Die fremdenfeindliche Rhetorik der CSU

Das Wir entscheidet

Die von der CSU initiierte Debatte um Zuwanderung aus Südosteuropa ist von Antiziganismus geprägt.

Drei Monate Zeit habe, wer aus Bulgarien oder Rumänien nach Deutschland kommt und Arbeit sucht, glaubt der künftige WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. Finde er oder sie in dieser Zeit keinen Job, müsse er oder sie eigentlich das Land verlassen, sagte er im »Presseclub« in der ARD. »Wo ist da der wehrhafte Staat?« fragte Schönenborn, suggerierend, dass diese Leute das Land eben nicht verlassen. Der »Presseclub« zum Thema »Der Streit um die Armutszuwanderung: Stammtischparolen oder berechtigte Sorgen?« ist Teil der seit Wochen andauernden Diskussion um die Zuwanderung aus Südosteuropa. Die Ideen und das Vokabular, die in dieser Debatte auftauchen, sind beängstigend. Verdeckt, aber mit einer frappierenden Zielgenauigkeit schüren nicht nur Rechtspopulisten Ressentiments gegen Roma.

Seit dem 1. Januar gilt für Menschen aus Bulgarien und Rumänien die volle Freizügigkeit in der Europäischen Union. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und andere haben bereits im vorigen Jahr eine Kampagne gegen die angeblich drohende Armutszuwanderung aus diesen Ländern initiiert. Einen gewaltigen Schub hat diese Kampagne durch ein Papier bekommen, das die CSU Anfang Januar bei ihrer traditionellen Klausurtagung in Wildbad Kreuth beschlossen hat. »Keine Armutsmigration in die Kommunen begünstigen: Wir stehen zur Freizügigkeit in der EU. Eine Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme lehnen wir jedoch ab«, heißt es in dem Papier. Die CSU möchte »Sozialmissbrauch« verhindern. In den ersten drei Monaten des Aufenthalts in Deutschland sollen nichtdeutsche EU-Bürger keine Sozialleistungen bekommen, fordern die Christsozialen. Das allerdings ist bereits geltende Rechtslage. Auch nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland haben Zugereiste keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Nur wer einen Arbeitsplatz hat und weniger als das Existenzminimum verdient, kann dann Aufstockerleistungen beantragen.
Wer beim »Sozialbetrug« erwischt wird, soll nach dem Willen der CSU nach der Ausweisung nicht wieder in die Bundesrepublik zurückkommen dürfen. »Wer betrügt, der fliegt«, heißt es dazu in dem in Wildbad Kreuth verabschiedeten Papier. Eifrige Unionspolitiker haben sich auch schon Gedanken dazu gemacht, wie man das umsetzen könnte. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brock fordert die Registrierung von Fingerabdrücken. »Zuwanderer, die nur wegen Hartz IV, Kindergeld und Krankenversicherung nach Deutschland kommen, müssen schnell zurück in ihre Heimatländer geschickt werden«, forderte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament.
Die, um die es geht, werden in dem CSU-Papier und in der öffentlichen Debatte erstaunlich selten benannt. Das war schon bei der Resolution zahlreicher Kommunen an die damals noch schwarz-gelbe Bundesregierung der Fall, in der Städte wie Köln behaupteten, es würde ab 2014 zu einem großen Zustrom von Menschen aus Bulgarien und Rumänien kommen. In offiziellen Reden, Beschlüssen und Resolutionen ist stets von »Armutszuwanderern« die Rede – obwohl vollkommen klar ist, dass es um die Aufnahme von Roma geht. »Seit Mitte 2012 wurde der Begriff ›Armutszuwanderer‹ in der Öffentlichkeit gleichgesetzt mit dem Begriff ›Roma‹«, sagte der Antiziganismus-Forscher Markus End im Interview mit der Deutschen Welle. »Dadurch wurden Roma die Eigenschaften zugeschrieben, die man den sogenannten Armutszuwanderern zuschrieb: Sie wurden pauschal als faul und als Sozialschmarotzer bezeichnet.« Antiziganismus prägt die Debatte um Zuwanderung, stellt End fest. Auch dann, wenn keine Rede von Roma ist.

Vor allem der Satz »Wer betrügt, der fliegt« hat für viel Empörung bei Vertretern von Wohlfahrts- und Wirtschaftsverbänden, Politikern der Linkspartei, der Grünen und auch der SPD gesorgt. »Aber auch die Kritik an diesem Spruch kann dazu führen, die Vorurteile gegen Roma zu verstärken«, stellt End fest. »Die Kritik lautet im Kern, die meisten Migranten aus Rumänien und Bulgarien seien gar keine Armutszuwanderer, sondern qualifiziert oder hoch qualifiziert. Danach ist die Rede von Brennpunkten mit Problemen.« In Zeitungsberichten, Nachrichtensendungen und auf Internetseiten ist zu beobachten, was End beschreibt: Experten führen auf, dass der größere Teil der mutmaßlichen Zuwanderer bestens ausgebildet sei, darunter sehr viele Akademiker. Zur Jahresmitte 2013 seien nur 0,6 Prozent der Hartz-IV-Bezieher aus Rumänien und Bulgarien gewesen, ist überall zu lesen und zu hören. In der öffentlichen Diskussion gibt es die guten – die hoch qualifizierten – und die schlechten – die armen – Zuwanderer. Die »guten« sind willkommen, die »schlechten« nicht. Die Folge ist: »Migranten aus Rumänien und Bulgarien, die tatsächlich arm oder marginalisiert sind, sind umso stärker von Ausgrenzung und Rassismus betroffen, Roma, aber auch Nicht-Roma«, konstatiert End.
Die Empörung über das aktuelle Papier der CSU ist groß. »Quartalsrassismus« wirft der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, der CSU vor. Die Union schüre Ängste und Misstrauen, erklärt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Der SPD-Linke Ralf Stegner spricht von »Hetzparolen« der CSU. »Wir wissen, dass ganz viele, die zu uns kommen, Fachkräfte sind, die wir dringend suchen«, sagt er. »Deswegen, glaube ich, geht es um etwas ganz anderes. Man versucht, Vorbehalte zu formulieren, Ängste zu schüren mit Blick auf die bayerischen Kommunalwahlen und die Europawahlen.« Gleichzeitig gibt es in der SPD jene, die in die CSU-Kampagne einstimmen. »Wir können nicht leugnen, dass es in manchen Städten Probleme gibt mit einer kleinen Minderheit, die nicht oder schwer integrierbar ist und sich nicht verantwortungsbewusst verhält«, sagte der SPD-Europapolitiker Martin Schulz. Das Thema dürfe nicht »Rechten und Populisten« überlassen werden. Das ist ein bekanntes Argument von Sozialdemokraten, wenn sie, wie bei der faktischen Abschaffung des Asylrechts in den neunziger Jahren, fatale Beschlüsse verteidigen.
Als eine der ersten Amtshandlungen hat die Große Koalition im Januar einen Arbeitsausschuss eingesetzt, der prüfen soll, ob und wie die Regierung gegen einen möglichen »Sozialmissbrauch« durch zugewanderte EU-Bürger vorgehen soll. Das sieht aus, als wäre es ein Erfolg der CSU-Kampagne, stand aber bereits vor deren Beginn im Regierungsprogramm. Im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU steht auf Seite 108 direkt unter der Überschrift »Armutswanderung in der EU – Akzeptanz der Freizügigkeit erhalten«: »Wir werden der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger entgegenwirken.« Zu den aufgeführten Vorhaben gehören die Verringerung von Anreizen für »Migration in die sozialen Sicherungssysteme« und befristete Wiedereinreisesperren. Über die Passage soll in dem zuständigen Unterausschuss fast einen ganzen Tag lang verhandelt worden sein. Die SPD-Unterhändler hätten den Satz »Wer betrügt, der fliegt« gerade noch verhindern können, heißt es.

Die Kampagne der CSU gegen Roma ist zugleich eine gegen die EU. Die EU hatte angeregt, Einzelfallprüfungen vorzunehmen und Sozialleistungen bestimmten Gruppen nicht generell vorzuenthalten. Das bringt CSU-Vertreter in wohlkalkulierte Rage. »Brüssel darf sich nicht in unsere Sozialsysteme einmischen«, poltert CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Das hat »Brüssel« leider auch gar nicht vor, denn die Europäische Union hat ja gerade nicht das Ziel eines einheitlichen Sozialraums mit gleichen Standards für alle. Aber darum geht es nicht. Es geht um Stimmungsmache. »Wer bei uns Hartz IV bekommt und wer nicht, das entscheiden immer noch wir. Die nationalen Sicherungssysteme sind kein Selbstbedienungsladen für Europäer, die nicht arbeiten wollen.« Für die CSU ist die aktuelle Anti-Roma-Kampagne eine genauso willkommene Hilfe für die kommenden Europa- und Kommunalwahlen wie 1999 für Roland Koch die Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) hat die CSU zum ersten Mal seit dem Niedergang der Republikaner wieder echte Konkurrenz im rechtspopulistisch-bürgerlichen Lager bei den Europawahlen im Mai und den kommenden Kommunalwahlen. Die CSU wird in den kommenden Monaten noch einiges tun, um die Kampagne anzuheizen. Von der SPD ist nicht zu erwarten, dass sie sich dem entgegenstellt.