Frankreichs neue Wirtschaftspolitik

Auf Merkel-Kurs

In der vergangenen Woche sorgten die privaten Beziehungsprobleme von Präsident François Hollande für Schlagzeilen. Doch zumindest ein Verhältnis kriselt nicht mehr: Deutschland und Frankreich finden langsam wieder zueinander, zumindest in der Wirtschaftspolitik. Das Stichwort lautet: Wettbewerbsfähigkeit.

»Das, was der französische Präsident gestern vorgelegt hat, ist mutig. Ich bin froh über die Ankündigungen aus Frankreich«, freute sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch vergangener Woche. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz sprach von »wichtigen Aussagen«, und der Vorsitzende des Ausschusses für EU-Angelegenheiten im Bundestag, der CDU-Politiker Gunther Krichbaum, sagte Le Monde: »Besser spät als nie.« Allerdings sei er »neugierig«, ob François Hollande das auch »gegenüber den Gewerkschaften durchsetzen« könne.
Dass sich in Deutschland CDU- wie auch SPD-Politiker gegenseitig im Lob über die neue Ausrichtung der Politik von Frankreichs Präsident Hollande überbieten, kann nichts Gutes verheißen. Anlass für diesen, für deutsche Politiker recht ungewöhnlichen Sturm der Begeisterung waren Hollandes wirtschaftspolitische Ankün­digungen bei einer Pressekonferenz am Dienstag vergangener Woche. Hollande betonte dabei die Verstärkung der schon zuvor unternehmensfreundlichen Ausrichtung der französischen Regierung und signalisierte deutlich, die »Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit«, die in der gesamten EU angesagt ist, sei eines der wichtigsten Ziele seiner Regierung.
In Frankreich hat man nach dieser Ansprache einen neuen Begriff erfunden, den »Angebotssozialismus« – im Sinne einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die im Gegensatz zu einer nachfrageorientierten, keynesianischen steht. Eine vulgäre wirtschaftsliberale Vorstellung, zu der die französischen Regierungssozialisten jedoch mehrheitlich übergetreten sind.

Noch während der Regierungszeit von Premierminister Lionel Jospin, der zwischen 1997 und 2002 amtierte, zur gleichen Zeit wie Tony Blair und Gerhard Schröder, hatte Frankreich es mit einer etwas stärker regulierenden Wirtschaftspolitik versucht. Diese wollte den Marktkräften ­etwas weniger Spielraum überlassen als etwa Schröders Politik und enthielt noch einige keynesianische Versatzstücke. Der Versuch des dama­ligen deutschen Finanz- und Wirtschaftsministers Oskar Lafontaine in den ersten Monaten der Schröder-Regierung, vor diesem Hintergrund die Politik beider Länder zu koordinieren, scheiterte jedoch schnell. Mit erheblichen Widerständen aus Industrie und Banken konfrontiert, nahm Lafontaine schon Anfang 1999 den Hut.
Jospin blieb aber auch nicht konsequent bei dem Versuch, eine Wirtschaftspolitik mit etwas stärkerer »eigener sozialdemokratischer Handschrift« durchzuführen. Er blamierte sich unter anderem mit seinem Eingeständnis bezüglich Massenentlassungen erst bei Michelin und dann bei Danone, als Regierungschef machtlos zu sein. Ein Auftritt Jospins vor Danone-Beschäftigten Anfang 2002 in Evry war derart peinlich, dass er zur Wahlniederlage des sozialistischen Ministerpräsidenten beigetragen haben dürfte. Jospin scheiterte kläglich, indem er im April desselben Jahres nicht einmal in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft kam.

In den vergangenen Jahren war die in Frankreich, wie andernorts in der EU, als »alternativlos« präsentierte und durchgezogene Sparpolitik mit scharfen Tönen gegen die deutsche Europolitik kommentiert worden. Die politische und mediale Begleitmusik der Kritik an der deutschen Exportdampfwalze und »Euro-Rettungspolitik« fällt derzeit in Frankreich aber ungleich verhaltener aus als noch 2011 und 2012, als das Auftreten der deutschen Wirtschaft und Bundesregierung oft als militärisch dargestellt wurde. Die Satire-TV-Sendung »Les Guignols de l’info« ließ regelmäßig Kanzlerin Angela Merkel zu französischen Politikern im Kommandoton reden, oder Befehle von Pulten aus erteilen, die etwa Symbole des Vichy-Regimes, der Ära von Besatzung und Kollabora­tion, trugen. Diese Töne sind mittlerweile in den wichtigsten französischen Medien weitgehend verstummt.
Dazu haben mindestens zwei Faktoren beigetragen. Der eine besteht im Regierungseintritt der deutschen SPD im Dezember vergangenen Jahres, der die kritische Neigung ihrer französischen Schwesterpartei drastisch verringerte. Noch im Juni vorigen Jahres hatte der französische Parlamentspräsident Claude Bartolone seinen Parteifreund Hollande dazu aufgefordert, auf EU-Ebene »die politische Konfrontation mit Deutschland« zu organisieren. Im Dezember erklärte er nun in einem Zeitungsinterview, die Zusammenarbeit Merkels mit François Hollande und der SPD biete nunmehr »eine Chance, dass Europa der Austeritätspolitik entkommt«.

Dass innerhalb weniger Monate begonnen wird, »Chancen« zu sehen, liegt nicht nur an dem Regierungseintritt der deutschen SPD, sondern auch am Verzicht der französischen Sozialisten auf jegliche auch nur halbwegs keynesianische, »nachfrageorientierte« Politik.
Die unternehmerfreundliche Ausrichtung der französischen Regierung kam zunächst im Ende 2012 beschlossenen »Steuerkredit« für Unternehmen zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Subvention von jährlich 20 Milliarden Euro ohne überprüfbare Gegenleistung. In seiner Neujahrs­ansprache war Hollande noch einen Schritt auf die Unternehmen zugegangen und bot ihnen ­einen »Pakt der Verantwortung« an, der Nachlässe bei Steuern und Abgaben vorsieht. Davon erhoffe er sich Zugeständnisse der Unternehmen bei der Einstellung von Arbeitskräften und bei der Ausbildung.
Vergangene Woche kündigte der Präsident eine drastische Abgabensenkung für die Unternehmen bis 2017 an. Bis dahin soll der dritte Zweig des französischen Sozialversicherungssystems, neben Kranken- und Rentenversicherung, komplett umgestellt werden. Dieser dritte Zweig betrifft »Familienleistungen«, also Kindergeld, aber auch die Auszahlung von Wohngeld an Geringverdienende. Bis 2017 sollen die Unternehmensbeiträge für diesen Zweig der Sozialversicherungskassen komplett abgeschafft werden. Die abgeschafften Beiträge belaufen sich auf insgesamt 35 Milliarden Euro jährlich, davon entfällt ein Teil auf die Beiträge von Selbständigen und rund die Hälfte auf Unternehmensbeiträge.
Erneut ist keinerlei nachprüfbare Gegenleistung seitens der Unternehmen vorgesehen. Premierminister Jean-Marc Ayrault kündigte allerdings im Radiointerview am Donnerstag voriger Woche an, die Regierung werde ein observatoire, eine »Beobachtungsstelle«, für die Praktiken der Wirtschaft einrichten.
Solange Frankreich auf dieser Linie bleibt, wird man es auch in Berlin gerne als »zuverlässigen Partner« betrachten. Die französischen Gewerkschaften sind indessen desorientiert und gelähmt. Vier von acht Richtungs-Gewerkschaftsverbänden einigten sich jüngst mühsam auf ein Papier, das den »Pakt der Verantwortung« nicht grundsätzlich verdammt, aber »Gegenleistungen der Wirtschaft« verlangt. Gunther Krichbaum braucht sich jedenfalls vorläufig keine Sorgen zu machen.