Die fatalen Folgen der Austerität für die südlichen Euroländer

Aufschwung Süd

Das Schlimmste sei überstanden, erklären Politiker der südlichen EU-Länder in letzter Zeit immer wieder. Für diesen Zweckoptimismus gibt es allerdings wenig Grund. Die Folgen der derzeitigen Austeritätspolitik sind noch gar nicht absehbar. Denn nach der Krise ist vor der Krise.

Sein Lächeln wirkte optimistisch, seine Gesten signalisierten Zuversicht. Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras gab sich bei seiner Fernsehansprache an die Nation alle Mühe, seine sonst so verkniffene Miene zu überspielen. Der schwerste Teil des Weges sei zurückgelegt, lautete seine Botschaft, nun werde es mit Griechenland langsam, aber sicher wieder aufwärts gehen.
Samaras ist überzeugt, dass seine Regierung bis Ende des Jahres ohne neue Hilfszahlungen auskommen kann. Sie werde »den großen Schritt machen«, die Vereinbarungen mit der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds erfüllen und den Euro-Rettungsschirm verlassen. Griechenland kehre »wieder an die Märkte zurück« und werde damit wieder »zu einem normalen Land«, erklärte Samaras in seiner Neujahrsansprache. Er rechne für das laufende Jahr mit einem leichten Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent und sinkenden Arbeitslosenzahlen.
Wenig später klangen die Prognosen aus Griechenland schon wieder anders. »Scheidet Griechenland aus der Euro-Zone aus, könnte das sehr wohl zu einer Bedrohung für den deutschen Steuerzahler werden«, warnte der griechische Außenminister Evangelos Venizelos Anfang Januar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Griechenland benötige weiter finanzielle Erleichterungen. Zahlungsfristen sollten verlängert und Zinssätze gesenkt werden. Wenn die internationalen Kreditgeber seinem Land nicht entgegenkämen, könnte seine Regierung stürzen und Extremisten könnten die Macht übernehmen. Zugleich forderte er mehr demokratische Kontrolle der Troika. »Wem sind die Zentralbankchefs verantwortlich? Gott vielleicht?« fragte er.

Tatsächlich ist die Troika in Griechenland nach wie vor fast allmächtig. Sie entscheidet, ob Reformvorgaben eingehalten wurden und ob weitere Kredittranchen ausgezahlt werden. Ohne neues Geld wäre Griechenland innerhalb weniger Wochen pleite. Daher versuchte bislang jede griechische Regierung, die Forderungen der Troika und ihrer Vorgänger zu erfüllen. Sechs Jahre der Rezession sind der Preis dafür. Die Realeinkommen sind in dieser Zeit um 37 Prozent gesunken, während die Arbeitslosigkeit auf rund 29 Prozent gestiegen ist. Fast zwei Drittel aller Jugendlichen sind ohne Job. Selbst die Gesundheitsversorgung ist für viele Griechen nicht mehr selbstverständlich. Kein Land in Westeuropa hat ähnliche Einschnitte in Friedenszeiten hinnehmen müssen.
Auch im neuen Haushaltsplan sind weitere Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und Steuererhöhungen vorgesehen. Um die Bevölkerung auf weitere Sparmaßnahmen vorzubereiten, bleibt Samaras gar nichts anderes übrig, als Zweck­optimismus zu verbreiten, selbst wenn er diesen nur mit dünnen Indizien begründen kann. Einige ökonomische Indikatoren zeigen Verbesserungen an, was allerdings auch kein Wunder ist: Löhne und Gehälter sind so niedrig, dass sich griechische Waren wieder leichter exportieren lassen. Die extremen Sparanstrengungen haben dazu geführt, dass erstmals ein Haushaltsüberschuss erzielt werden konnte – allerdings nur, wenn man die Zinszahlungen für die Staatsschulden nicht berücksichtigt. Diese sind im vergangenen Jahr weiter gestiegen, auf rund 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Griechenlands Wirtschaft müsste dauerhaft zweistellige Wachstumsraten erreichen, um die Schulden wie geplant bis 2022 drastisch zu reduzieren. Gelingt dies, wie zu erwarten, nicht, dann nützen auch alle Sparvorhaben der Regierung nicht viel. Ihre Effekte werden von den steigenden Zinszahlungen mehr als absorbiert. Samaras’ Optimismus erinnert an einen Schiffbrüchigen auf hoher See, der sich an die erste Holzplanke klammert, die er ergreifen kann. Wohin sie treibt, ist ungewiss – ein rettendes Ufer ist jedenfalls nicht in Sicht.

In anderen Euro-Krisenländern ist die Lage ähnlich. Die spanische Regierung vermeldete vorvergangene Woche stolz ein Mini-Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent und sieht deswegen schon eine Trendwende eingeleitet. Zudem ging im Dezember die Arbeitslosenquote leicht zurück. Mit 26 Prozent gehört sie aber nach wie vor zu den höchsten in Europa.
Auch aus Irland kommen optimistische Prognosen. Mitte Dezember hatte die Regierung in Dublin als erstes Krisenland offiziell den Euro-Rettungsschirm verlassen. Wenig später wurden irische Staatspapiere von den wichtigsten Ratingagenturen aufgewertet. Irland kann damit zwar wieder Kredite auf den Finanzmärkten aufnehmen, das Land ist aber weit davon entfernt, die horrenden Staatsschulden abzutragen, die durch die Finanzkrise 2008 entstanden sind. Der laufende Haushalt sieht wie in den Jahren zuvor harte Einsparungen sowie Steuererhöhungen vor. Und die Staatsschulden steigen weiter.

Wie grotesk die Situation ist, zeigt sich auch am Beispiel Portugals. Internationale Finanzinstitute bescheinigen dem Land zwar ebenso wie die Troika große Fortschritte. Sie warnen aber vor einer Entscheidung des Verfassungsgerichts in Lissabon, die viele Sparmaßnahmen der Regierung aufheben könnte. Zugleich sorgt sich die Ratingagentur Standard & Poor’s, dass der harte Sparkurs die politische Stabilität des Landes gefährden könne.
Kürzen, sparen, entlassen – wenig deutet darauf hin, dass sich der bisherige »Reformkurs« in der Eurozone ändern wird. In Griechenland, Spanien und Portugal hoffte man zwar, dass die neue schwarz-rote Koalition in Deutschland rücksichtsvoller agieren würde. Doch daraus wird wohl nichts. Er könne die Griechen nur davor warnen, »pausenlos« über weitere Hilfspakete zu reden, die im Ausland nur Zweifel an der Leistungs- und Reformfähigkeit des Landes wecken würden, erklärte der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Anfang Januar bei einem Besuch in Athen.
So deutet alles darauf hin, dass die bisherige Austeritätspolitik weiterhin der Maßstab für die Eurozone bleibt. Die Krisenkosten müssen auch künftig hauptsächlich Arbeitnehmer und Rentner tragen, während die Kapitaleigner verschont bleiben. Weder steht eine substanzielle Reform des Finanzsektors in Aussicht, dessen Fehlspeku­lationen maßgeblich zur Krise beigetragen haben, noch werden Maßnahmen ergriffen, um die Steuerflucht von Unternehmen und Vermögenden zumindest einzuschränken. Nach Angaben der EU-Kommission gehen dadurch jährlich rund 100 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren. Dass die Eurozone bislang trotz der rezessiven Politik nicht zerfallen ist, liegt vor allem an der EZB, die notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenstaaten aufkauft.
Wenig verändert hat sich auch an der ungeheuren Dominanz der deutschen Exportindustrie. Zwar sind die deutschen Ausfuhren in andere Euro-Staaten etwas rückläufig. Insgesamt hat Deutschland im vergangenen Jahr aber den weltweit größten Exportüberschuss erzielt. Mit um­gerechnet rund 260 Milliarden Dollar weist die Leistungsbilanz demnach ein deutlich höheres Plus auf als das der weltgrößten Handelsnation China mit rund 195 Milliarden Dollar. In diesem Jahr soll der Überschuss weiter steigen. Im vergangenen Herbst hat die EU-Kommission deswegen ein Prüfungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Der gewaltige Überschuss kommt schließlich nur zustande, weil andere Staaten entsprechende Defizite verzeichnen. Deutschland er­ziele sein Wachstum auf Kosten seiner hochverschuldeten Nachbarn, lautet der Vorwurf, den die Bundesregierung stets zurückweist. Die anderen Staaten müssten ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, heißt es im Gegenzug, zum Beispiel, indem sie die Löhne senken.
Die deutsche Exportstärke führt aber nicht nur zu einer drastischen Ungleichheit im Handel. Mittlerweile ist Deutschland nach Angaben des IFO-Wirtschaftsinstituts in München auch der »größte Kapitalexporteur der Welt«. Das Geld gehe einerseits in Sach- und Finanzanlagen. Andererseits fließe es – direkt oder indirekt – auch in Form von Rettungskrediten oder öffentlichen Hilfen in Euro-Krisenländer. Auf diese Weise verschärfen sich die ökonomischen Unterschiede und Abhängigkeiten innerhalb der Eurozone noch weiter.
Hinzu kommt die massenhafte Auswanderung vor allem von jungen und qualifizierten Arbeitskräften. Allein in Griechenland sind in den vergangenen fünf Jahren rund 150 000 Hochschulabsolventen ausgewandert. Umfragen zufolge wollen rund 70 Prozent der portugiesischen Studenten nach ihrer Ausbildung ins Ausland, wenn sich eine Möglichkeit dazu bietet. In Spanien sind die Zahlen ähnlich. Die Folgen dieses Braindrain werden einschneidend sein. Bevorzugte Ziele, dem katastrophalen Arbeitsmarkt im eigenen Land zu entfliehen, sind Deutschland, Österreich und die Niederlande.
Wenig spricht also dafür, dass sich die Situation in der Eurozone in absehbarer Zeit spürbar verbessern wird. Die Konsequenzen dieser Politik sind nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch fatal. Sie produziert immer mehr Verlierer, von denen sich wiederum die noch halbwegs saturierten Schichten vehement distanzieren. Die nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien, die sich überall in Europa etablieren konnten, greifen diese Stimmung erfolgreich auf. Ihr Versprechen besteht im Wesentlichen darin, die Schwächeren auszuschließen. Gut möglich, dass Samaras das Lächeln bald wieder vergeht.