Antisemitismus in europäischen Stadien

»Dortmund ist Nazi«

Das Simon Wiesenthal Center veröffentlichte auch für das Jahr 2013 seine Rangliste der weltweit schlimmsten Antisemiten. Auf Platz 10 rangieren die europäischen Sportstätten – der deutsche Fußball wird in den Beispielen nicht genannt.

Anhand von einigen Beispielen illustriert das Simon Wiesenthal Center (SWC) die rassistischen und antisemitischen Hassgesänge und Übergriffe in den unterschiedlichsten europäischen Sportarten und Sportstätten. Außer einer Hakenkreuz-Choreographie während eines Eishockeyspiels in Lettland kommen alle weiteren Beispiele aus dem Bereich Fußball: Als die israelische Nationalmannschaft im August in Ungarn spielte, riefen die ungarischen Fans in Sprechchören »dreckige Juden«, »Buchenwald« und »Viva Mussolini«. Ein Redakteur des ungarischen Privatsenders ATV stellte dazu fest, die antisemitischen Ausfälle seien nicht nur von wenigen »Verrückten« ausgegangen, sondern vom »ganzen Haufen« der Anhänger des ungarischen Teams. Ein weiterer Fall betrifft den ehemaligen Bundesligaspieler Josip Šimunić aus Kroatien. Nach dem Erfolg im WM-Qualifikationsspiel gegen Island im November vorigen Jahres griff der 35jährige Profispieler zum Mikrophon und brüllte: »Za Dom!«, woraufhin ein Teil der Zuschauer mit »Spremni!« antwortete. »Für die Heimat« – »Bereit!«, so die Übersetzung, war während des Zweiten Weltkrieges der offizielle Gruß des faschistischen Regimes Kroatiens. Šimunić wurde von der FIFA für zehn Spiele gesperrt.
Leider weist die Aufzählung der antisemitischen Vorfälle für das Jahr 2013 des Simon Wiesenthal Centers Fehler auf. Die antisemitisch motivierten Angriffe auf die Fans der Tottenham Hotspurs während eines Auswärtsspiels in Rom ereigneten sich im Jahre 2012. Unverständlich ist außerdem, wieso sich kein einziges Vorkommnis aus Deutschland in der Liste findet, obwohl der Chronik »Diskriminierung im deutschen Fußball 2013« von »Fußball gegen Nazis« zufolge gerade antisemitische Attacken im vergangenen Jahr »eine besorgniserregend hohe Stellung« einnahmen. Die 2013 ausgestrahlte ARD-Dokumentation »Antisemitismus heute. Wie judenfeindlich ist Deutschland?« beginnt mit einem wackligen Videoausschnitt des Regionalligaspiels Eintracht Frankfurt Amateure gegen Kickers Offenbach. Darin zu sehen und vor allem zu hören ist, dass beinahe der ganze Offenbacher Auswärtsblock »Judenschweine« in Richtung der Eintracht-Fans ruft und mehrfach die Parole »Zyklon B für die SGE« intoniert. »Die größten Hassgegner eines Vereins werden mit ›Jude‹ begrüßt, also als das schlimmste erdenkliche Schimpfwort, das denen einfällt für ihren Erzfeind«, erklärte Felix Benneckenstein, der ehemalige rechte Liedermacher und Fan von 1860 München, in der Dokumentation.
Im Fußballalltag bleibt es jedoch nicht bei Beleidigungen, antisemitische Beschimpfungen gehen häufig mit physischer Gewalt einher. Im September wurden die Mitglieder der antirassistischen »Ultras Braunschweig« in Mönchengladbach aus dem Auswärtsblock geprügelt. Die Angreifer, ebenfalls Fans von Braunschweig, beschimpften ihre Opfer als »Antifahure« und »Judenfotze«. Die Reaktion des Vereins verblüfft: Er verhängte ein Stadionverbot gegen die angegriffenen Ultras.
Im Anschluss an das Oberligaspiel zwischen dem VfL Halle 96 und den Amateuren des Halleschen FC griff im selben Monat ein gutes Dutzend Schläger aus dem Umfeld der »Saalefront Ultras« abreisende Fans des VfL an, die vorher als »Juden« beziehungsweise »scheiß Zecken« bezeichnet wurden. Ein Jugendlicher musste mit Brüchen im Gesicht ins Krankenhaus. Und in Aachen griffen im November 15 Hooligans mit Knüppeln und Flaschen eine Solidaritätsdemonstration für Flüchtlinge an. Den Angegriffenen zufolge bezeichneten die Hooligans sie als »Juden« und »Judenschweine« (Jungle World 47/13).
Die Täter sind vernetzt: Organisierte Neonazis und Hooligans aus ganz Deutschland sollen sich Spiegel Online zufolge Anfang 2012 zusammengefunden und unter dem Motto »Kameraden im Geiste. Viele Farben, dennoch eine Einheit« ein bundesweites Bündnis mit dem Namen »GnuHonnters« (»New Hunters«) geschlossen haben. Eingeladen zum ersten Treffen hatte die altbekannte »Borussenfront«, deren Anführer, Siegfried »SS-Siggi« Borchardt, gleichzeitig auch Vorsitzender des Dortmunder Kreisverbandes der Partei »Die Rechte« ist. In ihrem Manifest sagen die »GnuHonnters« den antirassistischen Ultras in Deutschland den Kampf an: Ziele sind die »Herstellung alter Werte«, »Keine Antifa im Stadion« und »Meinungsfreiheit zurückgewinnen«. Womit nichts anderes gemeint ist als die Verdrängung explizit nicht-rechter Fangruppen aus den Kurven, letztlich also die Wiederherstellung der weitgehend verlorenen Vormacht rechter Hooligans im Stadion.
Anfang 2013 wurden zwei Mitarbeiter des BVB-Fanprojektes beim Auswärtsspiel in Donezk brutal attackiert. Die Angreifer schrien während der Prügelorgie: »Dortmund bleibt rechts« und »Dortmund ist Nazi«. Die Taktik ist so einfach wie erfolgreich, Bedrohungsszenarien sollen kritische Fans langfristig vertreiben. In Offenbach ist dies bereits gelungen, dort haben rechte Anhänger das Gewaltmonopol in der Kurve inne, weil neben dem Verein auch viele gemäßigte Fans stillhalten. In Aachen, Rostock und Dresden zogen sich – nach heftigen Angriffen – antirassistische Ultragruppen aus den Kurven zurück. In Essen verhinderten rechte Hooligans mittels der Androhung von Gewalt eine Vorführung des Dokumentarfilmes »Blut muss fließen« über die Rechtsrock-Szene. Und in Duisburg wurden die linken Ultras erst Ende Oktober 2013 Opfer eines Angriffes rechter MSV-Anhänger.
Weil Medien bei unterklassigen Spielen kaum präsent sind, bleibt unklar, wie viele Vorfälle sich in den Niederungen des Amateurfußballs ereignen. Erst die Präsenz antirassistischer Ultragruppen ermöglicht die Erfassung antisemitischer, rassistischer und homophober Vorfälle, wie zwei Beispiele aus Niedersachsen zeigen. Beim Spiel gegen die Amateure von Hannover 96 im Oktober staunten die Ultras vom VfB Oldenburg darüber, dass die gegnerischen Fans mit einer Hamas-Fahne posierten. »Den scheinbaren Wortwitz aus ›H’annover ›AMA’teure’S‹ haben wir ja verstanden, aber wir fragen uns, ob dieser es wert sein kann, sich selbst in die Nähe einer antisemitischen, radikal-islamistischen Terrororganisation zu rücken«, schrieben die Oldenburger Ultras daraufhin in ihrem Blog. Einen Monat später mussten Goslarer Ultras die Verbalinjurien von Havelser Fans über sich ergehen lassen: »Als die Gästefans an unserem Block vorbeikamen, suchten sie ohne zu zögern die Konfrontation und beleidigten uns unter anderem als ›Antifafotzen‹, ›scheiß Juden‹, ›scheiß Schwuchteln‹ und versuchten das Ganze schließlich mit der Aussage ›Wir sind keine Rassisten, ihr scheiß Zigeuner‹ zu relativieren.« Beide Vorfälle werden weder in der lokalen Presse noch in den Chroniken antirassistischer Organisationen erwähnt.