Die Bundeswehr macht Werbung

Die Bundeswehr im Klassenkampf

800 Veranstaltungen in drei Monaten – die PR-Abteilung der Bundeswehr bemüht sich um neue Rekruten und schreckt dabei auch nicht vor Minderjährigen zurück.

»Für Euch. Mit Euch. Für Deutschland.« Das steht am Ende eines von dramatischer Musik unterlegten Werbevideos auf der Facebook-Seite »Bundeswehr-Karriere«. Wenige Szenen des Filmchens genügen, um eine Ahnung vom derzeitigen Zustand der Bundeswehr zu bekommen. Ein Bundeswehrwettlauf, ein Bundeswehrchor und eine Bundeswehrsoldatin mit ihrer Tochter werden gefilmt oder fotografiert. Anschließend wird gezeigt, wie die Bilder im Fernsehen, in der Zeitung und auf dem Smartphone aussehen. Dem Misserfolg der bisher üblichen Kampagnen, in denen das Soldatenleben als Abenteuerurlaub dargestellt wurde, versucht die Bundeswehr hier offenbar mit Pathos in verwackelten Bildern, inhaltsloser Medienspielerei und der zweimaligen Einblendung des Wortes »Deutschland« zu begegnen.

Der unbeholfene Werbeversuch zeugt vom Aktionismus der PR-Abteilung angesichts der Personalkrise der Bundeswehr nach der Abschaffung der Wehrpflicht 2011. Als reine Berufsarmee benötigt die Truppe jedes Jahr etwa 150 00 neue Rekruten. Diese zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber den Auslandseinsätzen ist groß. Offiziere beschweren sich, wie kürzlich ein Offizier namens Dominik Wullers in einem Gastbeitrag in der Zeit, über mangelnde Akzeptanz in der Öffentlichkeit und Beleidigungen. Viele Soldaten kritisieren zudem die Arbeitsbedingungen und wollen die Armee möglichst früh in den vorzeitigen Ruhestand verlassen.
Weil es aber um die Verteidigung des Vaterlands und seiner Wirtschaftsinteressen geht, soll eine Werbeoffensive den Nachwuchs zum Eintritt in die Bundeswehr bewegen. Auf Anfrage der Linkspartei gab die Bundesregierung die für dieses Jahr geplanten öffentlichen Auftritte der Bundeswehr bekannt. Der Terminkalender ist allein im ersten Quartal mit über 800 Veranstaltungen gut gefüllt. Die Armee möchte auch Minderjährige ansprechen. Diesen soll die Bundeswehr nicht nur in Arbeitsagenturen, auf Messen und Ausstellungen wie dem im Slang der Neunziger benannten »Karrieretreff Go@Future 2014« nahegebracht werden, sondern insbesondere an den Schulen.
Jährlich erreicht die Bundeswehr dort etwa 300 000 bis 400 000 Schüler ab 14 Jahren. In acht Bundesländern haben die Kultusministerien bereits Kooperationsvereinbarungen mit der Armee geschlossen. Die »Karriereberater« der Truppe wollen in den kommenden Monaten 200 Schulen besuchen, um die Bundeswehr als attraktiven und modernen Arbeitgeber zu präsentieren. Ausgenutzt wird dabei nicht nur die infantile Begeisterung für Technik, Sport und Waffen, sondern auch die Situation der Jugendlichen aus abgehängten Unterschichtsfamilien, denen eine sichere Stelle, ein hoher Sold und ein kostenloses Stu­dium in wirtschaftlichen Krisenzeiten versprochen werden.
Geplant sind zudem über 160 Schulbesuche der sogenannten Jugendoffiziere, die von den Schulen eingeladen werden, um in »sicherheitspolitischen Seminaren« als Teil des Unterrichts über die deutsche Militär- und Verteidigungspolitik zu sprechen oder mit den Schülern im Strategiespiel »Politik und Internationale Sicherheit« (»POL & IS«) militärische Interventionen zu simulieren. Die Jugendoffiziere berufen sich auf die »Erfüllung der Informationspflicht« und genießen in dieser Hinsicht die volle Unterstützung der Großen Koalition, in deren Koalitionsvertrag es heißt: »Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich.«

Ausdrücklich wollen die Jugendoffiziere nicht als Karriereberater verstanden werden, sondern als »Referenten für Sicherheitspolitik«. Wie es in ihrem letzten Jahresbericht heißt, wolle man »keine Nachwuchsgewinnung betreiben«, sondern sieht sich als Instanz für kontroverse Diskussionen. Die Debatten werden im Bericht anhand der Reak­tionen der Jugendlichen resümiert: So würden Bedrohungen wie »internationaler Terrorismus oder Migration« von den Schülern, »wenn überhaupt, nur abstrakt wahrgenommen«. Weiter heißt es: »Als Begründung für das Engagement der Bundeswehr wurden primär das wirtschaftliche Interesse an Ressourcen und sekundär sicherheitspolitische Interessen vermutet.« An der Ablehnung der Jugendlichen gegenüber Militäreinsätzen habe »auch die Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und notwendigem sicherheitspolitischen Engagement« nichts geändert.
Die Veranstaltungen der Bundeswehr an den Schulen stoßen vor allem bei Kinderschutz- und Bildungsorganisationen auf Ablehnung. So kri­tisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dass die Besuche der Jugendoffiziere »kaum Informationen über Risiken der Auslandseinsätze und getötete, verletzte oder traumatisierte Bundeswehrsoldaten sowie über die Gefahren der Konflikteskalation durch den Einsatz von Gewalt« böten. Auch kämen »Themen wie Gewaltfreiheit und zivile Konfliktlösung« nicht zur Sprache. »Stattdessen wird die Notwendigkeit militärischer Interventionen betont und ein heroisches, verharmlosendes Bild solcher Einsätze gezeichnet«, heißt es.
Andere Organisationen weisen darauf hin, dass die UN-Kinderrechtskonvention Werbung für Mi­litäreinsätze bei Kindern unter 18 Jahren verbiete. Die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes kritisiert die mangelnde politische Ausgewogenheit der Schulveranstaltungen. Denn Ausgewogenheit sei erst dann gegeben, »wenn Kritiker von Militäreinsätzen, etwa aus Friedensorganisati­onen und Friedensinitiativen, zeitgleich mit den Bundeswehrvertretern anwesend sind und die gleiche Möglichkeit haben, ihre Konzepte zu erläutern«. Etliche Organisationen fordern nicht nur deshalb, dass die Teilnahme an den Veranstaltungen zumindest freiwillig sein soll.

Bundesweit boykottieren bislang zehn Schulen jede Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und bezeichnen sich als »militärfrei«. Die Initiative »Schulfrei für die Bundeswehr« hat sich zum Ziel gesetzt, zumindest in Baden-Württemberg »langfristig alle Militärs aus Bildungseinrichtungen zu verdrängen«. Sie hat in dieser Woche in Zusammenarbeit mit der baden-württembergischen Sektion der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart eine Aktionskonferenz zu dem Thema veranstaltet. Über die materiellen Bedingungen, die manche jungen Leute eher zum Eintritt in die Bundeswehr bewegen als andere, wurde dabei nicht gesprochen. Schließlich sind es gewiss nicht die Kinder aus wohlhabenden friedensbewegten Familien in Südwestdeutschland, die »zum Bund« gehen, sondern jene aus tristen ostdeutschen Gegenden, in denen sich überdurchschnittlich viele als Soldaten verpflichten.
Dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Bundeswehr nun zur familienfreundlichen Truppe machen möchte, kommt aber möglicherweise allen entgegen: Während Soldaten zufriedener sein dürften, könnten Besuche der Bundeswehr in der Schule bald schon obsolet werden. Schließlich könnten die Jugendoffiziere in den Kasernenkitas gleich die Allerjüngsten indoktrinieren.