Berlin Beatet Bestes. Folge 224.

Letzte Rettung vor dem Mülleimer

Berlin Beatet Bestes. Folge 224. Orchester der Musik-Schule Warndt: Düsenjägerpopcorn (1969).

Das neue Jahr hat kaum begonnen, da ruft eines Abends auch schon Franky an. Er ist gleich in der Nähe und ich soll runterkommen, wenn er klingelt. Zehn Minuten später blicke ich in den geöffneten Kofferraum seines Autos, einige hundert Schallplatten befinden sich darin. Ein Bekannter von Frankys Eltern hatte gehört, dass er sich für Platten interessiert, und ihm seine Sammlung überlassen. Nur unter der Bedingung, dass er ohne Ansicht auch wirklich alle LPs und Singles mitnimmt. Ich soll beim Sichten helfen.
Jetzt stehen wir mit kalten Fingern im Dunkeln und sortieren. Schnell ist klar: Das meiste ist nicht zu gebrauchen. Wie zu befürchten war, denn der Bekannte hatte nicht ohne Stolz bemerkt, dass er in den Siebzigern eine Zeitlang DJ war. Tatsächlich ist hier die übliche Massenware aus Schlager und Pop-Hits vor uns ausgebreitet. Dennoch neugierig, holen wir tief Luft und legen los. Im Nu hatten wir uns durch 20 Single-Sammelalben gearbeitet. Natürlich waren kein Rock, Beat und auch kein Soul, überhaupt gar nichts Cooles dabei. Es war alles nur reiner Müll. Ohne zu zögern begann Franky nun, die Singles herauszuziehen und die leeren Albencover in die nächstgelegene Mülltonne zu stopfen. »Ah, warte mal, vielleicht sind da noch ein paar gute dabei!« meinte ich vorsichtig. Aber Franky stopfte fleißig weiter. Und fuhr wenig später auch schon wieder los, um den Rest zu entsorgen.
Nur eine Handvoll seltener Singles konnte ich noch rechtzeitig dem Weg in den Mülleimer entreißen:

Mike & Tom: »Mädchen komm heute Nacht nah zu mir«/ «Hey, mein Mädchen von der Spree« (WBL Records, 1975). Während auf der ­A-Seite eine schlaffe, auf Deutsch gesungene Schlagerversion von Johnny Rays 1957er Hit »Yes Tonight Josephine« zu finden ist, fetzt das Cover von Christian Benschs »Mädchen von der Spree« richtig. Das Label WBL ist seit 40 Jahren auf Regionalkünstler spezialisiert.
Die Freudenspender: »Bums dich fit«/«Das hat schon die Eva beim Adam probiert« (Metronome, 1973). Nur deshalb interessant, weil von Kult-Illustrator Heinz Dofflein gezeichnet, der für das Metronome-Label viele Cover von Krautrockbands gestaltete.
Orchester der Musik-Schule Warndt: »Düsenjägerpopcorn« und »Manuela«/«Fiesta Mexicana« (MSW/Privatpressung). »Düsenjägerpopcorn« beginnt mit dem Geräusch eines startenden Düsenjägers und mündet in eine Akkordeonorchester-Version von Gershon Kingsleys elektronischem Instrumentalhit »Popcorn« aus dem Jahr 1969.
Tambouraschen-Chor Wellebit: »Einigkeit«/ Wellebit-Kolo«/«Discretion«/»Kroatische Polka« (Kontra/Privatpressung, 1967). Die Tambura ist ein Zupfinstrument. Die 1902 in Berlin von Kroaten gegründete Gruppe probt noch heute jeden Donnerstag im Restaurant »Zum Kegel« im Berliner Stadtteil Tegel.
HiFi-Demo: »Unipolar 2000« (Sennheiser, 1977). Direktschnitt-Platte für HiFi-Nerds, um die Klangqualität der High-End-Kopfhörer von Sennheiser mittels Gaetano Donizettis »Sonata ­F-Dur für Flöte und Harfe« zu testen. Schnarch.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.