anbieten. Alle Websites mit eingebetteten Videos fallen dadurch jedoch unter die Definition des progressive download – und das Wort Download wird eben sehr viel eher mit der Erstellung einer Kopie gleichgesetzt, als das Wort Streaming.
Wenn nun aber aufgrund der Definition als progressive download anstatt als Stream eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, dann ist man als Internetnutzer praktisch ständig in Gefahr, eine Urheberrechtsverletzung zu begehen, sobald man eine Website ansteuert. Denn man weiß ja vorher nicht, was sich denn nun eigentlich am angesteuerten Ziel neuerdings auf der Startseite befindet und damit in den temporären Dateien landet.
Zusätzlich zu der technischen Argumentation wurde bei den Redtube-Abmahnungen jedoch auch noch darauf hingewiesen, dass es sich bei den Videos um eine »offensichtlich rechtswidrig« hergestellte Vorlage handele. In den nur auf Englisch vorliegenden Nutzungsbedingungen der Streaming-Plattform wird darauf hingewiesen, dass Nutzer nur Material hochladen dürfen, für das sie auch die Rechte besitzen, ganz ähnlich wie bei Youtube. Deshalb wirft dieser Punkt noch mehr Fragen auf als die technischen Probleme, denn ab wann eine Quelle »offensichtlich rechtswidrig« ist und damit auch das Ansehen eines Streams zu einer Urheberrechtsverletzung wird, kann der normale Nutzer nicht mehr beurteilen.
Doch die Klärung der technischen Frage hätte noch viel weitergehende Auswirkungen. Denn nicht nur Videos – oder auch Stückchen von Videos – landen im Cache, sondern auch auf Websites eingebettete Bilder und Texte. Wenn der progressive download von Videos als Urheberrechtsverletzung gelten kann, sobald jemand ein Video auf einer Website eingebunden hat, dann gilt dies im gleichen Maße auch für Bilder oder Texte. Denn auch die Website selbst und die Bilder landen als Kopie vom Server im Cache. Macht sich dann also auch jemand strafbar, der online Zeitungsartikel liest oder die notorischen Foto-Klickstrecken der großen Internetangebote betrachtet?
Für die meisten Betroffenen der Redtube-Abmahnungen mag die Frage, wie die Anwälte überhaupt an ihre Daten gekommen sind, derzeit am wichtigsten sein. Für Internetnutzer allgemein ist es allerdings weit dringlicher, dass geklärt wird, wie Urheberrechte im Hinblick auf (nicht aktiv vom Nutzer betriebenes) Zwischenspeichern von Daten juristisch beurteilt wird.